Das ESBO-DS-Team bei der Arbeit: Mahsa Taheran, Software- und Systemingenieurin; Andreas Pahler, Elektronikingenieur; Philipp Maier, Projektkoordinator, und Sarah Bougueroua, Optikingenieurin Foto: Uli Regenscheit Fotografie

Dass Ballons über den USA schweben, hat jüngst für politische Friktionen gesorgt. Auch am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart wird mit Stratosphärenballons geforscht – und die können ganz weit oben richtig riesig werden.

Seit die USA vor rund zwei Wochen einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon abgeschossen haben, ist die Ballonforschung in der Weltpolitik angekommen. Plötzlich wurden immer wieder und überall solche Flugobjekte gesichtet, mancherorts vermissten Forschungseinrichtungen ihre wertvollen Messinstrumente, andernorts wurde gar über außerirdische UFOs spekuliert. Und spätestens als von einer Größe von bis zu drei Omnibussen die Rede war, hat so mancher mit einem flauen Gefühl in der Magengegend den Himmel abgesucht. Die Forschenden am Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart haben die Geschehnisse auch aufmerksam verfolgt und über manches, was da verbreitet wurde, nur den Kopf geschüttelt.

Auch Stuttgarter Wissenschaftler arbeiten mit Ballons

Philipp Maier ist gebürtiger Sersheimer, hat in Dresden Raumfahrttechnik studiert, sich dann bei der europäischen Weltraumorganisation ESA (European Space Agency) mit Weltraumschrott beschäftigt und ist seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stuttgarter IRS. Er arbeitet gerade an seiner Dissertation, einer Machbarkeitsstudie eines großen Ferninfrarotobservatoriums an Stratosphärenballons. Der 36-Jährige kennt sich also mit dem Thema bestens aus. Und weil er in den vergangenen Wochen immer wieder den Eindruck hatte, dass der Kenntnisstand über wissenschaftliche Ballons „manchmal etwas lückenhaft ist“, hat er eine grobe Typologie zusammengestellt.

Da gibt es zum einen die gängigen Wetterballons, die relativ häufig sind und beispielsweise vom Deutschen Wetterdienst eingesetzt werden. Diese Ballons haben laut Maier am Boden einen Durchmesser von bis zu zwei Metern. Mit jedem Kilometer, den sie aufsteigen, verringert sich der Luftdruck, und die mit Helium oder Wasserstoff gefüllte Gummihülle dehnt sich immer weiter aus. Haben sie eine Höhe von 30 oder 35 Kilometern erreicht, beträgt ihr Durchmesser dann mehrere Meter. Irgendwann platzen sie und sinken samt ihrer maximal drei Kilogramm schweren Nutzlast – mehr schaffen diese Ballone nicht – an Fallschirmen zum Boden.

Weltweit sind jeden Tag einige Hundert Ballons unterwegs

Der Flug dieser Ballon-Art dauert mehrere Stunden. Nach Einschätzung von Philipp Maier sind jeden Tag weltweit einige Hundert dieser vergleichsweise kleinen Forschungsballons unterwegs. An der Uni Stuttgart beschäftigt sich der Verein KSAT mit genau diesem Typ. Die studentische Kleinsatellitengruppe gibt es seit 2014, sie hat 130 Mitglieder und mit Bubble ein eigenes Höhenforschungsballon-Programm. Ziel ist es, „kostengünstig und mit relativ geringem Aufwand die Durchführung von Experimenten in der Stratosphäre zu ermöglichen“, wie es auf dem KSAT-Flyer heißt. Ihre kleinen Ballone sind mit Helium gefüllt, haben nach 90 Minuten eine Flughöhe von 30 Kilometern erreicht, wo es dann bis zu minus 60 Grad kalt ist. Auf diese Art und Weise können Komponenten für Kleinsatelliten, wie sie das IRS entwickelt, getestet werden. Der nächste Start ist in etwa zwei Wochen geplant, vom Uni-Gelände in Vaihingen aus.

Ganz andere Dimensionen nehmen sogenannte Zero-Pressure-Ballone an. Die haben am Boden einen Durchmesser von etwa zehn Metern, können sich in ihrer Zielflughöhe von 35 bis 39 Kilometer Höhe aber auf bis zu 100 Meter Durchmesser ausdehnen. Da sind drei Omnibusse im Vergleich relativ klein. Diese Ballone schaffen eine Nutzlast von bis zu 3,6 Tonnen, also eine Gewichtsklasse, die man nicht über bewohntem Gebiet abschießen und abstürzen lassen will. Diese Forschungsballons sind bis zu 50 Tage in der Stratosphäre um die Welt unterwegs.

Ziel ist ein Flug mit Teleskop

Der dritte Ballon-Typ in Philipp Maiers Auflistung sind Super-Pressure-Ballone, die ähnlich hoch und ähnlich lang fliegen, aber nur eine Nutzlast von bis zu 900 Kilogramm schaffen. Vor allem die NASA arbeitet mit diesem Ballon-Typ. Philipp Maier hat sich in den vergangenen drei Jahren im Rahmen des Projekts ESBO-DS intensiv mit solchen Stratosphärenballons und ihren Nutzlasten beschäftigt, allerdings immer mit der Blickrichtung nach oben ins Weltall. ESBO steht für European Stratospheric Balloon Observatory – Design Study. Ziel ist es, ballonbasierte Teleskope in Höhen von 30 bis 40 Kilometern zu fliegen, sodass die Erdatmosphäre astronomische Messungen nicht stört. Das von der EU geförderte Projekt hat seinen Förderrahmen erreicht – nur der Testflug mit dem eigens dafür entwickelten Teleskop fehlt noch. Dafür suchen die Projektbeteiligten gerade noch eine Finanzierungsmöglichkeit, rund 600 000 Euro sind erforderlich.

Ballons sind kaum zu manövrieren

Die drei genannten Ballontypen haben alle die Gemeinsamkeit, dass sie kaum zu manövrieren sind, sondern sich mit den Winden in der Stratosphäre bewegen. Seit vielen Jahren wird auch an der Entwicklung von manövrierbaren Ballonen gearbeitet. Diese müssten dann zwischen unterschiedlichen Atmosphärenschichten mit entsprechend unterschiedlichen Windrichtungen auf- und absteigen, wofür eine Flughöhe von etwa 20 Kilometern am besten geeignet ist. Eines dieser Projekte war beispielsweise Google Loon, ein angedachtes ballongestütztes Kommunikationsnetzwerk, um abgelegene Regionen mit Internet zu versorgen. Das Projekt wurde 2021 beendet.

Egal mit welchem Ballon-Typ man forscht, einfach einen starten, ist kaum möglich. Aus Sicherheitsgründen sei die Zahl der Startbasen für große Forschungsballons in Europa in den vergangenen Jahren immer weiter reduziert worden, sagt Philipp Maier. Der ESBO-DS-Stratosphärenballon beispielsweise wäre von der europäischen Startbasis für Forschungsraketen und -ballons bei der nordschwedischen Stadt Kiruna losgeflogen. Die Basis wird unter anderem auch von der NASA genutzt. Die Flugrouten sind durch die relativ gleichmäßigen Stratosphärenwinde ziemlich genau festgelegt – und für jedes Land, das überflogen wird, muss vorher eine Überfluggenehmigung eingeholt werden. Was echte Forscher natürlich immer machen.