Wer zahlt, ist selber schuld: Gästen der Food Lounge stehen die Toiletten im dritten Stock der Königsbau-Passagen kostenfrei zur Verfügung. Viele Gäste wissen das jedoch nicht. Foto: Achim Zweygarth

In der Gastronomie muss jeder Wirt, der Alkohol ausschenkt, seinen Gästen den kostenlosen Toilettengang erlauben. Das gilt auch für das Gastro-Angebot in den Königsbau-Passagen in Stuttgart. Doch nur wenige Gäste wissen das – und zahlen trotzdem.

Stuttgart - Der grundsätzliche Unterschied ist leicht erklärbar. Es ist der zwischen Bitten und Fordern. Wer bei Festen oder in der Gastronomie eine Toilette betreibt, darf für deren Benutzung „um eine Aufwandsentschädigung bitten“, sagt Dorothea Koller, die Leiterin des Ordnungsamts, insbesondere die Festveranstalter „tun das auch“. Grundsätzlich aber ist die Rechtslage eindeutig und überdies eine andere, als es oftmals für den Gast den Anschein hat: Der Gang aufs Örtchen muss kostenlos sein. Das gilt für Stadt- und Straßenfeste ohne Wenn und Aber, für Wirte mit der Einschränkung, dass sie von Besuchern Geld verlangen dürfen, die nichts bei ihnen bestellen wollen.

Entgegen der Rechtslage wirkt manche Bitte allerdings derart nachdrücklich, als dürfe sie nicht abgelehnt werden – zumal, wenn das Bedürfnis dringend ist. Darüber, dass bei Stadtfesten der Zutritt zur „Toilette 0,50 Euro“ kostet, informieren an den Eingängen Zettel. Das Wörtchen Bitte wird gern vergessen.

Kienzle: Wir haben ein Riesenproblem mit der Food Lounge

Dass die Vorschrift massenhaft umgangen wird, weiß jeder, der sich je in der Innenstadt in der Schlange vor einem Toilettenhäuschen eingereiht hat. Die Versuche, mit den unausweichlichen Ergebnissen des Stoffwechsels rechtswidrig Geld zu verdienen, sind mal listig, mal unverfroren.

In der Gastronomie muss jeder Wirt, der Alkohol ausschenkt, seinen Gästen den kostenlosen Toilettengang erlauben – und zwar in Räumen, die „leicht erreichbar, nutzbar und gekennzeichnet“ sind. So schreibt es die Gaststättenverordnung vor, samt der Kabinenzahl in Abhängigkeit von der Größe eines Lokals.

Ungeachtet dessen erweckt offenkundig mancher Gastronom den Anschein, als müsse für den Besuch des stillen Örtchens bezahlt werden. „Wir haben ein Riesenproblem mit der Food Lounge“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. „Es ist nicht in Ordnung, dass die Bürger dort beim Essen sitzen und zahlen müssen“ – gemeint ist selbstverständlich für die Toilette. Unter dem Begriff Food Lounge ist die Gastronomie in den Königsbau-Passagen zusammengefasst. Dort ließe sich schon über die Frage der leichten Erreichbarkeit streiten. Die Toiletten verbergen sich im dritten Stockwerk. Drehkreuze mit Münzautomaten versperren den Eingang, was nicht zufällig an Autobahnraststätten erinnert. Der Betreiber ist an der Autobahn wie im Einkaufszentrum der europaweit vertretene Konzern Sanifair.

Gäste müssen dem Kellner ihr Bedürfnis mitteilen

Ungeachtet der Barrieren ist der Toilettengang „für Gäste grundsätzlich kostenlos“, sagt Martin Treutler, der die städtische Gaststättenbehörde leitet – nur ahnt das mancher nicht. Die Gäste müssen dem Kellner ihr Bedürfnis mitteilen. Dann bekommen sie einen Gratisbon. Wer sich den Weg allein sucht, macht sich gleichsam selbst der Geldverschwendung schuldig. Außerdem gilt: erst zur Theke, dann zur Toilette. Wer die Reihenfolge vertauscht, bekommt am Drehkreuz zwar einen Rückerstattungsbon, den er später beim Kaffee oder Bier einlösen kann. Allerdings „kann das eine Gaststätte an einen Mindestverzehr knüpfen“, sagt Treutler. Was wiederum legal ist, weil der Gast während seines Toilettenbesuchs noch kein Gast war.

Unstrittig dürfte sein, dass bei den großen Innenstadtfesten die Grenze vom Bitten zum Fordern überschritten wird. Mit Wechselgeld bewehrtes Personal bewacht die Eingänge zu den Toilettencontainern. Wer sich das Klimpern mit Kleingeld ersparen will, kauft sich eine Lochkarte. Die gilt nicht nur für Stadtfest, Weindorf und Weihnachstmarkt, sondern laut Werbeaufdruck gar „zur Benutzung in Stuttgart, Brüssel, Berlin, Hamburg, München, Schweiz und New York“. Außerdem lockt die „VIP Zehner Welt-WC-Card“ mit Rabatt: elf Mal pinkeln, zehn Mal zahlen.

Das Stadtfest und den Weihnachtsmarkt veranstaltet – ausgerechnet – die „In Stuttgart GmbH“. Das Unternehmen ist eine Tochtergesellschaft der Stadt.