Rivalen der Rennbahn: Nico Rosberg (links) und Lewis Hamilton Foto: Getty

Nico Rosberg kann sich mit einem Sieg beim Grand Prix von Brasilien am Sonntag (17 Uhr) den Formel-1-Titel sichern und damit seinen Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton entthronen, der ihm im Nacken sitzt. Die Meinungen über die zwei Fahrer gehen auseinander.

Stuttgart - In der Formel 1 kann bereits am Sonntag (17 Uhr) in Sao Paolo die Entscheidung im Kampf um die Weltmeisterschaft fallen. Gewinnt Nico Rosberg, kann ihn Lewis Hamilton nicht mehr einholen. Doch nicht alle wünschen sich den Deutschen als Titelträger, die Meinungen gehen auseinander – auch unter den Formel-1-Experten der Redaktion.

Elmar Brümmer hält Nico Rosberg für den besseren Weltmeister

Nico Rosberg wäre der bessere Weltmeister, das ist eindeutig. Weil er sich emanzipiert hat in einem britischen Team. In einer englisch geprägten Rennwelt. Gegen Lewis Hamilton. Sogar gegen Bernie Ecclestone. Vor allem aber: Für sich. Sein ganz persönlicher Brexit.

„Wurscht“, sagt Rosberg in fast fehlerfreiem Hessisch darüber, dass der Zampano so über ihn hergezogen haben soll. Ihm selber hätte Ecclestone gesagt, das sei aus dem Zusammenhang gerissen. Na klar, der Promoter will provozieren, das ist gut fürs Geschäft. Er macht das manchmal auf Trump-Niveau. Populistische Halbsätze, aber das Große und Ganze sieht anders aus.

Wie unterhaltsam waren Sebastian Vettel und Michael Schumacher als Champions? Nicht viel mehr oder weniger als Rosberg. Aber sie waren erfolgreich. Rosberg würde den zehnten Weltmeistertitel für einen Deutschen in diesem Jahrtausend perfekt machen. Wollen wir zu dieser einmaligen Länderwertung das passende Klischee spielen, dann lautet das: Leistung muss sich wieder lohnen.

Weltmeister wird nun mal der, der die meisten Punkte hat. Und Nico Rosberg ist nahe dran. Er hat sich das hart erarbeitet, die letzten sechs Jahre lang. Es ist seine erfolgreichste Saison in der Königsklasse, nicht nur nach Ergebnissen. Außerhalb der Rennstrecke eckt er zwar äußerst selten an, schon gar nicht bei seinem Arbeitgeber. Damit ist er aber auch nur das Spiegelbild einer sich anpassenden Generation. Doch auf der Piste hat er Ecken und Kanten gewonnen. Er hält plötzlich dagegen, auch wenn es mal kracht. Fährt auf Sieg, nicht auf Halten. Auch am Wochenende, beim zweiten Matchball in Brasilien.

Und wie langweilig wäre es, wenn er jetzt auch mit Beyonce, Venus oder Lindsey rummachen würde, statt mit Vivian (Gattin), Alaia (Tochter) oder Sina (Mutter) trautes Inselleben zu zelebrieren? Rosberg tut gut daran, in diesem Punkt nicht andere zu kopieren. Im Rollenspiel des Motorsports sind die der bösen Buben längst besetzt, er kann nur mit dem Gegensatz punkten. Also: Biogemüse gegen Rap. Die Formel 1 lebt vom Widerspruch. Warum soll ein Champion das nicht vorleben?

Denn so funktioniert Emanzipation auf der Rennstrecke: Jeder kann sein, wie er will, solange er erfolgreich ist. Mercedes lässt Jekyll und Hyde in einem Team aufeinander los, künftig vielleicht mit vertauschten Rollen. Spannender geht es wohl nicht. Das ist auch Rosbergs Verdienst.

Dominik Ignée hält Lewis Hamilton für den besseren Weltmeister

Hamilton wäre der bessere Weltmeister, mal Hand aufs Herz. Sportlich hätte er die Nerven behalten und seinen fast aussichtlosen Rückstand trotz folgenschweren Motorschadens wieder wettgemacht. Sein Aufall in Malaysia hat Nico Rosberg, bei allem Repsekt für dessen Saisonleistung, ja auch erst in die ausichtsreiche Position gebracht, schon in Brasilien erstmals in seiner Karriere Champion werden zu können.

Rosberg hätte sich den Titel verdient, doch die tatsächlich spektakuläre Geschichte wäre Hamiltons erfolgreicher Konter auf der Zielgeraden der Saison. Der teilweise auch dröge gewordene Formel-1-Sport benötigt Spektakel. Es würde zu Lasten Rosbergs gehen, aber es wäre nicht das erste Mal, dass Hamilton auf sensationelle Art und Weise Weltmeister wird. 2008 beim Saisonfinale jubelte Felipe Massa bereits auf der Zielgeraden über seinen ersten WM-Titel – doch dann überholte Hamilton nur wenige Hundert Meter hinter ihm noch den wegen Reifenproblemen langsam gewordenen Rennwagen von Timo Glock. Glück gehabt – oder besser: Glock gehabt!

Hamilton wurde Last-Second-Champion – und Massa weinte bittere Tränen. Wenn er abermals so Weltmeister wird, wäre das wie ein gewonnenes Elfmeterschießen – ein ein völlig verrücktes Ding. Produziert von einem Supermann, an dem sich die Beobachter reiben. Parties, Promis und Pressure auf der Überholspur des Lebens – das ist Lewis Hamilton. Heute diese Frisur, morgen jenes Tattoo – der Brite hat sich zur skurilen Frontfigur der Rennserie entwickelt. Während sich die anderen vermeintlichen Stars verstecken.

Der öffentlichkeitsscheue Sebastian Vettel verschanzt sich hinterm Zaun seines Bauernhofs in der Schweiz, Fernando Alonso fährt im müden McLaren seinen Vertrag ab, wie auch Kimi Räikkönen bei Ferrari. Und Rosberg? Netter Junge, manchmal im Nervenkrieg mit Hamilton kantig, aber überwiegend kreuzbraver Mercedes-Markenbotschafter und Familienmensch.

Doch charismatische Typen wie James Hunt, Ayrton Senna oder auch Jacques Villeneuve haben die Szene immer schon befeuert und das Publikum fasziniert. Wenn jetzt also der Lebemann Lewis Hamilton doch noch Weltmeister wird und in der Partyszene des Jetset deshalb auch aus guten Gründen durchdreht – dann hat der Formel-1-Patron Bernie Ecclestone die Show, die er will. Ganz schlecht, ehrlich gesagt, wäre sie nicht.