Mit dem Boot sind Fischer und Touristenführer auf dem Rio Parnaiba im Osten Brasiliens unterwegs. Foto: André Pessoa, Rainer Kurlemann

In Brasilien sterben viele Flüsse, aber aus dem Rio Parnaiba können die Menschen noch trinken. Warum ist das so? Im letzten Teil unserer Forschungsreise durch Südamerika geht es in ein Ökoparadies.

Delta Rio Parnaiba - Die Krebse sollten sich besser verstecken, sie laufen Gefahr, gefangen zu werden. Die Tiere krabbeln über die Wurzeln der Mangroven, die aus dem Wasser des Rio Parnaiba herausragen. Ihre rote Farbe bietet auf dem dunklen Holz keine gute Tarnung. Ein Fischer lenkt sein kleines Boot zu den Krabben und klettert auf das Wurzelwerk. Mit einem beherzten Griff packt er ein flüchtendes Tier, das gerade im Matsch verschwinden will. Der Mann prüft das Geschlecht seiner Beute. Ein Weibchen würde er zurück in den Schlamm werfen, aber das Männchen landet in der selbst gebauten Reuse an seinem Boot. „Die Fischer dürfen keine Weibchen fangen“, erklärt Pedro de Costa Silva. „Sie haben verstanden, dass die Krebse sonst aussterben.“

Es ist ein wichtiger Schritt in der Ausbildung der Fischer am Rio Parnaiba. Sie mussten viel lernen. „Bis vor 15 Jahren arbeiteten alle Menschen hier als Reisbauern, aber jetzt zahlen die Restaurants gute Preise für Fische und Krebse aus dem Flussdelta“, berichtet der 37-Jährige.

Auch Pedro ist auf dem Wasser unterwegs, er kutschiert Touristen in einem Boot durch die Mangroven zu den Affen, Schlangen und Vögeln im Delta des Rio Parnaiba. Oder er setzt sie zum Baden an einer der Dünen im Fluss ab. Wenn das Geräusch der Motoren verklungen ist, unterbrechen nur die Rufe der Vögel die Stille. Das Mündungsgebiet des Flusses bildet nach dem Nil und dem Mekong das drittgrößte Delta der Welt. Die Winde locken Kite-Surfer an den Strand der Ilha Grande, der größten von 80 Inseln, die der Fluss umspült, bevor er das Meer erreicht. Das Delta ist so groß wie das Saarland, seine Bewohner versuchen den Spagat zwischen Naturschutz und Tourismus.

Das Salzwasser dringt immer tiefer ein

„Die wenigen Studien zur Belastung des Wassers weisen auf eine gute Qualität hin“, sagt Cezar Fernandes, Professor für Fischerei an der Bundesuniversität des Piaui. Der Rio Parnaiba habe das Glück, dass er auf den 1500 Kilometern bis zur Mündung nur wenige größere Städte passiere. Die Fischer und Touristenführer trinken das Wasser aus dem Fluss. Die Schwebstoffe filtern sie mit dem Stoff ihres T-Shirts heraus, das sie beim Trinken vor den Mund halten.

„Die größte Gefahr für den Fluss liegt in den Baumfällungen für den Städtebau und in der Versandung des Deltas“, sagt Cezar Fernandes. Zudem habe es in den vergangenen fünf Jahren nur wenig geregnet. Das könne eine Folge des beginnenden Klimawandels sein. Das Delta verändert sich langsam. „In drei der fünf Mündungsarme des Flusses dringt das Salzwasser immer tiefer ein, sodass Süßwasserfische zurückgedrängt werden“, erklärt er. „Aber der Zustand dieses Ökosystems ist noch immer sehr gut“, betont der Professor.

Seine noch junge Universität in Parnaiba soll sich gemeinsam mit der staatlichen Aufsicht ICMBio nicht nur um das Delta kümmern. Die Forscher wollen auch die Entwicklung des Tourismus wissenschaftlich begleiten. Pedro de Costa Silva begrüßt den Wandel im Delta. „Die Kinder der Reisbauern konnten früher kaum zur Schule gehen, weil sie oft auf dem Feld helfen mussten“, erzählt er. Pedro erinnert sich noch, wie sein Vater ständig mit Pestiziden hantierte, um die Reisernte zu schützen. „Noch bleibt der Rio Paraiba davon verschont“, sagt Cezar Fernandes.

Der Tourismus soll dem Ökosystem helfen

Der andere große Fluss im Norden Brasiliens stirbt dagegen. Der Rio Sao Francisco wurde mit Staudämmen zur Stromerzeugung aufgestaut und zudem Wasser für eine wenig effiziente Bewässerung der Plantagen abgeleitet. Dem einst stolzen Fluss, der schon vor 100 Jahren dank seiner Wasserfälle und Dampfschiffe berühmt war, geht das Wasser aus. Die Stauseen fallen langsam trocken. Der Fluss führt nur noch die Hälfte der wilden Wassermassen, die ihn vor 30 Jahren geprägt haben. Die Artenvielfalt schrumpft drastisch, das Wasser ist verdreckt. Viele Fischer mussten sich einen neuen Job suchen. Beispielsweise als Lkw-Fahrer: das Trinkwasser wird in der Region oft mit Tankwagen verteilt.

Gouverneur Wellington Dias will die Fehler der anderen Bundesstaaten in Piaui nicht wiederholen. Er gehört zu einer neuen Generation von Männern und Frauen, die an einer besseren Zukunft für das einstige Armenhaus Brasiliens arbeiten. Piaui müsse seine Natur schützen, sie gleichzeitig aber auch kommerzialisieren. „Der Tourismus ist ein Ansatz, um regelmäßiges Einkommen für die Bevölkerung zu schaffen“, sagt Dias über seine dritte Amtszeit. Er stammt aus einem abgelegenen Dorf, dessen Schule den Kindern nicht viel bieten konnte und hat sich hochgearbeitet.

Die Sterne und den Mond sehen

Die fehlende Bildung belastet Piaui. Pedro de Costa Silva hat sich seine Fremdsprachenkenntnisse selbst beigebracht. „Ich habe mit dem Internet und mit Youtube Deutsch und Holländisch gelernt“, erzählt er. Solche Geschichten stiften Hoffnung und sind im Nordosten Brasiliens nicht ungewöhnlich.

Auch Osiel de Araújo Monteiro ging nur drei Jahre zur Schule. Er arbeitet als Führer im Nationalpark Sete Cidades, den die Touristen von der Küste an einem längeren Tagesausflug erreichen können. Seine Familie ist in der vierten Generation im Park angestellt, aber Monteiro ist der erste, der es im Selbststudium bis zur Universität geschafft hat. Er begleitet jetzt eine Doktorandin, die das Potenzial der Heilpflanzen im Park erforscht und dokumentiert. Monteiro hat eine neue Aussichtsplattform errichten lassen. Ein lohnendes Geschäft: „In klaren Nächten können die Touristen von dort mitten im Grünen auf einem Felsen die Sterne und den Mond betrachten.“