Das Formel-1-Team Mercedes nimmt die erforderliche Aufholjagd ernst und fährt mit einem komplett überarbeiteten Auto durch Monte Carlo.
Die Fotografen im Fahrerlager am Hafenkai waren bei der Wahl des spannendsten Motivs vor dem Großen Preis von Monaco unsicher. Sollte es die kompliziert verdrehte Vorderradaufhängung am runderneuerten Formel-1-Rennwagen von Mercedes sein, oder doch lieber das Bällebad auf der schwimmenden Party-Plattform von Red Bull Racing? Üblicherweise ist es der Glamour, der bei dem etwas in die Jahre gekommenen Grand Prix zieht. Aber durch die Absage des WM-Laufs in Imola nach den Überflutungen rückt das Ausnahmerennen auch sportlich stärker in den Fokus.
Verspäteter Europastart
Monte Carlo markiert 2023 den verspäteten Europastart, und das abgestürzte Weltmeisterteam von Mercedes präsentiert ein vom Prinzip her komplett neues Auto, was ebenso ungewöhnlich ist. Der ewige Titelaspirant Ferrari hingegen wird sein verändertes Heck erst kommende Woche in Barcelona auf einer herkömmlichen Rennstrecke einsetzen. Dass Mercedes sich mit den Neuteilen auf den engen und unfallträchtigen Stadtkurs an der Cote d’Azur wagt, lässt sich als Mut der Verzweiflung werten. Wobei es interpretierbar bleibt, auf welchem der beiden Wörter die Betonung liegt.
Rekordweltmeister Lewis Hamilton, der seit 18 Monaten kein Rennen mehr gewonnen hat, verrät, dass die ganze Firma die Tage gezählt habe, bis die überholte Version des W 14 am Freitag zum ersten Training an den Start gerollt ist. Mercedes hat nach einem verkorksten ersten Rennjahr unter dem neuen Reglement auch zu Beginn dieser Saison an dem Konzept eines ultraschlanken Autos festgehalten, gleichwohl das Bauchgefühl von Hamilton und Teamchef Toto Wolff ein anderes gewesen war. Aber die beiden Führungspersonen des britisch-deutschen Werksrennstalls hatten sich von den Ingenieuren beschwatzen lassen. Doch schon beim ersten Test war klar, dass die vielversprechenden Windkanalwerte sich wieder nicht in entsprechende Ergebnisse auf dem Asphalt umsetzen lassen würden. Ein weiteres Krisenjahr hätte das vormalige Siegerteam in eine Abwärtsspirale gestürzt. Trotz Budgetobergrenze fiel Ende Februar der Entschluss für den Neuwagen. Ein Vierteljahr ist nicht viel Zeit, aber soll alles verändern.
Optisch gelungen
Rein optisch ist das gelungen. Das in Monte Carlo präsentierte Fahrzeug hat plötzlich wieder auffällige Ausbuchtungen an den Seiten, eine neue Motorabdeckung, vor allem aber einen komplett neuen Unterboden. Dieses fürs Auge kaum sichtbare Teil definiert die Leistungsfähigkeit eines modernen Formel-1-Autos. Viele Beobachter erwarteten eine Abwandlung der so überlegenen Fahrzeuggeometrie von Red Bull, doch die Blöße, nach einer Kopiervorlage zu arbeiten, wollten die stolzen Herren der Silberpfeile sich nicht geben.
Zu viel erwarten sie sich vom Auftakt in Monte Carlo nicht, es ist eher ein Warm-up. Die Konkurrenz ist neugierig, zum Teil auch angespannt. Wenn ein Team die Wende im laufenden Rennbetrieb zugetraut wird, dann wohl Mercedes. Dort dämpft man die Erwartungen. Ein Allheilmittel gebe es in der Formel 1 ohnehin nicht, sagt Wolff, aus dem ersten Auftritt in Monaco könne man noch nicht zu viele Schlüsse ziehen. Aber es sei ein Anfang, eine Erfahrung, auf die sich in den kommenden Monaten aufbauen lasse.
Die wahre Mammutaufgabe hatte ja Rennstallsprecher Bradley Lord bereits in dieser Zeitung angekündigt: „Mercedes baut am Siegerteam der Zukunft.“ Dem folgen immer mehr Taten, wie auch Rekordweltmeister Hamilton gerade festgestellt hat: „Es gibt eine Menge Leute im Team, die all den Erfolg hatten, den wir in der Vergangenheit hatten. Und es gibt jetzt eine Menge Leute, die diesen Erfolg noch nicht hatten und sehr hungrig sind.“ Der 38-Jährige selbst schmunzelt derweil über Gerüchte, er wolle zu Ferrari abwandern. Freiwillig vom Regen in die Traufe und im hohen Alter zu einem Team wechseln, das seit anderthalb Jahrzehnten titellos ist? Seine Anwälte seien fast durch mit der Vertragsverlängerung bei Mercedes.
Neuer Campus
Zum neuen Personal in Silber gehört auch Jayne Poole, im vergangenen Jahr noch Chief Operating Officer bei Red Bull und heute Sonderberaterin. Ihre Aufgabe ist es, die Stärken und Schwächen der aktuellen Infrastruktur bei Mercedes zu bewerten und das Potenzial für Verbesserungen zu erkennen. „Wenn eine Organisation ausgereift ist, braucht man hin und wieder eine Außenperspektive und muss sie aufrütteln“, sagt Toto Wolff. Poole helfe Mercedes, den nächsten Schritt zu tun.
In Beton gegossen und durch üppige Grünflächen ergänzt werden diese Absichten in Form eines neuen Technik-Campus im Stil des Silicon Valley. 80 Millionen Euro werden in die Erweiterung der Teamzentrale investiert, die auch den Stil des Arbeitens verändern soll. Wolffs Botschaft dahinter: „Natürlich kann man sagen, dass ein Fitnessraum das Auto nicht schneller macht. Aber wenn der Fitnessraum für mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeitern sorgt, dann macht es auch das Auto schneller.“