Lewis Hamilton gegen Nico Rosberg – ohne Schampus geht es nicht. Foto: AFP

Lewis Hamilton als Erster und Nico Rosberg als Zweiter liefern herrvoragende Arbeit ab – jeder macht den Job, den er erledigen muss. Bleibt es dabei, wird der Deutsche Weltmeister.

Stuttgart - Lewis Hamiltons Sieg im denkwürdigen Regenchaos von Sao Paolo war sein dritter Erfolg nacheinander. Es liegt deshalb auf der Hand zu glauben, Nico Rosberg gehe im Finale der Formel-1-Saison 2016 jetzt mächtig die Düse. Er befürchtet wohl, am Ende doch wieder mit leeren Händen dazustehen – und das Jahr zu beenden als eine dieser tragischen titellosen Figuren. Willkommen im Club der Niemals-Weltmeister!

Lothar Linz ist da anderer Meinung. „Rosbergs Empfindungen werden medial immer so beschrieben, aber ich sehe das nicht so, denn es ist doch perfekt für ihn gelaufen“, sagt der Sportpsychologe aus Bergisch Gladbach. Der zweite Platz sei das gewesen, was er gebraucht hätte. Mit dem dritten Rang, auf den ihn der Red-Bull-Pilot Max Verstappen in Sao Paolo kurzzeitig zurückversetzt hatte, wäre Rosbergs Ausgangslage für das Saisonfinale in Abu Dhabi in zwei Wochen viel schwieriger geworden.

Geschäftsmäßig abgewickelt

So aber habe sich Rosberg mit dem zweiten Platz am Ende der Regenschlacht von Brasilien sehr viel Luft verschafft. „Er befindet sich in einer sehr kontrollierten Situation“, sagt Lothar Linz, der glaubt, dass sich der Rennfahrer die Butter nicht mehr vom Brot nehmen lassen wird. Es muss nur so weitergehen wie bisher. Dann ist die WM-Entscheidung eine Angelegenheit, die geschäftsmäßig abgewickelt wird.

Vor dem letzten Rennen im Wüsten-Emirat wird dennoch viel hineininterpretiert werden in die psychische Verfassung der beiden WM-Kandidaten. Wer hat Angst? Wer riskiert zu viel? Wer verkrampft? Auch wird zu beobachten sein, wer kleine Psychospielchen auspackt vor dem großen Showdown in zwei Wochen. Im Hinblick auf diesen Punkt ist davon auszugehen, das Hamilton da im Vorteil ist.

Im Prinzip aber erledigen die beiden Mercedes-Piloten zurzeit ihren Job auf sehr hohem Niveau. Hamiltons letzte Chance sind Siege – also gewann er die vergangenen drei Wettfahrten auch. Rosbergs WM-Garantie sind zweite Plätze – also wurde er dreimal nacheinander Zweiter. Beim Finale kann er sich sogar Rang drei erlauben, und er wäre bei einem Sieg des Kontrahenten trotzdem erstmals in seiner Karriere Weltmeister. „Hamilton zeigt eine Top-Performance, obwohl er das Messer an der Gurgel hat“, sagt Linz und führt diese Herangehensweise auch auf das Draufgängertum des Engländers zurück. Und was Rosberg betreffe, so mache dieser einen sehr stabilen Eindruck und zeige seinerseits, was nötig sei: Zweiter werden, kein Risiko eingehen, cool bleiben. Mit der kontrollierten Offensive geht es in Richtung des großen Ziels.

Kluge Defensivstrategie

Vor allem im Regenchaos von Brasilien tat der gebürtige Wiesbadener gut daran, nach den Safetycar-Phasen Hamilton immer wieder ziehen zu lassen. Ihn zu attackieren, hätte auf patschnasser Fahrbahn den eigenen Ausfall bedeuten können. Interessant kann das letzte Saisonrennen in Abu Dhabi eigentlich nur werden, sollte Rosberg aus irgendwelchen Gründen nur vom fünften Startplatz aus ins Rennen gehen. Dann muss er aufholen. Und dann wird es happig.

Doch kommt es so wie erwartet, besitzt Nico Rosberg psychologisch einen Vorteil. Er weiß, dass sein Auto das Potenzial für den zweiten Platz hat – deshalb ist er in den vergangenen Rennen auch erkennbar defensiver zu Werke gegangen. Das eher ungute Gefühl dürfte nach Ansicht von Lothar Linz im Saisonfinale Lewis Hamilton haben. „Er wird zwar voll attackieren und hoffen, dass das Glück etwa durch einen Motorplatzer an Rosbergs Auto doch noch zu ihm kommt“, sagt der Psychologe, „doch im Grunde wird er sich denken: ,Mist’, ich habe es nicht mehr in der Hand.’“

Tatsächlich sagt Lewis Hamilton: „Ich bin glücklich, dass die Entscheidung nun erst beim letzten Rennen fällt – jetzt kann ich mich nur noch darauf konzentrieren, so stark wie bei den letzten paar Rennen zu sein.“ Nico Rosberg teilt derweil offenbar etwas im Übereifer mit, er werde in Abu Dhabi „alles für den Sieg geben“. Dabei reicht es schon aus, das aus Max Verstappen und Daniel Ricciardo bestehende wiedererstarkte Red-Bull-Duo nicht zwischen sich und den Mercedes-Kollegen zu lassen. Dies dürfte klappen, zumal in Abu Dhabi mit allem zu rechnen ist – nur nicht mit Regen. Das ist ein ganz klarer Vorteil für Rosberg, der die WM mit zwölf Punkten vor Hamilton anführt.

Rosberg steht am Elfmeterpunkt

Seinen WM-Elfmeter, den muss Nico Rosberg also nur noch verwandeln. Trifft er nicht, dann wäre das verheerend für ihn – er hätte dann zum dritten Male nacheinander gegen Hamilton den Kürzeren gezogen. „Das würde ihm zusetzen und ihn bei seinen Fahrerkollegen viel Ansehen kosten“, sagt Lothar Linz. Das Stigma, tatsächlich nur der ewige Zweite zu sein, es würde ihn nie wieder loslassen – außer, er holt später noch irgendwann mal einen Titel. Linz glaubt allerdings nicht, dass es soweit kommt: „Rosberg wird 2016 Weltmeister!“