Die Rivalen der Rennbahn: Weltmeister Lewis Hamilton (li.) und Herausforderer Sebastian Vettel Foto: AP

Wenn am Sonntag mit dem Großen Preis von Australien (7.10 Uhr MEZ/RTL) die Saison beginnt, schicken sich zwei Alphatiere an, dieselbe Stufe wie Formel-1-Legende Juan Manuel Fangio zu erklimmen. Sebastian Vettel und Lewis Hamilton wollen jeweils ihren fünften WM-Titel gewinnen, was einige Brisanz birgt.

Melbourne - Juan Manuel Fangio. Dieser Name besitzt seit mehr als einem halben Jahrhundert einen exzellenten Klang in der Welt des Motorsports. Juan Manuel Fangio war ein Gentleman im Renncockpit, wie Hans Herrmann (90), der schwäbische Teamkollege des Argentiniers in den 1950er Jahren bei Mercedes, seine Geschichten mit blumigen Worten gerne ausmalte. Norbert Haug, der Mercedes-Motorsportchef von 1990 bis 2012, wusste ebenfalls zahlreiche Anekdoten um den 1995 verstorbenen Rennfahrer zu berichten, alle handelten sie von einem „durch und durch feinen Menschen“. Was Juan Manuel Fangio in der Rennsport-Historie unsterblich machte, sind seine fünf Weltmeisterschaftstitel. Dass Michael Schumacher diesen Meilenstein mit sieben Triumphen 2004 hinter sich ließ, tat der Ehrerbietung für den Herrenfahrer aus Buenos Aires keinen Abbruch. Juan Manuel Fangio gilt fraglos als Formel-1-Legende.

Anno 2018 schicken sich zwei Auserwählte an, dieselbe exponierte Stufe wie der Argentinier zu erklimmen. Lewis Hamilton und Sebastian Vettel. Beide waren bisher viermal Weltmeister; der Deutsche von 2010 bis 2013 während seiner Red-Bull-Ära, der Brite 2008 im McLaren-Mercedes sowie 2014, 2015 und 2017 im reinrassigen Mercedes-Silberpfeil. Natürlich will jeder den fünften Titel – und zwar als Erster. So sind Rennfahrer eben genetisch gestrickt; nicht umsonst heißt es in der Hochgeschwindigkeitsbranche kurz, knapp und klar: Der Zweite ist der erste Verlierer.

Ein Gentleman wie Fangio würde 2018 niemals Weltmeister

In jeder Epoche der Formel 1 gab es diese archaischen, diese prickelnden Zweikämpfe um die Vorherrschaft im Rennfahrer-Rudel – Jim Clark gegen Graham Hill, Jackie Stewart gegen Emerson Fittipaldi, James Hunt gegen Niki Lauda, Ayrton Senna gegen Alain Prost, Mika Häkkinen gegen Michael Schumacher. Nun lautet das Duell der Dekade Vettel gegen Hamilton. „Lewis hat bewiesen, dass er zum Kreis der Größten in diesem Sport gehört“, sagt Ross Brawn, einst genialer Ingenieur und nun bei Formel-1-Eigner Liberty Media, „im Auto wirkt er immer so, als habe er alles im Griff – das spricht für sein ungeheures Gefühl.“ Gleichermaßen lobt Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne seinen teuersten Angestellten. „Vettel ist ein grandioser Fahrer“, bemerkt der Italiener, „er hat schon unzählige Male bewiesen, wie außergewöhnlich er ist.“

Beide sind bereit für Titel Nummer fünf. Im 21. Jahrhundert allerdings wird niemand Formel-1-Weltmeister, wenn er sich wie Fangio ganz und gar der Strategie Fair Play verschriebe; würde jemand Vettel oder Hamilton als Gentleman-Piloten bezeichnen, jeder der beiden wäre wahrscheinlich ziemlich verwundert – und vielleicht sogar beleidigt. Der Heppenheimer lieferte sich in seinen Anfangsjahren bei Red Bull eine ausdauernde Privatfehde mit Stallrivale Mark Webber, im Cockpit streifte der Deutsche dabei ganz selten die Samthandschuhe über. Bei Ferrari angekommen, stellt keiner mehr die Führerschaft des 30 Jahre alten Hessen infrage – Teamkollege Kimi Räikkönen hat sich längst mit seiner Nebenrolle als braver Helfer begnügt, ganz wie im Comic, wo der jugendliche Robin den Superhelden Batman im Kampf gegen das Böse unterwürfig unterstützt.

Der Mercedes-Motor arbeitet effizienter

Hamilton hat sich den Platz an der Spitze der Nahrungskette im Mercedes-Team erkämpft, und zwar nicht, indem der Brite als Everybody’s Darling die Probleme beiseitegelächelt hätte. Der 33-Jährige hat ausgeteilt und musste einstecken; wobei er Ersteres bevorzugte. Als Neuling hat er 2007 Doppel-Weltmeister Fernando Alonso die Stirn geboten, später dominierte er McLaren-Kollege Jenson Button – und die hochexplosiven Begegnungen mit Nico Rosberg bei Mercedes neben und auf den Rennstrecken stehen in den Motorsport-Büchern. Seit der Deutsche Ende 2016 als Weltmeister abgetreten ist, schwingt Lewis I. das Zepter im Herrschaftsgebiet von Mercedes, Kollege Valtteri Bottas fügt sich in das scheinbar unausweichliche Schicksal der Finnen in der Formel 1, das Landsmann Räikkönen bei Ferrari fristet: in das des Erfüllungsgehilfen.

Mit ihrem Drang zur Dominanz haben Hamilton und Vettel das erste Gebot des Motorsports umgesetzt, das besagt: Der Erste, den du schlagen musst, ist der Teamkollege. Doch ein ausgeprägtes Ego allein genügt nicht, um in die Sphären eines Juan Manuel Fangio emporzusteigen. Ein Motorsportler benötigt fahrerisches Können, taktisches Geschick und ein konkurrenzfähiges Auto. Dabei, so lehrt der Blick in die zurückliegenden Jahre, dürfte Hamilton den Joker für den Formel-1-Poker 2018 halten. Der Silberpfeil beherrscht die Wettfahrten im internationalen Kreisverkehr seit 2014, die Einführung des Halo könnte diese Dominanz festigen. Durch den Cockpitschutz wurde das Gewicht des Autos höher, die maximale Spritmenge jedoch bleibt bei 105 Kilogramm – ergo: Wer effizienter Benzin verbrennt, besitzt einen Vorteil. „Ich hatte vergangenes Jahr ein großartiges Auto“, sagte Hamilton bei den Tests, „dieses ist noch mal eine Steigerung.“

Formel-1-Boss Chase Carey will Gladiatoren

Klingt wie eine Warnung an Vettel, der in seiner vierten Saison im roten Renner aus Maranello endlich liefern soll, wofür er von Red Bull abgeworben wurde und worauf die Ferraristi seit 2007 warten – auf einen Titel. Natürlich spielt er die Erwartungen herunter und setzt die Vorzüge von Mercedes herauf. „Mercedes ist Favorit“, betonte der Hesse bei den Testfahrten, bei denen Ferrari Bestzeiten hinlegte, „es wäre schön, wenn wir näher als 2017 dran wären.“

Sonntag ist der Tag der Wahrheit, wenn der Große Preis von Australien gestartet wird – erster von 21 Akten im Titelduell. Formel-1-Boss Chase Carey ist überzeugt, dass die Helden seiner Show die Fans fesseln werden. „Es gibt keine Form, in der ein Star gegossen wird. Wir brauchen unterschiedliche Persönlichkeiten“, sagt der Liberty-Media-Mann, „Vettel ist einer der ganz großen Protagonisten unseres Sports, auch wenn er anders ist als Hamilton. Diese Antipoden brauchen wir. Auf der Rennstrecke will ich Gladiatoren sehen.“ Hamilton gegen Vettel – vielleicht wird einer der beiden im November Titel Nummer fünf gewinnen. Dann stünde ein Gladiator auf derselben Stufe wie ein Gentleman. So etwas ist eigentlich nur in der Formel 1 möglich.