Die Diskussionsveranstaltung Stuttgart Forum 21 in den Räumen des Staatstheaters Türlenstraße. Im Bild v.l.: Nikolai B. Forstbauer (Kulturchef der Stuttgarter Nachrichten), Franz Pesch (Leiter des Instituts für Städtebau, Universität Stuttgart; seit 1994 Professor für Stadtplanung und Entwerfen am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart), Jens Jäpel (Geschäftsführer der ECE Development und zugleich Projektleiter für die laufenden Neubauvorhaben des Handelsunternehmens ECE – auch in Stuttgart), Sabine Hagmann (Hauptgeschäftsführerin des Einzelhandelsverbandes Baden-Württemberg), Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und Jörg Hamann (Lokalchef der Stuttgarter Nachrichten). Mehr Bilder gefällig? Dann klicken Sie sich durch. Foto: PPfotodesign/Leif Piechowski

Aus A-1-Gebiet hinter dem Hauptbahnhof soll ein 1-a-Gebiet werden. Sorge um Königstraße.

Stuttgart - Das erste neue Stadtquartier, im Numerus der Stuttgart-21-Planer A 1 genannt, soll 1 a werden. Ob und wie das mit einem 43.000 Quadratmeter großen Einkaufszentrum gelingen kann, darüber gingen bei der Forumsveranstaltung unserer Zeitung am Freitagabend die Meinungen auseinander.

Die Spielstätte des Staatstheaters in der alten Mercedes-Niederlassung Türlenstraße ist der ideale Ort für Diskussionen - in diesem Fall von vier Experten, die sich den Fragen der Ressortleiter Jörg Hamann (Lokales) und Nikolai B. Forstbauer (Kultur) stellten. "Die Polarisierung um Stuttgart 21 begleitet uns als Zeitung", führt Chefredakteur Christoph Reisinger ins Thema ein. Teils stark geladene Gegenpole gibt es auch beim Thema Handel.

Unheilig werde die Debatte in den Kommunen immer dann, wenn es um Shopping-Center gehe, weiß Professor Franz Pesch aus langer Erfahrung. Der Leiter des Instituts für Städtebau an der Uni Stuttgart hat den Marktführer, die Hamburger ECE, mehrfach "kritisch begleitet", so Pesch vor den Gästen.

Pesch: "Was leistet das Shopping-Center für öffentlichen Raum?"

Die Otto-Versand-Tochter sei besser geworden, spricht Pesch ein schwäbisch bescheidenes Lob aus, und Stuttgart gewinne mit der Bayerischen Hausbau zudem einen guten Wohnungsträger. A 1 sei aber "kein normales Projekt", weil "mit der Hypothek Stuttgart 21 belastet". Die Grundstücksverkäufe der Bahn müssen hoch sein, sie fließen in den 4,1 Milliarden Euro teuren Bahnhofs- und Schienenbau. "Das führt zu hoher Dichte mit wenig Wohnanteil", beklagt Pesch die Fesseln.

Der 55-jährige Architekt ist skeptisch. Er würde auf A 1 am liebsten einen Schritt zurückgehen und neu und aufgelockerter planen, geschlossene Erdgeschosszonen vermeiden. Mehr als 40.000 Quadratmeter Handel am Stück, das sprenge den Maßstab europäischer Städte. "Was leistet das Shopping-Center für den öffentlichen Raum?",. fragt er provokant.

Parks und Promenaden für Stadtqualität

"Wir wollten auch auf diesen Flächen selbst Eigentümer sein", sagt Schuster. Die Bahn aber habe die Flächen selbst vermarkten wollen. Nun wolle man "die Qualität des öffentlichen Raums mit Akribie und Hartnäckigkeit herstellen", so Schuster. Nicht nur Handel, auch 43.000 Quadratmeter Mietwohnungen entstehen. "Auch für Familien", verspricht der OB, wenngleich eine sozial ausgewogene Mischung wegen der Mietpreise schwierig werden könnte.

Parks und Promenaden zählen für Pesch unverzichtbar zur Stadtqualität. Urbanität zähle im Wettbewerb längst genauso als Standortfaktor wie das nahe Autobahnkreuz oder der Flughafen. Für Pesch baut ECE mit 800 Meter zu weit entfernt von der Königstraße, also am falschen Standort.

Dafür erntet der renommierte Architekt Widerspruch von Jens Jäpel, dem Geschäftsführer der ECE-Entwicklung. "Wir entwickeln ein urbanes Quartier. Wir kennen die Region, die Stadt und das Kaufverhalten", sagt der Diplom-Kaufmann. Das Areal hinter dem Bahnhof zähle eindeutig zur Innenstadt, und mit dem Handel als lange herbeigesehntem Baustein gewinne der neue Stadtteil enorm, er spiele "bei Aufbau eines urbanen Quartiers die zentrale Rolle".

Dauerhaft entstehen 1500 Arbeitsplätze

 Dauerhaft entstehen 1500 Arbeitsplätze

Die ECE investiert hier mit der Strabag Real Estate 350 Millionen Euro. 200 Millionen kommen für die Wohnungen, Büros und das Hotel von der Bayerischen Hausbau. Damit entsteht eines der größten privaten Bauvorhaben in Deutschland - und es entstehen dauerhaft 1500 Arbeitsplätze.

Den Stuttgarter Mix hat ECE noch in keiner Großstadt realisiert. Jäpel spricht von einem "einmaligen, neuen, für ECE wegweisenden Produkt". Stuttgart könnte der Prototyp für weitere Innenstadt-Center in Großstädten werden. Insgesamt betreibt die ECE 132 solcher Objekte, darunter die Breuninger-Länder in Sindelfingen und Ludwigsburg. 20 Center sind in Deutschland und im Ausland derzeit in Bau oder Planung.

Der architektonischen Herausforderung mit drei über Stege verbundenen Baublöcken will sich der Handelsspezialist auch im Innern der sogenannten Mall stellen. Einheitslook ist dabei passé. "Themen-Malls sind ein neuer Trend. Wir schaffen individualisierte Räume", verspricht Jäpel spannende Eindrücke.

Stuttgart als starke Einkaufsstadt

Die Angst der heute in der City ansässigen Händler versucht der Diplomkaufmann zu zerstreuen. In Stuttgart und der Region sei genügend Marktpotenzial vorhanden. Das sieht auch Schuster so. Der Handelsgigant soll Kundschaft aus der Region und darüber hinaus anziehen, Stuttgart als starke Einkaufsstadt positionieren.

"Die mehr Menschen aus der Region kommen am falschen Ort an", gießt Pesch Wasser in den Wein. Das Center werde "für sich selbst" funktionieren, der Stadt aber kaum weiter helfen, denn "ein Kunde läuft nur rund 600 Meter", weiß Pesch.

Das neue Handelsquartier können 2,5 Millionen Menschen als Kunden ansprechen, zudem wolle ECE natürlich auch Anbieter holen, die bisher nicht in die Landeshauptstadt gefunden haben, so Jäpel: "Unser Anspruch ist ein erweitertes Angebot."

Händler in Vororten in Gefahr

Solche Aussagen hört Sabine Hagmann wohl. Der Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands im Land fehlt allerdings der Glaube daran. Gutachten sagten dem Bestand an die zehn Prozent Umsatzrückgang voraus. Werte, die existenziell werden können. "Die Nebenlagen zur Königsstraße werden leiden", warnt Hagmann. Sie sieht Händler in Vororten wie Feuerbach und Bad Cannstatt in Gefahr.

Das Gespenst des Ladensterbens sieht Schuster nicht. "Wir haben den Standort sauber analysiert", verteidigt er seine gegen die Gemeinderatsmehrheit aus Grünen, SPD und SÖS getroffene Entscheidung für das ECE-Baurecht. "Bestehende Händler kämpfen um ihre Existenz", gibt Hagmann knapp zurück. Die gute Mischung mit noch 41 Prozent selbständigen Händlern in Stuttgart - bundesweit ein Spitzenwert - werde gefährdet. "Um diese müssen wir uns kümmern", appelliert Hagmann. Ein isolierter Handelsbau helfe da nicht.

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