Beliebt und bedrängt: Sebastian Vettel stellt sich gern der Ferrari-Fangemeinde. Foto: AFP

Die Ferrari-Fans bewundern die Fahrkünste von Sebastian Vettel und lieben seine fröhliche Art. Kann er wie Michael Schumacher dort Formel-1-Weltmeister werden und eine neue Ära prägen?

Monza - Monza, Italien, Ferrari: Drei Begriffe verschmelzen zum Mythos. In diesem Jahr feiert die Automarke aus Maranello ihren 70. Geburtstag. Ein Sieg von Sebastian Vettel an diesem Sonntag im Autodromo Nazionale di Monza kann den Feierlichkeiten das i-Tüpfelchen aufsetzen. Und der WM-Titel, Mamma mia, der würde den deutschen Rennfahrer unsterblich machen – für Monza, für Ferrari, für Italien.

Ohne Emotionen geht es nicht. 16 Sicherheitskräfte in orangefarbenen Overalls sind nötig, um einen losen Stahlzaun in der Boxengasse zu stützen. Der Andrang der Rotkäppchen ist so gewaltig, dass leicht jemand zerquetscht werden könnte. Grund der Hysterie ist die obligatorische Autogrammstunde des Ferrari-Piloten Sebastian Vettel in Monza. Der mahnt die Fans zur Ruhe, weil er sich sorgt.

Dann erfüllt er Autogrammwünsche, während sie rufen: „Sebastian, Sebastian, Sebastian!“ So geht es in einem fort. Eine Frau sitzt auf den Schultern ihres Mannes, wirft dem Piloten eine rote Kappe zu, die dieser nach der Unterschrift wieder zielsicher zurückschmeißt. Die junge Frau kreischt vor Glück, so wie Mädchen es tun, die dem Sänger Justin Biber vor einem Hoteleingang auflauern oder sonst wo.

Die Ferrari-Fans haben Vettel adoptiert

Sebastian Vettel sagt zu Recht, er sei nicht der neue Michael Schumacher, aber ein bisschen ist er es halt doch. Die Ferrari-Fans haben den Heppenheimer adoptiert wie seinerzeit den Kerpener Rekordweltmeister. Zwei deutsche Piloten führen die „bella macchina“ dorthin, wo sie hingehört – zum ersten Mal könnte Vettel in diesem Jahr Ferrari-Weltmeister werden. Er wandelt damit auf den Spuren des großen Vorgängers, ob er will oder nicht.

Dass deutsche Gründlichkeit und deutscher Ehrgeiz der charmant chaotischen Firmenphilosophie der roten Sportwagenmarke auf die Sprünge helfen müssen, das haben die Italiener nicht nur akzeptiert, sie äußern auch ihre Bewunderung für die Fahrkünstler. „Erst Michele, jetzt Sebastian – beide sind tolle Jungs und die besten Rennfahrer der Welt“, sagt zum Beispiel Giuseppe, der eine kleine Bar in Monza besitzt. Dort hört er die Motoren röhren, die auf der Vollgaspiste im Königlichen Park zur Trainingssession auf die Piste rasen. Dekoriert ist seine kleine Bar mit Fotos großer Helden: Lauda, Senna, Piquet – Monza-Sieger sind sie alle.

Einen Vespa als kleiner Liebes-Beweis

Der etwas steif wirkende Schumacher musste sich die Zuneigung der Italiener erarbeiten. Mit jedem seiner fünf Ferrari-Titel hatten sie ihn mehr ins Herz geschlossen – auch wenn seine Dirigenten-Einlage beim Abspielen der italienischen Nationalhymne eher Verwunderung auslöste. Sebastian Vettel dagegen haben die Tifosi und die Ferraristi sofort gemocht. Dieser Tage parkt zwischen den roten Trucks eine weiße Vespa, mit einem Schwarz-Rot-Gold-Streifen und der Aufschrift: „Einer von uns.“ Ein Weihnachtsgeschenk vom Team – und auch ein kleiner Liebesbeweis ist das. Der Pilot nutzt den Roller vor allem in Monza und knattert damit herum. „Wenn ich mir Sebastian anschaue, dann ist er auf viele Arten bereits mehr Italiener als viele von uns“, sagt der Fiat-Chef Sergio Marchionne über den 30 Jahre alten Piloten, dessen Italienisch hörbar Fortschritte macht.

Die Vertragsverlängerung bis 2020 kommt deshalb auch nicht von ungefähr. Der „Seb“, wie sie ihn rufen, fühlt sich wohl. Seine fröhliche Art, sein Humor, die Fähigkeit, Emotionen zu zeigen – all das kommt bei den Italienern an. Schumacher war emotionsärmer, zumindest konnte er seine Gefühle oft nicht so zeigen. Vettel dagegen trifft den Ton, der die Italiener rührt. „Ich liebe das Team, ich liebe diese große Marke. Ferrari ist einzigartig“, sagte der 30-Jährige nach seiner Vertragsunterzeichnung ein bisserl pathetisch, aber man konnte ihm das glauben. Dieser Meinung war er allerdings nicht immer. Als es in den vergangenen Jahren nicht rundlief, da machte er hin und wieder ein Gesicht, als sehe er bei Ferrari keine Zukunft mehr.

Der WM-Kampf kann es noch in sich haben

Die Gemütslage hat sich in dieser Saison gewaltig geändert. Zuletzt in Spa blieb der Ferrari von Vettel dem Mercedes von Lewis Hamilton dicht auf den Fersen. „Es kommt selten vor, dass man noch mit Vollgas über die Ziellinie fahren muss“, wunderte sich der Brite über die Kraft, die das rote Auto neuerdings auch auf Hochgeschwindigkeitskursen entfaltet. Mit sieben Punkten führt Vettel die WM noch vor dem Engländer an – dieser WM-Kampf kann es noch in sich haben.

Entsprechend zuversichtlich präsentiert sich Sebastian Vettel vor dem Italien-Grand-Prix, den er schon dreimal gewann, aber noch nie in einem Ferrari. „Die Form, die wir in Spa gezeigt haben, und das Tempo, das wir im Rennen gezeigt haben, waren echt. Wir haben Fortschritte an allen Fronten gemacht“, sagt er und trifft abermals den Ton im Hinblick auf die Tifosi, die Monza in ein Meer von roten Mützen verwandeln. „All die Liebe und Leidenschaft, die wir bisher erhalten haben, wollen wir zurückgeben“, sagt Sebastian Vettel – der Italiener mit hessischen Wurzeln.