Sommerfestival der Kulturen auf dem Stuttgarter Marktplatz – eine Aufnahme aus dem vergangenen Jahr. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Seit 20 Jahren bereichert das Forum der Kulturen die Stadt. Es hat sich zu einer Plattform des respektvollen Zusammenlebens entwickelt, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Sie kennen diese Redewendung: Wenn es dieses und jenes nicht gäbe, dann müsste es erfunden werden. Zum Beispiel: Wenn es Linsen und Spätzle nicht gäbe, müssten sie erfunden werden. Oder: Gäbe es keine Nacht der Lieder im Theaterhaus oder keine Ballettmatinee im Großen Haus, müsste man sich beides eiligst ausdenken.

Genauso ist es beim Forum der Kulturen: Gäbe es dieses Netzwerk der Vielfalt nicht, müsste sie schleunigst erfunden werden. Zum Glück – und zum Besten Stuttgarts – liegt diese Erfindung schon lange zurück: 1998 wurde das Forum als Dachorganisation der Stuttgarter Migrantenvereine und interkulturellen Einrichtungen aus der Taufe gehoben. Es ist so alt wie der USB-Stick, um eine technische Erfindung aus demselben Jahr zu nennen – also ganz schön alt und ganz schön vertraut. Aus dem täglichen Leben, in dem Fall aus dem Stadtleben, ist das Forum jedenfalls nicht wegzudenken. Es ist eine Größe und es hat Größe.

Die Idee dazu hatten maßgeblich zwei Persönlichkeiten, die ihre Erfindung heute noch mit dem selben Engagement und Nachdruck vertreten wie damals: Sami Aras, Vorsitzender des Forums, und Rolf Graser, der Geschäftsführer. Sie und eine wachsende Zahl von Mitstreitern haben das Forum der Kulturen über Stuttgart hinaus als Plattform des guten, respektvollen Zusammenlebens bekannt gemacht. Auf ihr tummeln sich heute 122 Migrantenvereine – nicht als Parallelwelt, sondern als integraler Teil der Stadtgesellschaft. Nirgendwo wird das besser erlebbar als beim Sommerfestival der Kulturen auf dem Marktplatz, das in diesem Jahr zum 17. Mal stattfindet (vom 17. bis 22. Juli). Weltmusik und lokales Leben bilden hier eine funktionierende Einheit. Das zeigt sich auch bei anderen Forums-Aktivitäten – dem Brunch global oder dem Theaterfestival Made in Germany.

Eine Art Stuttgarter Leitkultur

Vielfalt zeigen und – wie am Freitagabend beim Festakt des Forums der Kulturen im Rathaus geschehen – Vielfalt feiern, das hat in Stuttgart seit den Zeiten von Oberbürgermeister Manfred Rommel gute Tradition. Früh wurde hier der Grundstein für eine Kultur des Respekts gelegt, die so stark verankert ist, wie es die Kehrwoche war. Rommels Nachfolger Wolfgang Schuster und Fritz Kuhn haben daran mitgewirkt, dass sich diese Haltung zu einer Art Stuttgarter Leitkultur entwickelte. Das ist keine Selbstverständlichkeit, jedoch höchst erfreulich in einer Stadt, in der mehr als 42 Prozent der Bevölkerung ausländische Wurzeln hat.

Gekennzeichnet ist sie von der Überzeugung, dass ein Gemeinwesen von Vielfalt lebt und jeder Bürger einen eigenen Hintergrund hat, sei er migrantisch, schwäbisch oder sonst was. Die Anerkennung dieser Vielfalt ist die Basis einer lebenswerten Stadt. Darauf darf sich Stuttgart und darf sich das Forum der Kulturen zwar nicht ausruhen – die Stadt ist beileibe keine Insel der Seligen und die Zuwanderung stellt den Stuttgarter Konsens vor eine fortdauernde Bewährungsprobe. Doch ein bisschen stolz auf ihre Vielfalt und ihren Umgang damit dürfen die Stadt und das Forum doch sein.

jan.sellner@stzn.de