Viel Lust auf Bewegung Foto: grafikplusfoto - Fotolia

Müssen wir uns um die Jungen Sorgen machen? Nein, aber Gedanken, sagt der Tübinger Erziehungswissenschaftler Reinhard Winter. Wie sie ticken, ist Thema beim Forum Bildung am 14. Oktober in der Baden-Württemberg Stiftung.

Stuttgart - Jungen schreiben schlechtere Noten, schwänzen öfter, bleiben häufiger sitzen, brechen eher die Schule ab als Mädchen. Grund zur Sorge? Ja und Nein, sagt der Tübinger Diplompädagoge Reinhard Winter: Jungen seien unterschiedlich – es gibt viele, die mit ihrem Leben gut zurechtkommen, und eine eher kleine Gruppe derer, die sich mit Eltern, Schule oder auch der Gesellschaft schwer tun. Und diese Unterschiede gebe es auch bei den Mädchen. Deshalb dürfe man Jungen nicht generell als Risikogruppe betrachten. „Das Gerede von einer Jungenkrise stürzt diese erst hinein“, mahnt er.

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Die Jungen mehr in den Blick zu nehmen, sei aber richtig und wichtig, sagt der Erziehungswissenschaftler, der sich seit Jahren theoretisch und praktisch mit dem Thema beschäftigt und eine „Gebrauchsanweisung“ für Jungen geschrieben hat. Viele Eltern, aber auch diejenigen, die mit Jungen im Kindergarten, in der Schule oder im Jugendhaus zu tun haben, seien verunsichert. Die alten Rollenbilder – Männer als Macher, Ernährer, Schöpfer oder Bestimmer – seien nicht mehr erwünscht und auch von vielen Männern nicht mehr gewollt, die neuen noch im Entstehen. Erwachsenen wüssten deshalb oft nicht so genau, wie sie mit der „männlichen Seite“ von Jungen umgehen sollten. Jungen hätten teilweise andere Bedürfnisse als Mädchen, und diese müssten auch berücksichtigt und ernst genommen werden. Patentrezepte will der Vater eines Sohnes und einer Tochter allerdings keine geben, vielmehr Neugier auf die Jungen wecken – und mehr Verständnis für sie.

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Er hält allerdings nichts davon, die Förderung für Jungen und Mädchen gegeneinander aufzurechnen. Dass sich Jungen in der Schule aber deutlich weniger wohl fühlten, müsse wahrgenommen werden – und über Veränderungen nachgedacht werden. In der öffentlichen Diskussion wird oft angeführt, dass es in Kindergärten und Schulen zu wenige Männer gebe. Das sieht auch Winter als Mangel, warnt aber vor überzogenen Erwartungen. „Durch mehr Lehrer würden sich nicht automatisch die Leistungen der Jungen verbessern“, sagt er. Aber Lehrer und Erzieher würden den Jungen gut tun, weil diese sich dann an echten Männern orientieren könnten, statt an Superhelden, die den Medien oder der Phantasie entspringen.

Jungen genießen das Kicken

Jakob Simon ist einer der noch relativ wenigen Erzieher in Baden-Württemberg. Nach dem Realschulabschluss habe er sich für den Beruf entschieden, weil er gern mit Kindern arbeite – erste Erfahrungen sammelte er bei mehreren Praktika während seiner Schulzeit. Außerdem reizte ihn die Möglichkeit, mit der Ausbildung auch die Fachhochschulreife zu erlangen, erzählt der 25-Jährige, der in einer Kindertageseinrichtung der Stadt Stuttgart arbeitet. Dass er mit ihnen Fußball spiele oder in der Werkstatt arbeite, gefalle vor allem den Jungen. Inzwischen absolviert er ein Zusatzstudium als Sozialarbeiter, um sich beispielsweise für die Leitung eines Kindergartens zu qualifizieren.

Auch Bernd Möhrle ist ein gefragter Mann. Seit zwei Jahren arbeitet der Diplompädagoge als Schulsozialarbeiter an einer Realschule. Kinder und Jugendliche suchen seine Unterstützung, wenn es Schwierigkeiten in der Schule oder auch zuhause gibt. Der sportliche 33-Jährige ist vor allem für Jungen Ansprechpartner, Berater, manchmal auch Vorbild. Auch Mädchen wenden sich an ihn, bei manchen Themen wäre ihnen aber eine Kollegin lieber, erzählt er.

Außerhalb der Schule bietet Möhrle spezielle Programme für Jungen an, unter anderem Kampfspiele, Anti-Aggressions-Training und das Projekt Kicken und Lesen für Fünft- und Sechstklässler aus benachteiligten Familien. Auf ihrem Wochenplan steht neben einem Stadionbesuch viel Fußballtraining – und Zeit, um gemeinsam ein Buch zu lesen. Für manchen Jungen ist es das erste Mal, dass er ein Buch zu Ende bringt, sagt Möhrle. „Das stärkt ihr Selbstvertrauen.“

Info: So melden Sie sich an

Was tun für Jungen?! heißt es beim Forum Bildung unserer Zeitung am Mittwoch, 14. Oktober, 19 Uhr, in der Baden-Württemberg-Stiftung, Kriegsbergstraße 42, in Stuttgart.

Sind Jungen das neue schwache Geschlecht? Was können Eltern, Erzieherinnen und Lehrer tun, um allen Kindern gerecht zu werden? Über diese und andere Fragen diskutieren Reinhard Winter, Erziehungswissenschaftler und Geschlechterforscher in Tübingen, der Schulsozialarbeiter Bernd Möhrle und der Erzieher Jakob Simon.

Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung im Internet wird erbeten.