Da fliegen die Fetzen: Nico Rosberg (hinten) gegen Lewis Hamilton. Foto: Getty

2014 erlebte Formel-1-Pilot Nico Rosberg ein Desaster beim Großen Preis von Belgien in Spa, nun will er zurückschlagen und den Abstand auf Teamkollege Lewis Hamilton verkürzen. Doch Rosbergs Konzentration ist gefährdet.

Spa-Francorchamps - Ein Kind kostet einen Fahrer eine Zehntelsekunde pro Runde. Diese (wissenschaftlich nicht nachgewiesene) Faustregel galt bis in die 1990er Jahre; als aber die Formel-1-Piloten immer häufiger Vater wurden, wuchsen die Zweifel am kausalen Zusammenhang zwischen Beruf und Privatleben eines Rennfahrers. Schließlich degradierte Michael Schumacher die These zur Milchmädchenrechnung, weil er nach der Geburt seiner Tochter Gina 1999 in den Jahren 2000 bis 2004 fünfmal in Folge Weltmeister wurde. Der Zehntelsekunden-Ballast hat im Fahrerlager längst seinen Schrecken verloren – dennoch könnte es sein, dass der Nachwuchs Nico Rosberg beim Großen Preis von Belgien mehr beschäftigt als ihm lieb ist. Vivian Rosberg erwartet zu Hause in Monaco dieser Tage das erste gemeinsame Kind, und der werdende Papa würde liebend gerne dabeisein, wenn das Töchterchen das Licht der Welt erblickt.

Glücklicherweise hat der gebürtige Wiesbadener einen nachsichtigen Arbeitgeber. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, selbst noch kinderlos, hat versprochen, dass Rosberg „sofort losfliegen darf, sobald sich das Baby ankündigt. Dafür bekommt er frei von mir“. Damit der 30-Jährige noch rechtzeitig von den Ardennen ans Mittelmeer kommt, steht für ihn im Fahrerlager ein Chauffeur bereit, der ihn jederzeit nach Lüttich fahren kann; dort wartet ein Privatjet, der den Vizeweltmeister in gut zwei Stunden nach Nizza fliegen kann.

Nico Rosberg glaubt natürlich auch nicht an die Mär des Zehntels, er will vielmehr versuchen, aus der Geburt der Tochter zusätzliche Motivation zu ziehen. „Es kann auch sein, dass sich Eltern noch mal extra ins Zeug legen, wenn Nachwuchs da ist“, betont der 30-Jährige und merkt an: „Wer will seinem Kind denn nicht etwas Besonderes hinterlassen?“ Und außerdem lehrt die Historie der Familie Rosberg, dass ein Kind kein Bremsklotz sein muss. „Mein Vater ist die schnellste seiner Runden nach meiner Geburt gefahren“, sagt der Mercedes-Pilot.

Rosberg und Hamilton sind die Favoriten

So gesehen wäre es nicht schlecht, wenn der Nachwuchs noch vor dem Rennen am Sonntag (14 Uhr/RTL) geboren würde, Nico Rosberg muss gegenüber Lewis Hamilton 21 Punkte aufholen. Der Grand Prix von Belgien ist der elfte von 19 Großen Preisen, der Deutsche muss nun mal beginnen, den Respektabstand zum Champion zu verringern. Der Ardennen-Kurs wäre prädestiniert dafür – denn im Vorjahr hatte Rosberg mit seinem unglücklichen Manöver gegen Hamilton einen Tiefpunkt – und für große Turbulenzen im Team und für erhöhte Blutdrucke bei den Teambossen gesorgt. Eine öffentliche Watschn hatte Rosberg im Anschluss kassiert. „Dieser Crash war eine große Lehre“, sagt er nun, „ich habe einen Fehler gemacht, den ich nicht wieder machen werde.“ Die Geschichte ist abgehakt, Belgien 2015 beginnt wieder bei null. „Es liegt an mir, ob ich Lewis schlage oder nicht“, sagt Rosberg, „ich muss mir diese Chance erarbeiten und dann nutzen.“

Während sich die Rosbergs in der Sommerpause darauf konzentriert haben, eine Familie zu werden, hat Weltmeister Lewis Hamilton sein Single-Dasein ausgekostet. „Ich habe mich erholt, trainiert und meine Akkus aufgeladen“, gab der 30-Jährige brav an, ein Blick auf Twitter und Instagram zeigt allerdings, was der Engländer unter „Akkus aufladen“ versteht. Fotos mit Schauspieler-Legende Jack Nicholson, Party-Aufnahmen mit Popstar Rihanna auf Barbados und in New York – der Glamour-Rennfahrer frönte seiner Vorliebe für luxuriösen Zeitvertreib. „Ich werde in Spa zurückschlagen“, tönt Hamilton mit Blick auf das Rennen vor vier Wochen in Ungarn, wo Mercedes ein Desaster erlebte und erstmals seit November 2013 kein Silberpfeil-Pilot auf dem Podium gestanden hatte.

Die Experten sind sich einig, dass sowohl Hamilton als auch Rosberg die Favoriten für das Rennen auf der belgischen Hügelbahn sind, Ungarn dürfte eine absolute Ausnahme gewesen sein. Auch Jacques Villeneuve, Champion von 1997, ist dieser Ansicht. Allerdings warnt der Kanadier Rosberg davor, sich zu sehr auf seine Tochter zu konzentrieren. „Nico hat das Zeug, Weltmeister zu werden, wenn er all seine Kräfte bündelt und sich ganz auf die Formel 1 konzentriert“, meinte Villeneuve, „heute hat sich das Rollenverständnis so verschoben, dass auch die Väter viel Verantwortung übernehmen.“ Ein freundlicher Rat kann nicht schaden, Monsieur Villeneuve ist Vater von zwei Söhnen. Allerdings wurden die erst geboren, da schaute „Jacques attaque“ die Formel 1 nur noch aus sicherer Entfernung an.