Alle hören auf Christian Lindner (Mitte): der liberale Parteichef, umgeben von seiner Generalsekretärin Nicola Heer (l.), der Hamburger Spitzenfrau Katja Suding und Lindners Partei-Vize Wolfgang Kubicki aus Kiel. Foto: dpa

Im September beginnt die letzte politische „Saison“ vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017. Wir checken die Form der Parteien. Los geht es mit den Liberalen.

Berlin - Nach den Ferien beginnt im September die letzte politische „Saison“ vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017. Für uns ist das die Gelegenheit zu einem Form-Check der Parteien. Sind sie gut aufgestellt für die Herausforderungen? Wo liegen die größten Probleme? Wir beginnen mit den Liberalen.

Ausgangslage vor der Bundestagswahl

Die FDP lebt, der Puls der Partei schlägt konstant, die Intensivstation ist verlassen. Das ist nicht wenig nach dem heftigen Niederschlag bei der Bundestagswahl 2013. Denn nicht wenige diagnostizierten bereits den Tod der FDP, bei einigen Umfragen war die Zustimmung phasenweise nicht einmal mehr in Spuren zu messen, da stand statt einer Zahl ein Strich: Exitus! Dann kamen die erfolgreichen Wahlen in Hamburg, Bremen und ein Jahr später die ebenfalls verheißungsvollen Ergebnisse bei den Urnengängen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Selbst in Sachsen-Anhalt hätte es, gestartet aus fast aussichtsloser Position, fast noch für den Einzug in den Landtag gereicht. Seit mehreren Monaten wird die Partei jetzt knapp über fünf Prozent gehandelt. Das garantiert noch kein Auskommen. Aber die Chance zum Comeback ist da.

Strategie

Parteichef Christian Lindner hat seine Partei wieder auf Kurs gebracht und einer relevanten Zahl an Wähler wieder vermittelbar gemacht. Zunächst regte er einen Selbstfindungsprozess an, Dutzende Gesprächskreise, eine interne Auseinandersetzung mit dem Niedergang, aus der ein neues Selbstbild resultieren sollte. Er verhinderte ein Abdriften ins AfD-Milieu und schaffte das Kunststück, den Eindruck eines Neuanfangs zu vermitteln, obwohl die zentralen Programmpunkte unverändert blieben. Lindner war allerdings sehr wohl daran gelegen, neben der Wirtschaftspolitik auch andere, lange vernachlässigte liberale Zukunftsthemen wie Bildung und Digitalisierung in den Blick zu rücken. Das öffnete die Tür für ehemalige Piraten, die den lange Zeit lahmen Bürgerrechtsflügel stärken. Vor allem im Stil und im Umgang mit der Konkurrenz setzt sich Lindner von früheren Führungsfiguren ab. Persönliche, herabsetzende Attacken bleiben aus. Strategisch setzt er vor allem darauf, auf dem Wirtschaftsflügel der Union enttäuschte Wähler aufzusammeln. Deshalb kritisiert er vor allem Kanzlerin Angela Merkel.

Spitzenkandidat

Es gibt nur einen: Christian Lindner.

Machtperspektive

Die Liberalen haben noch kein Interesse an einer Regierungsbeteiligung. Die Führungscrew schätzt, dass es allein schon eine Wahlperiode dauern dürfte, bis die verloren gegangenen Partei- und Fraktionsstrukturen im Bundestag wieder aufgebaut sind und reibungslos funktionieren. Auch die vielen neuen Abgeordneten, die dann ins Parlament einziehen würden, müssten erst einmal Fuß fassen. Außerdem könnte man vier Jahre Opposition nutzen, das eigene Profil weiter zu schärfen. Sollte die FDP unbedingt gebraucht werden, stünde sie aber bereit. Lindner hat sie so positioniert, dass fast alles möglich wäre. Die breitere thematische Aufstellung ergibt Schnittmengen sowohl mit der Union (Wirtschaft und Finanzen) als auch mit SPD und Grünen (Bildung, Familien- und Gesellschaftspolitik, Digitales). Eine Ampel wäre allerdings nur dann mit Lindner zu machen, wenn sonst der Staatsnotstand drohte. Denn wer im Wahlkampf Unionswähler gewinnen will, der darf sich nicht anschließend sofort von SPD und Grünen herzen lassen.

Aufsteiger/Absteiger

Volker Wissing ist der Aufsteiger. Einzug in den Landtag von Rheinland-Pfalz geschafft, eine Koalition geschmiedet, Wirtschaftsminister, Vizeregierungschef. Er repräsentiert die einzige Regierungsbeteiligung der FDP. Und dann auch noch mit SPD und Grünen. Das weckt Fantasien. Schaden kann so was nicht. Absteiger sind all diejenigen Liberalen, die ihre Partei nach 2013 abgeschrieben haben und die sich jetzt wieder blicken lassen – kurz bevor die Listenplätze vergeben werden. Denn gern gesehen sind die nicht.