Lewis Hamilton rattert durchs Kiesbett und beschädigt seinen Silberpfeil – er landet auf Platz neun. Foto: AFP

Der chaotische Heim-Grand-Prix für das Weltmeister-Team gerät zu einem üblen Schlag ins Wasser – Valtteri Bottas landet in der Bande, Lewis Hamilton auf Platz neun. Klicken Sie sich in unserer Bildergalerie durch das Chaos-Rennen von Hockenheim.

Hockenheim - Die Filmcrew von Netflix, die für die Dramaserie „Drive to survive“ zum ersten Mal zu Gast bei Mercedes waren, hatten sich das richtige Wochenende ausgesucht, zumindest aus dramaturgischen Gründen – wann kann man die Siegerpfeile schon mal so auf dem falschen Fuß erwischen wie beim Hockenheim-Spiel? „Wir haben ihnen mehr Geschichten geliefert als sonst“, sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der auch eine halbe Stunde nach dem Halbzeitrennen noch in der Tonlage Moll spricht, „es war ein schrecklicher Tag für uns.“

Die Feiern zu 125 Jahre Motorsport, der 200. Formel-1-Einsatz eines Mercedes-Werksteams, der Werbekostenzuschuss von angeblich fünf Millionen Euro für Hockenheim – gut angelegt, weil so viele Fahrer in die Stuttgarter Werbebanden crashten, leider auch die beiden eigenen. Noch etwas blasser als Wolff war der neue Daimler-Chef Ola Källenius. Erst die Gewinnwarnung für die Börse und jetzt gleich noch eine in der Königsklasse hinterher, der Schwede saß bleich mit am Pult in der Boxengarage.

Slapstick beim Chaos-Stopp

Abgesehen davon, dass dieses Rennen nicht mit normalen Maßstäben zu messen war, und dass die Mercedes-Strategen in der Reifen-Lotterie ein paar Nieten gezogen haben, bleibt die für die Formel 1 an sich gute Botschaft, dass der Branchenführer zu schlagen ist, dass weder der erkältete Champion Lewis Hamilton noch die Siegerpfeil-Mannschaft unschlagbar sind. Red Bull ist nach Max Verstappens zweitem Sieg innerhalb von drei Rennen mindestens so gefährlich als Verfolger wie Ferrari. Eine Krise ist es natürlich nicht, die Mercedes da durchmacht – allerdings ein Tiefschlag, mehr oder weniger selbst verursacht.

Das Desaster soll zügig bewältigt werden, am Wochenende steht in Ungarn gleich der nächste Grand Prix an. Szenen wie der einminütige Chaos-Stopp von Hamilton kannte man als unfreiwilligen Slapstick zuletzt eher von Ferrari, Disziplin und Überlegtheit sind die Gründe für die silberne Erfolgsära. Aber wenn der Weltmeister in der Zielkurve aus dem Kies quer über die Fahrbahn und den Grünstreifen plötzlich vor den Garagen auftaucht, dann ist das erklärbar, vielleicht sogar entschuldbar. Aber so ticken sie nicht im Hauptquartier in Brackley. Von einem Reporter gefragt, wie peinlich das sei, entgegnet Wolff gefestigt: „Das ist nicht peinlich. Das ist Racing.“

Manöverkritik wird härter ausfallen als sonst

Aber natürlich wird das De-Briefing und die Manöverkritik härter ausfallen als sonst, spätestens, wenn die Verantwortlichen die RTL-Aufzeichnung gesehen haben, in der der Einfach-Weltmeister Nico Rosberg gar nicht genug davon gekommen kann, auf die „katastrophalen Fehler“ hinzuweisen und unbedingt Hamiltons Dreher, der ihn aus den Punkten und auf Platz elf geworfen hat, sehen will. Nur dank der Zeitstrafen für die beiden Alfa-Piloten wegen einer verbotenen Kupplungseinstellung vor dem Start rückte Hamilton auf den neunten Platz vor und bekommt noch zwei WM-Punkte. „Wir werden die Köpfe zusammenstecken und lernen, von dem was falsch gelaufen ist“, ordnet Wolff an, „es waren schon immer solche Tage, die uns stärker gemacht haben. Wir werden es rational betrachten, jede einzelne Aktion aufschreiben. Wir siegen nicht nur gemeinsam, wir leiden auch zusammen.“ Ansonsten aber heiße es „zurück zum Normalbetrieb“.

Auch für Valtteri Bottas, der statt auf dem Podium in den Reifenstapeln landete, und damit seine WM-Chance, aber auch die auf eine Vertragsverlängerung im August geschwächt hat. Man solle nicht vergessen, in welcher Position man sich immer noch befinde, mit neun Siegen in elf Rennen, mahnt Wolff, aber er spricht von einem „bitteren Moment“. Und dann sagt er etwas über Bottas’ Situation, was eigentlich ganz allgemein gilt: „Du darfst den Schmerz spüren. Aber Du musst zurückkommen. Ich erwarte ein starkes Resultat in Ungarn.“

Noch übler als Mercedes erwischte es übrigens einen TV-Sender. Dessen Lastwagen vollgepackt mit Übertragungstechnik hatte am Samstagmorgen Feuer gefangen und war trotz schnellen Eingreifens der Feuerwehr komplett abgebrannt. Der Schaden: drei Millionen Euro.