Neuling gegen Champion: Noch muss Pascal Wehrlein (Nr. 94) den viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel überrunden lassen – doch irgendwann will er sich um Positionen mit ihm duellieren. Foto:  

Vergangenes Jahr kämpfte Pascal Wehrlein noch um den DTM-Titel, diese Saison wird er in der Formel 1 im unterlegenen Manor oft überrundet – doch genau das gehört zu seiner Ausbildung von der Pike auf: Erfahrung sammeln.

Herr Wehrlein, was hat Sie am meisten überrascht als Formel-1-Neuling?
Ganz ehrlich?
Natürlich.
Wirklich nichts, denn ich war ja Ersatzfahrer bei Mercedes, daher kannte ich das gesamte Drumherum, ich habe schon viele Rennwochenenden miterlebt in einem Team.
Aber ist das jetzt nicht etwas anderes als Stammpilot mit eigenem Cockpit?
Auf jeden Fall. Ich spüre, dass mir deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Die Rolle als Ersatzpilot ist schon komisch – du bist zwar dabei, aber irgendwie nicht mittendrin. Man spielt eine Rolle im Team, aber wenn man am Wochenende nicht fährt, ist man doch nicht ganz so wichtig.
Wie ein Ersatzspieler im Fußball.
Genau, das trifft es. In dieser Saison bin ich voll involviert in alles. Das ist schon cool.
Bei der Presserunde vorhin saßen fast 20 deutsche Journalisten um sie herum.
Das ist angenehm, das tut mir gut – obwohl wir mit Manor nicht gerade um Siege oder Podiumsplätze kämpfen.
Knapp ein Fünftel der Saison ist rum, die Plätze 16, 13, 18 und 18 stehen zu Buche. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Wir hatten zwei positive Rennen in Bahrain und in China; speziell in Bahrain war ich selbst überrascht, dass wir schon so stark sind. In China habe ich vier oder fünf Autos aus eigener Kraft hinter mir gelassen. Das wäre mit Manor in der vergangenen Saison nicht möglich gewesen. Zwei gute Rennen, aber auch zwei, die schwierig waren. Doch das war mir ja von Beginn an klar, dass es ein schwieriges Jahr wird.
Wie sieht es für Barcelona aus?
Positiv. Wir haben einen neuen Frontflügel, einen neuen Heckflügel und einen neuen Unterboden – das sollte Rundenzeit bringen. Außerdem habe ich Erfahrung auf der Strecke, die ersten vier habe ich nicht gekannt.
Also keine Eingewöhnungszeit nötig.
Genau. Ich kenne meine Referenzpunkte und muss mich nicht erst ans Limit herantasten. Ich kann sofort mit meiner Arbeit fürs perfekte Set-up beginnen.
Was dürfen wir diese Saison denn noch von Ihnen noch erwarten?
Unser Ziel lautete, den Anschluss zu finden. 2015 war Manor sechs Sekunden hinter der Spitze und etwa drei Sekunden hinter dem Vorletzten. Jetzt haben wir es geschafft, mit Teams wie Sauber und Renault zu kämpfen – da geht es oft sehr eng zu zwischen uns. So ist es für mich auch spannender – wenn man nur auf dem letzten Platz herumfährt in einem nicht konkurrenzfähigen Auto, da wird ein Jahr ganz schön lang.
Vor allem für einen, der 2015 DTM-Champion geworden ist.
Ja, vom Kopf her ist es eine große Umstellung. Aber so ist es nun mal in einem Lehrjahr. Ich bin drei Jahre DTM gefahren, jetzt bin ich wieder in einem Single-Seater: Wieder reinkommen, Erfahrung sammeln.
Wie schwierig ist es, wenn man in einem Zweikampf steckt, dann auch noch auf Autos zu achten, die einen überrunden wollen?
Wenn ich eine blauen Flagge sehe, dann zwei Kurven später wieder eine, dann kurz darauf noch eine, dann muss ich den Hintermann vorbeilassen, sonst bekomme ich eine Strafe. Insgesamt hat man für drei blaue Flaggen etwa eine halbe Runde Zeit. Mein Ziel muss sein, dass ich beim Überrundungs-Vorgang so wenig Zeit wie möglich verliere – und dass im besten Fall mein Konkurrent an einer so ungeschickten Stelle überrundet wird, dass er viel Zeit liegen lässt.
Und Sie am besten im Schlepptau auch gleich noch vorbei fahren können.
Eben.
Wie ist der Kontakt zu Mercedes?
Wir stehen in sehr engem Kontakt, und zwar an jedem Rennwochenende. Gerade auch mit Toto Wolff (Mercedes-Motorsportchef, d. Red.), wir sprechen nach jedem Rennen miteinander, er will ganz genau wissen, wie es für mich gelaufen ist, was gut und was weniger gut für mich war. Ich bin ja noch immer ein Mercedes-Junior.
Ein Aspekt, Sie bei Manor ins Cockpit zusetzen, war auch, dass man beobachten will, wie Pascal Wehrlein ein Team voranbringt.
Diese Rolle ist ja nicht ganz neu für mich. Vergangene Saison war ich irgendwann der einzige Mercedes-Fahrer mit Titelchancen in der DTM, so dass ich da auch die Richtung vorgeben musste. Jetzt mache ich dasselbe, ich bringe mich und meine Erfahrung als DTM-Pilot sowie als Ersatzfahrer bei Mercedes und Force India ein, um das Auto schneller zu machen.
Ihr Manor-Teamkollege Rio Haryanto fügt sich in seine Rolle als Nummer zwei?
Ich mag das nicht, Nummer eins, Nummer zwei. Wir haben beide das gleiche Mitspracherecht.
Wie wird Ihre Formel-1-Karriere zu Hause in Worndorf und Umgebung wahrgenommen?
Die Resonanz ist enorm, die Bekanntheit wird immer größer – in der Region sowieso, aber auch deutschlandweit und international. Ich bekomme selbst Interview-Anfragen aus Mauritius.
Aus der Heimat Ihrer Mutter.
Und zwar ziemlich viele. Das Interesse dort an mir ist extrem hoch. Ich bin zwar in Worndorf aufgewachsen und fühle mich als Deutscher, aber ich habe beide Staatsbürgerschaften. Deshalb freuen sich die Menschen auch auf Mauritius, Motorsport hat dort keine Lobby; es gibt ein paar Kart-Strecken, aber keine echten Rennstrecken – deshalb sind sie über einen halben Formel-1-Fahrer froh. Ich war letztes Jahr dort und habe ein paar Interviews im Radio und fürs Fernsehen gegeben.
Sind Sie ein Star auf Mauritius?
(Lacht.) Nein, die Kontakte haben sich noch im erträglichen Rahmen abgespielt.
Wenn die Formel 1 Ende Juli nach Hockenheim kommt, das dürfte für Sie ein ganz besonderes Wochenende werden.
Davon dürfen Sie ausgehen. Ich habe mein erstes Formel-1-Rennen in Hockenheim mit meinem Vater gesehen, da war ich fünf. Vergangenes Jahr wurde ich dort DTM-Champion. Es sind so viele wunderbare Erinnerungen mit Hockenheim verknüpft …
Als Fünfjähriger haben Sie gedacht, da will ich auch hin – und jetzt wird dieser Traum tatsächlich wahr.
Ja, darüber bin ich sehr dankbar. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dazu braucht es auch Glück. Wer weiß, ob ich von Mercedes die Formel-1-Chance bekommen hätte, wenn ich nicht DTM-Meister geworden wäre. Wäre ich im Kart nicht Meister geworden, wer weiß, ob ich in die Förderung der Stiftung Sport gekommen wäre, ob ich es überhaupt in die Formel Masters geschafft hätte. Es müssen ganz viele Dinge passen, um bis in die Königsklasse vorzustoßen.
Aber man muss auch, alle Prüfungen bestehen, um ganz nach oben zu gelangen.
Ich habe immer daran geglaubt, dass ich es schaffen kann, ich habe nach Rückschlägen nie aufgegeben. Ich war unzufrieden, wenn ich ein Rennen nicht gewonnen hatte. Wenn man einen Traum hat, muss man dafür kämpfen. Und wenn man hinfällt, wieder aufstehen.
Mit Mercedes könnte in der Formel 1 noch ein ganz anderer Traum wahr werden.
Darauf hoffe ich. Ich habe schon immer eine enge Beziehung zu Mercedes. Ich wohne eine Stunde von Stuttgart entfernt, mein Vater ist Schwabe so wie ich selber (spricht bewusst in Dialekt, d. Red.), wir fahren einen Mercedes seit ich mich erinnern kann. Ich hoffe, eines Tages im Mercedes in der Formel 1 zu starten, darauf arbeite ich hin.