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Trotz zusätzlicher Klassen bleibt Lage angespannt –Experten diskutieren beim Forum Bildung .

Stuttgart - Kein Abschluss ohne Anschluss – das sei eine der Stärken des baden-württembergischen Bildungswesens. Immer, wenn in den vergangenen Jahren um die Leistungsfähigkeit des Schulsystems gestritten wurde, verwiesen die jeweiligen Kultusminister(innen) auf die beruflichen Schulen.

In der Tat: Berufliche Schulen ermöglichen auch Schülern, die in der vierten Klasse keine Gymnasialempfehlung erhielten, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. Von den 20 645 Absolventen mit Fachhochschulreife im Jahr 2010 hatten 20 332 eine berufliche Schule besucht, von den 48 362 Abiturienten kamen 14 353 von einem beruflichen Gymnasium. Diese Zahl wäre noch deutlich höher, wenn die beruflichen Gymnasien genügend Klassen gehabt hätten. Jahrelang wurde bis zu ein Drittel der Bewerber abgewiesen, obwohl sie die Voraussetzungen erfüllten.

In den vergangenen zwei Jahren sind zwar zusätzliche Klassen eingerichtet worden, weitere 50 und 18 neue Standorte sind für das neue Schuljahr vorgesehen. Aber auch diesmal wird es nicht für alle reichen, befürchtet Alfred Schäfer, Leiter der Johannes-Gutenberg-Schule und geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen in Stuttgart. Neu sind im nächsten Jahr die sechsjährigen beruflichen Gymnasien mit den Schwerpunkten Technik und Ernährung, Soziales und Gesundheit. Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) hat kürzlich 15 Standorte genehmigt.

Werkrealschule: Erste Abschlüsse im kommenden Jahr

Mit weniger Bewerbern als bisher rechnen die beruflichen Schulen für die zweijährigen Berufsfachschulen, an denen Hauptschulabsolventen die mittlere Reife machen. Denn im kommenden Jahr können Schüler erstmals an den neuen Werkrealschulen die mittlere Reife erhalten. Mehr als 500 Hauptschulen sind 2010 und 2011 zu Werkrealschulen geworden und bieten jetzt ein zehntes Schuljahr an.

Wie viele Neuntklässler deshalb nach den Sommerferien an ihrer Schule bleiben, statt an die Berufsfachschule zu wechseln, lässt sich noch nicht absehen. In der Werkrealschule benötigen sie ein Jahr weniger. Das sei aber nicht unproblematisch, warnt . Wer anschließend ein Berufskolleg oder ein berufliches Gymnasium besuchen wolle, sei durch die zweijährige Berufsfachschule besser vorbereitet.

Mittelfristig werden sich auch die neuen Gemeinschaftsschulen auf die beruflichen Schulen auswirken, denn sie bieten Hauptschulabschluss, mittlere Reife und Abitur an – zumindest die großen Gemeinschaftsschulen können eine eigene gymnasiale Oberstufe einrichten. Von den 34 Starterschulen, die nach den Sommerferien beginnen, hat allerdings keine die nötige Größe.

Zum Kern der beruflichen Schulen gehören die Berufsschulen. Wer eine betriebliche Ausbildung macht, lernt nicht nur im Unternehmen. Ein- bis zweimal wöchentlich geht er zur Berufsschule – dort stehen allgemeinbildende Fächer sowie Fachtheorie und -praxis auf dem Stundenplan.

Immer wieder bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt

In einigen Bereichen beginnt die Ausbildung im Betrieb auch erst nach einem Jahr Berufsschule. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Berufsschüler gesunken, weil weniger Arbeitsverträge abgeschlossen wurden. Erst kürzlich haben die Metallarbeitgeber damit gedroht, Ausbildungsplätze zu streichen, wenn sie – wie von den Gewerkschaften gefordert – Lehrlinge nach der Ausbildung übernehmen müssen. „Mit Ausbildungsstopps schneidet sich die Branche ins eigene Fleisch“, warnt Schäfer. Angesichts des Geburtenrückgangs droht in vielen Bereichen ein Fachkräftemangel.

Immer wieder bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt, obwohl es viel mehr Bewerber als offene Stellen gibt. Manche Schulabgänger seien nicht ausbildungsreif, klagen Arbeitgeber – ihnen fehlten fachliche und soziale Kompetenzen. Mit Programmen wie Berufsvorbereitungsjahr, Berufseinstiegsjahr oder der Vorqualifizierung Arbeit/Beruf werden schwer vermittelbare Schüler auf eine Ausbildung vorbereitet.

An den Schülerzahlen in den beruflichen Schulen lässt sich gut die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ablesen. Wenn weniger Jugendliche ausgebildet werden, steigt die Zahl der Vollzeitschüler. Auch Fortbildungen sind dann stärker gefragt. Viele nutzten die Krisenjahre 2009/2010 für eine Qualifizierung zum Techniker oder Meister. Inzwischen ist diese Zahl wieder gesunken.

Ein Problem, mit dem die beruflichen Schulen seit langem zu kämpfen haben, ist der Lehrermangel. Mindestens vier Prozent des vorgesehenen Unterrichts fallen aus, weil die Landesregierung nicht genügend Lehrerstellen bereitgestellt hat. Dazu kommen noch Engpässe in bestimmten Fächern – vor allem in Mathematik sowie im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Nötig seien jährlich 400 zusätzliche Stellen, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen und die Überstundenwelle abzubauen, fordert Margarete Schaefer, Landesvorsitzende des Berufsschullehrerverbandes.

Sind die Privatschulen besser?, heißt das Thema unserer nächsten Veranstaltung in der Reihe "Forum Bildung". Manfred Ehringer, früherer Direktor des Staatlichen Schulamts Stuttgart und Mitbegründer einer Privatschule, und Andre Bartoniczek, Lehrer und Ausbilder an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe, werden befragt von unserer Bildungsredakteurin Maria Wetzel.

So melden Sie sich zum Forum Bildung an

Die Veranstaltung findet am 6. März, 19 Uhr, in der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe, Haußmannstraße 44, Stuttgart, statt. Der Eintritt ist frei, jedoch eine Einlasskarte nötig. Diese können Sie bestellen unter forumbildung@stn.zgs.de (bitte Adresse angeben). Weitere Informationen: www.stuttgarter-nachrichten.de/thema/forum_bildung