„Die Einsamkeit frisst mich auf“: Einsame schlafen schlechter, sie grübeln mehr, sind unglücklicher und ernähren sich ungesünder als Menschen mit vielen Sozialkontakten.  Foto: dpa

Millionen Menschen fühlen sich einsam – mit oftmals gravierenden gesundheitlichen Folgen. Laut Experten ist Einsamkeit so schädlich wie starkes Rauchen oder Übergewicht. Deutsche Politiker loben die Initiative Großbritanniens und fordern die Bundesregierung auf, einsamen Menschen zu helfen.

Stuttgart/Berlin - Nach Großbritannien rückt auch in Deutschland das gesellschaftliche Problem der Einsamkeit verstärkt in den Fokus. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, es müsse einen Verantwortlichen geben, bevorzugt im Gesundheitsministerium, der den Kampf gegen die Einsamkeit koordiniere. Der CDU-Politiker Marcus Weinberg sprach sich für eine „Enttabuisierung“ des Themas aus. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie regte ein gesellschaftliches Bündnis zur Bekämpfung der Einsamkeit an.

Erste Ministerin für Einsamkeit

Die britische Premierministerin Theresa May hatte jüngst bekanntgegeben, dass die Staatssekretärin für Sport und Zivilgesellschaft, Tracey Crouch, sich in der Regierung mit dem Thema Einsamkeit befassen solle.

Wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtete, will May damit ein Problem angehen, das für „viel zu viele Menschen die traurige Realität des modernen Lebens“ sei. Laut einer Umfrage des Britischen Roten Kreuzes fühlen sich mehr als neun Millionen Menschen im Königreich einsam.

Wie einsam sind die Deutschen?

Ähnliches gilt auch für Deutschland. Einer Umfrage des Marktforschungsinstitut Splendid Research von Mai 2017 zufolge fühlen sich zwölf Prozent der mehr als 82 Millionen Bundesbürger häufig oder ständig einsam. 32 Prozent verspüren zumindest manchmal Einsamkeit.

Der amerikanische Psychologe und Neurowissenschaftler John T. Cacioppo, der an der Universität von Chicago lehrt, ist einer der renommiertesten Einsamkeitsforscher. 2010 stellte er in einer Studie im „Annals of Behavioural Medicine“ fest, dass Einsamkeit ein weitverbreitetes Gefühl ist.

Vier von fünf der unter 18-Jährigen und 40 Prozent der über 65-Jährigen fühlen sich zumindest manchmal allein. Die Häufigkeit nimmt während des mittleren Lebensalters ab, um dann im höheren Alter wieder anzusteigen. 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung gelten als chronisch einsam.

Wer einsam ist, stirbt früher

„Die Einsamkeit frisst mich auf.“ Diesen deprimierenden Satz hört man immer wieder. Die Sozialpsychologie definiert Einsamkeit als das Gefühl, sozial isoliert zu sein. Einsame haben ein höheres Sterberisiko als Menschen, die sozial eingebunden sind.

Einsame schlafen schlechter, sie grübeln mehr, sind unglücklicher und ernähren sich ungesünder als Menschen mit vielen Sozialkontakten. Wie stark sich das Gefühl des Alleinseins auf die Mortalitätsrate auswirkt, hat Julianne Holt-Lunstad, Professorin für Psychologie an der amerikanischen Brigham Young University 2010 in einer Studie im Wissenschaftsmagazin „Plos Medicine“ gezeigt.

Holt-Lunstads Zahlen belegen: Fühlt sich jemand dauerhaft einsam, ist sein Sterberisiko um 26 Prozent erhöht. Ist man tatsächlich sozial isoliert, steigt das Risiko auf 29 Prozent. Bei Menschen, die alleine leben, sind es sogar 32 Prozent. „Einsamkeit ist der Killer Nummer eins. Noch vor den Risikofaktoren Übergewicht und Rauchen“, betont auch Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ulm.

Allein und doch nicht einsam

Was Einsamkeit und Alleinsein unterscheidet

Alleinsein ist nicht gleichbedeutend mit Einsamkeit. Nach Aussage von Cacioppo ist Einsamkeit nicht an die An- und Abwesenheit von anderen Menschen gebunden. Sie sei auch nicht abhängig von der Zahl der Freunde und Bekannten, die man hat. Wer sich einsam fühle, so der Psychologe, dem fehlten nicht einfach Menschen. Vielmehr leidet er unter dem Gefühl, emotional und sozial nicht beachtet, anerkannt und gebraucht zu werden.

„Niemand von uns ist immun gegen das Gefühl, isoliert zu sein, genauso wenig wie wir immun sind gegen Hungergefühle oder Schmerz“, sagt Spitzer . „Einsamkeit tut weh.“

Stille – ein ganz besonderes Gut

Nicht erst die moderne Psychologie hat den Wert der Stille und des Ganz-bei-sich-Seins als Hort der Zufriedenheit und des Glücks wiederentdeckt. Alleinsein ist nicht nur ein Zustand, sondern auch eine Fähigkeit, die Nicht-Aussteiger genauso erwerben können, um den inneren Reichtum der Seele und den äußeren Reichtum der Natur erleben zu können.

Wer nie gelernt hat zur Ruhe zu kommen und Zeit mit sich selbst zu verbringen, wird es ohne Ablenkung durch Fernsehen, Handy, Internet und soziale Netzwerke nicht lange aushalten. Für viele steht die Zeit nie still: Über E-Mail und Smartphone sind sie rund um die Uhr erreichbar – und wollen es oft auch nicht anders, weil die emotionale Einsamkeit und Stille sonst unerträglich wären.

Verlust der Schweigekultur

„All unser Übel kommt daher, dass wir nicht allein sein können“, stellte der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) fest. Mehr als ein Jahrhundert später beklagte der französische Philosoph und Psychologe Michel Foucault (1926-1984) den Verlust der „Schweigekultur“.

Doch man muss nicht gleich alle Brocken hinwerfen und in einem Erdloch im Wald leben, um zu sich selbst zu finden. Es genügt schon jenseits des alltäglichen Geplappers und Lärmens das Schweigen und die Stille als bereichernde Momente wiederzuentdecken.