Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton bei der WM-Feier von Mercedes in Stuttgart Foto: dpa

2011 wurde Lewis Hamilton noch als Pisten-Rambo gebrandmarkt, nun ist er Doppel-Weltmeister in der Formel 1. Der Brite lässt sich auf seinem Weg durchs Leben von niemandem reinreden, er setzt auf Gott.

Mister Hamilton, wie haben Sie den Terminstress seit dem Titelgewinn weggesteckt?
Es war überwältigend zu erfahren, wie sich die Menschen in Großbritannien über meinen Erfolg gefreut haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich hatte seit über einer Woche keinen freien Tag – das zehrt schon.
Wann kommt ein Boxenstopp?
Diesen Montag habe ich frei, schon am Dienstag bin ich wieder in England, es stehen einige Ehrungen an – und ich muss für die Weihnachtsfeier in der Fabrik in Brackley noch 1500 Karten unterschreiben, die die Mitarbeiter bekommen.
Sie waren schon 2008 als Champion in Stuttgart. Fühlt es sich heute anders an?
Damals war ich jung, ich habe die Welt mit anderen Augen gesehen, habe Dinge anders bewertet, bin mit Situationen anders umgegangen. Ich finde es erstaunlich, irgendwie ist die Zeit schnell vergangen. Ich habe gelernt, dass ich mir für manches mehr Zeit nehmen muss, dass ich die hohe Geschwindigkeit in meinen Leben verringern muss.
Es passierte viel seit 2008. Ich denke da an 2011. Sie lieferten sich ein Privatduell mit Felipe Massa auf der Strecke, Sie wurden Pisten-Rambo genannt, privat trennten Sie sich von Freundin Nicole ...
Natürlich erinnere ich mich.
Sie haben sich seitdem verändert. Aus einem Buben ist ein Mann geworden.
Es ist nicht so, als wäre ich einfach in ein neues Paar Schuhe geschlüpft; da passiert etwas mit einem, ohne dass man diese Entwicklung bewusst wahrnimmt. Es stimmt schon: Damals war ich fast noch ein Kind, ich war 23 – aber ich habe mich vom Charakter nicht verändert. Ich habe noch immer Freude an denselben Dingen, schätze die Familie noch immer hoch ein. Aber ich bin reifer geworden, erwachsener.
Wie spüren Sie das?
Es ist die Art, wie ich Zeit für Dinge verwende, wie ich Entscheidungen treffe und Situationen einordne. Ich weiß es heute mehr zu schätzen, was ich an meinem Leben habe. Ich habe das immer schon geschätzt, aber nun wird mir bewusst, welches Geschenk ich bekommen habe. Ich bin dankbarer über die Zeit, die ich mit geliebten Menschen zusammen sein kann. Auch im Umgang mit Fans.
Wie meinen Sie das?
Nun, da gibt es Leute, die reisen nach Japan, nur um mich im Rennen zu sehen. Die harren aus im strömenden Regen, weil sie mir zujubeln wollen. Das ringt mir sehr viel Anerkennung ab, also verbringe ich die Zeit mit meinen Fans bewusster.
Stuttgart ist Deutschland, also Rosberg-Territorium. Hat es Sie gefreut, dass die Menschen Ihnen Applaus gespendet haben?
Ich habe festgestellt, dass ich auch hier Fans habe; das mag vielleicht damit zusammenhängen, dass ich Mercedes fahre.
Was gefällt Ihnen an Stuttgart?
Dabei fällt mir Hugo Boss und Mercedes ein.
In dieser Reihenfolge?
Nein, andersrum. (lacht.) Das sind meine Anlaufstellen. Stuttgart ist für mich Mercedes – bei Stars & Cars und kommen 50 000 Menschen, das ist außergewöhnlich. Mir wird dabei aber auch klar, dass ich nur ein Sandkorn in dieser Mercedes-Welt bin.
Untertreiben Sie nicht. Sie sind das Gesicht von Mercedes. Das sind Ruhm und Ehre.
Ehre ist, wenn man von der Queen empfangen wird. Es ist eher Stolz. Ich bin nun Teil der Geschichte der Silberpfeile.
Und Sie sind der Nachfolger von Juan Manuel Fangio als Weltmeister eines Mercedes-Werkteams in der Formel 1. Sind Sie eine Legende?
Ich weiß nicht. Aber es ist schon erstaunlich, dass mein Name nun in einem Satz mit diesem großartigen Rennfahrer genannt wird.
Ist 2014 der Beginn einer Ära in der Formel 1 mit Dominator Mercedes?
Das ist möglich, es ist definitiv der Beginn von etwas ganz Besonderen. Wir haben ein Team mit einem großartigen Management. Darauf können wir aufbauen, und wenn wir das fortsetzen, was wir begonnen haben, halte ich das nicht für ausgeschlossen. Aber wir dürfen nicht größenwahnsinnig werden, weil wir so dominant sind. Wir müssen auch im Erfolg lernen und uns weiterentwickeln.
Wie viele WM-Titel sind noch möglich?
Viele Piloten werden nie Weltmeister, man muss dankbar sein, wenn es einmal gelingt. Ich bin sehr stolz, auf das, was ich geschafft habe: diese zwei WM-Titel. Ich bin nicht in die Formel 1 gekommen und habe mir vorgenommen, zehn Titel zu gewinnen. Wenn ich die Chance bekomme, einen weiteren zu holen, werde ich sie mit beiden Händen ergreifen. Und wenn diese Chance nicht wiederkommt, werde ich deswegen nicht heulen.
Warum fahren Sie 2015 mit der Startnummer 44 auf dem Silberpfeil und nicht mit der 1?
Die 44 ist meine Nummer, die hat sonst niemand. Die 1 kann jeder bekommen, der in irgendeiner Sportart Weltmeister geworden ist. Die 44 ist nur Lewis Hamilton.
Wie Valentino Rossi?
Ja, er hat die 46. Jeder in der Moto-GP weiß: Die 46 ist Rossi und kein anderer.
Niki Lauda hat Sie zu Mercedes geholt ...
Moment, das war nicht nur Niki, auch Ex-Teamchef Ross Brawn war daran beteiligt.
Aber es heißt immer, Lauda sei für Ihre Entwicklung bei Mercedes sehr wichtig gewesen.
Niki Lauda ist, neben Nico Rosberg, der Einzige im Team, der in der Formel 1 gefahren ist – er weiß wie man mit Druck umgeht, er weiß wie wir Fahrer ticken und kann unsere Standpunkte nachempfinden. Deshalb ist er für mich eine wichtige Person im Team.
Er soll Ihnen die Flausen ausgetrieben haben.
Nein, niemand muss mir sagen, wie ich mich zu benehmen habe.
Wie ist das mit dem Rapper-Image?
Nur weil ich dunkelhäutig bin und Diamanten liebe, muss ich nicht gleich ein Rapper sein. Das ist komisch, wie Leute dir ein Etikett aufkleben. Auch wenn ich Diamanten mag, kann ich mich auf meinen Job als Rennfahrer konzentrieren – immerhin bin ich Weltmeister geworden, das beweist doch, dass ich mich fokussieren kann. Aber um mein Leben einzuordnen, da brauche ich niemanden, der mir sagt, wo es langgeht.
Auch nicht im Privatleben? Wen fragen Sie um Rat? Den Vater? Die Verlobte?
Nein, ich wende mich an Gott im Gebet – wenn ich Ärger habe oder Antworten suche. Sicher wende ich mich auch an meinen Vater und an Freunde, um zu hören, was sie vorschlagen; doch meistens bete ich zu Gott.
Beten Sie auch für Michael Schumacher?
Ich schließe Michael oft in meine Gebete ein. Es fällt nicht leicht, darüber nachzudenken, was in der Formel 1 alles passieren kann, wie auch mit Jules Bianchi. Er ist so ein talentierter Kerl – dann passiert so ein Unfall. Es muss extrem hart sein, was seine Familie durchmacht. Ich glaube an Wunder – es wäre schön, wenn hier welche einträten.