Der Bezirksbeirat und die Nachbarn des Sportgeländes an der Rohrackerstraße sind gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften an dieser Stelle. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Nach Bürgerprotesten: Der Bezirksbeirat Stuttgart-Hedelfingen schlägt Alternativstandorte vor und begründet die Ablehnung mit Hochwassergefahr.

Die Polizei vor der Tür des Sitzungssaals, ein Fernsehteam als Empfangskomitee und mit Alexandra Sußmann (Soziales) und Thomas Fuhrmann (Liegenschaften) zwei anwesende Bürgermeister – das gibt es im Hedelfinger Bezirksbeirat nicht alle Tage. Es ist die Konsequenz des Widerstands gegen den Bau von fünf Modulbauten für 76 Flüchtlinge auf einer Wiese des Vereins Sportkultur an der Rohrackerstraße, den einige Bürger nach der Veröffentlichung der Pläne in der vergangenen Woche organisiert hatten und der dann aus dem Ruder gelaufen war. Eine Online-Petition, zum Zwecke initiiert, darauf hinzuweisen, dass den Kindern in der Nachbarschaft Spielmöglichkeiten genommen würden, wurde mit fremdenfeindlichen Kommentaren geflutet und daraufhin vorzeitig beendet. Und dem Vereinsvorsitzenden Ulrich Strobel wurde damit gedroht, sein Haus brenne als erstes, sollte es die Stadt wagen, in ihrer Not, die vielen ankommenden Flüchtlingen, speziell solche aus dem Nahen Osten und Afrika, in Rohracker unterzubringen.

In Plieningen sind die Modulbauten beschlossen

Der Ausschuss für Stadtentwicklung hat das Vorhaben am Dienstagmorgen einstimmig befürwortet, der Bezirksbeirat Plieningen war am Montag mit der Errichtung von fünf Modulbauten einverstanden gewesen. Und das beratend tätige Bürgergremium in Hedelfingen? Es hatte sich schon vor der Sitzung darauf verständigt, den geplanten Standort an der Amstetter Straße für geeignet zu erklären. Das war zu erwarten, da man schon 2016 der Errichtung von Systembauten für Flüchtlinge an dieser Stelle zugestimmt hatte.

Nein zum Standort Rohrackerstraße

Den umstrittenen Standort in der Rohrackerstraße hat man aber abgelehnt. In der schriftlichen Erklärung findet sich allerdings kein Hinweis auf den Wegfall von Spielflächen für die Nachbarskinder, denn das wäre auch nur bedingt richtig. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass der Standort in einem Überschwemmungsgebiet liege und somit für eine Wohnbebauung ungeeignet sei – wohl nicht aber für eine so genannte Kaltlufthalle, also eine günstige, weil an den Seiten offene Sporthalle, für deren Errichtung es bereits einen Beschluss gebe.

Allerdings favorisieren Stadt und Verein den Bau unmittelbar hinter der Ortsgrenze in Wangen, wo die Sportkultur ohnehin eine Sporthalle plant. Ohne Überwachung sei Vandalismus und Streit über das Spielrecht programmiert, sagt Strobel aus Erfahrung mit seinem DFB-Kleinspielfeld an der Kesselstraße.

Selbstkritik im Rathaus

Im Stadtentwicklungsausschuss war bereits (Selbst)-Kritik an der Vorgehensweise und der unzureichenden Kommunikation des heiklen Themas durch die Verwaltung geübt worden. Der Frust darüber, aus der Zeitung zu erfahren, was vor der Haustür geplant ist und dann auch noch mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert zu werden, hat viele Bürger geärgert. Einige versuchten, sich in der Sitzung Luft zu verschaffen. Aber so unzulänglich die Bürgerinformation bisher verlief, gerade so, als ob man die Vorgehensweise nicht vor sechs Jahren geübt hätte, so enttäuschend verlief der Sitzungsabend für die Teilnehmer. Das Rederecht ist aus formalen Gründen eingeschränkt, sodass bei vielen das Gefühl aufkam, man könne ja doch nichts mehr ändern. Die Bürgermeister hatten zwar die Problemlage – 8000 Flüchtlinge sind untergebracht, 3600 Ukrainer wohnen noch privat, allein in dieser Woche meldeten sich schon mehr als 80 Menschen aus der Ukraine neu an – zu erklären versucht.

Stadt macht keine Unterschiede nach Herkunft

Dass man für sie ein Dach über dem Kopf organisieren muss, stieß dann auch auf großes Verständnis – aber eben nicht auf dem Sportgelände. Und wenn, dann wollte man schon wissen, „welche Flüchtlingsgruppe kommt“ und ob man bestimmte Personenkreise „verhindern“ oder „einschränken“ könne, sagte ein Zuhörer unter Beifall. Man denke nur an die „Vorfälle“, betonte ein anderer. Das war deutlich: Menschen aus einem anderen Kulturkreis werden als Bedrohung wahrgenommen. Bürgermeisterin Sußmann war in ihrer Ansprache klar: „Wir haben eine humanitäre Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen – und wir machen keinen Unterschied bei der Unterbringung.“ Gleichwohl achte die Stadt auf Ausgewogenheit, man habe schließlich Erfahrung, wie Stress am besten vermieden werden könne. Sie setze dabei auch auf die Unterstützung von Freundeskreisen.

Alternativen präsentiert

Der Bezirksbeirat hat sich freilich auch die Mühe gemacht, Alternativstandorte vorzustellen, dazu gehört etwa das Nill-Gelände (ehemaliger Schrottplatz am Hedelfinger Platz), die Festwiese des TV Hedelfingen – aber auch das Sportgelände auf dem Frauenkopf. Vor allem dieser Standort am Rande des hochpreisigen Stadtteils stieß auf Zustimmung bei den Bürgern. Alternativ sah man „den Killesberg bei den Millionenbauten“, den Wasen oder den Schlossgarten als geeignet an. Das Bürgergremium erwartet nun eine „umfassende Prüfung ohne verwaltungsinterne Vorfestlegung“, heißt es in einem Antrag.

Verwaltung dreht eine Ehrenrunde

Die Ablehnung des Vorschlags Rohrackerstraße macht es dem Gemeinderat nun unmöglich, darüber abzustimmen. Am Mittwochmorgen im Verwaltungsausschuss wurde das Thema nur kurz diskutiert. Petra Rühle (Grüne) und Luigi Pantisano (Linke), die am Dienstagabend vor Ort waren, forderten die Verwaltung auf, die Lage neu zu bewerten und künftig besser zu informieren. Pantisano forderte die Verwaltung zudem auf, eine Karte mit den über das Stadtgebiet verteilten Standorten von Unterkünften auf der städtischen Homepage zu präsentieren. Er bemängelte einmal mehr, dass sich OB Frank Nopper (CDU) in dieser Sache ausschweige. Am Donnerstag im Gemeinderat ist deshalb eine weitere Debatte zu erwarten. Dann wird nur über die beiden in Plieningen und Hedelfingen (Amstetter Straße) akzeptierten Vorschläge abgestimmt. Die Verwaltung prüft die Einwände und Vorschläge und wird dann Anfang des Jahres erneut zur Abstimmung rufen. Die Ehrenrunde hat im Rathaus für Einsicht gesorgt: Erst mit den Bürgern zu reden und dann einen Vorschlag zu unterbreiten – und nicht umgekehrt – spart Zeit und Ärger.