Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff übergießt Lewis Hamilton mit Rosenwasser nach dessen WM-Gewinn im November 2014 Foto: Getty

Nico Rosberg fühlt sich elend, wenn Lewis Hamilton triumphiert; jubelt der Deutsche, schaut der Brite missmutig aus der Wäsche. In Kanada ist die Stimmungslage noch nicht ausgelotet.

Montreal - Absolut standesgemäß rollte Nico Rosberg zum Circuit Gilles Villeneuve. Der Vizeweltmeister chauffierte einen offenen Mercedes S 170, Baujahr 1949, zur Rennstrecke auf der Ile Notre-Dame, ganz wie es sich für einen Silberpfeil-Piloten gehört: stilvoll und gemütlich, um den Fahrgenuss vollkommen auszukosten. „Das war eine Hammer-Erfahrung“, sagte der Oldtimer-Liebhaber.

Beim Großen Preis von Kanada an diesem Sonntag (20 Uhr/RTL) in Montreal wird es der gebürtige Wiesbadener eiliger haben. Der dritte Sieg nacheinander ist seine Motivation – Rosberg befindet sich nach den Erfolgen in Monaco und Spanien in einem Hochgefühl. Davor durchlebte er eine längere Leidenszeit von März bis Anfang Mai, weil Teamkollege Lewis Hamilton unschlagbar schien. „Es gibt im Motorsport eben Zeiten, die schwieriger sind und aus denen man sich selbst rausziehen muss“, sagt der 29-Jährige, „das habe ich getan.“

In dieser zermürbenden Phase des Rennfahrerlebens befindet sich gerade der Weltmeister. In Barcelona besiegt, in Monte Carlo durch einen Strategiepatzer um den Sieg gebracht – doch davon wollte Lewis Hamilton in Kanada nichts mehr hören. „Diese Fragen“, knurrte er, „sind irrelevant. Ich schauen nur nach vorn. Ich stehe doch immer noch aufrecht, bin immer noch stark.“ Seine psychologische Beratung hat gute Arbeit geleistet. Jedem Profi-Sportler wird eingetrichtert, nach einer Niederlage das Geschehene abzuhaken, negative Gedanken wegzuschieben, und die Chance betonen, es besser zu machen. Vor allem: den Gegnern, darunter WM-Konkurrent Rosberg, keinerlei Schwäche oder Angriffsfläche zu präsentieren.

Der eine Fahrer freut sich auf den Grand Prix wie ein Schüler auf die Sommerferien, der andere sehnt die Revanche herbei wie ein Gefängnisinsasse seine Entlassung. Zwei hoch motivierte Angestellte – eigentlich alles bestens bei Mercedes, oder? Nicht ganz, das meint zumindest Marc Surer. Der ehemalige Formel-1-Pilot glaubt, dass Hamiltons Vertrauensverhältnis zu seinem Team wegen der Monaco-Geschichte stärker gelitten hat, als er preisgibt. „Lewis hat schon häufiger an den Anweisungen des Teams gezweifelt“, sagt der Schweizer, „das war in der Vergangenheit bei etlichen Funksprüchen zu hören. Daher denke ich, die Spannung bei Mercedes ist im Moment noch etwas größer.“

Dass es bei Mercedes zwischen den Fahrern knistert, ist nicht neu, dass beide ihre Psycho-Spielchen abziehen, ebenfalls nicht. Es herrscht ein Reizklima. Toto Wolff versichert, dass er sich mit der Situation keinesfalls überfordert fühlt. „Zwei Fahrer, die einander mit ihrer Leistung ausstechen wollen – das ist eine traumhafte Situation für ein Team, wenn man mit der Rivalität auf die rechte Art umgeht“, betonte der Motorsportchef mehrfach. Bislang gelang es dem Österreicher stets, deeskalierend auf seine Fahrer zu wirken. Der Sturm von Rosberg nach Bahrain, wo sich der Deutsche von Hamilton ausgebremst fühlte, hat sich gelegt, auf die Eiszeit des Briten nach Monte Carlo folgte mildes Tauwetter.

Hamilton oder Rosberg? Unter normalen (Renn-)Umständen wird wohl ein Silberpfeil-Fahrer ganz oben auf dem Podest stehen. Ferrari scheint trotz neuen Wundersprits und mehr PS noch nicht stark genug für einen Sieg aus eigener Kraft. Womöglich gibt es für beide Mercedes-Piloten eine Dusche: für den Gewinner des Gran Prix eine mit Champagner, für den anderen eine kalte.