Täuschend echt, aber aus Papier und Pappe angefertigt: die Künstlerin Marion Eichmann vor ihrer Abflugtafel in der Ausstellung „Follow M.E.“ in Waiblingen. Foto: Gottfried Stoppel

Die Galerie Stihl in Waiblingen widmet Marion Eichmann eine erste große Einzelausstellung. „Follow M.E.“ nimmt Besucher auf eine Reise in vier Metropolen mit und führt sie zum Beispiel in einen dreidimensionalen Waschsalon aus Papier.

Waiblingen - Das Reisen ist in diesen Tagen schwierig, manchmal sogar unmöglich. Da trifft es sich gut, dass am Samstag eine Ausstellung in der Galerie Stihl Waiblingen eröffnet, die Besucher auf einen Streich an gleich vier andere Orte bringt: nach Tokyo, New York, Istanbul und Berlin. Letztgenannte Stadt ist der Wohnort der 1974 in Essen geborenen Künstlerin Marion Eichmann. Sie reist gerne und viel – und ist nun in Waiblingen mit ihrer ersten großen Einzelausstellung zu Gast. Diese präsentiert Arbeiten aus der Zeit von 2004 bis zum Jahr 2020, trägt den Titel „Follow M.E.“ und zeigt passenderweise gleich an der ersten Station die eigens für Waiblingen angefertigte, riesige Abflugtafel des Flughafens in Berlin-Tegel – und zwar komplett aus Papier und Karton gefertigt.

Denn Papier ist das Material der Wahl für Marion Eichmann: Sie zeichnet nicht allein darauf, sondern schlitzt, schneidet und schichtet es übereinander und erzielt dadurch erstaunliche plastische Effekte. „Sie reizt das Material Papier bis zum letzten aus“, so formuliert es die Galerieleiterin Anja Gerdemann. Für sie zählt Marion Eichmann zu den „konsequentesten und spannendsten Künstlerinnen“ überhaupt. Der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky attestiert der Berlinerin „eine gewisse Besessenheit“ im positiven Sinne. Diese zeigt sich zum Beispiel, wenn Marion Eichmann einen Zigarettenautomaten so realitätsgetreu aus Papier erschafft, dass man selbst als Nichtraucher versucht ist, sich eine Schachtel zu ziehen – und selbst die typischen Schleifspuren, welche auf dem Lack geriebene Geldmünzen hinterlassen, kann man entdecken.

50 Badehocker, 400 Matchboxautos

Für ihre Diplomarbeit hatte Marion Eichmann sich selbst, ein Zwölf-Quadratmeter-Zimmer und dessen Interieur eingestrickt, dafür exakt 16.324.800 Maschen benötigt und für Furore gesorgt. Ihre Reise nach Tokyo 2004 sei eine bewusste Zäsur gewesen, erklärt Anja Gerdemann – und der Versuch, aus der „Strickschublade“ rauszukommen. Was Marion Eichmann in der japanischen Großstadt wahrgenommen hat, das ist auf der rund 25 Quadratmeter großen Arbeit „Tokyo mono“ in Waiblingen zu sehen. Sie besteht aus 50 typisch japanischen Badehockern, die Marion Eichmann kunstvoll und bis ins Detail gestaltet hat – mal mit Suppenschalen, mal mit Sushi oder dem U-Bahn-Plan in 3D. Zwischen den Hockern, die ein bisschen wie Häuserblocks wirken, erzeugen rund 400 Matchboxautos ein Gefühl von hektischem Großstadtchaos. „Jeder Hocker ist eine Momentaufnahme der Stadt“, sagt Anja Gerdemann.

Hinterhöfe und Gerümpel statt schicker Fassaden

Weiter geht es nach New York, wohin Marion Eichmann im Jahr 2005 reiste. Mehrere Tage hat sie beim Times Square verbracht und die Gebäude, meist Backsteinbauten, akribisch gezeichnet – Backstein für Backstein. Von Interesse waren für sie nicht die schicken Fassaden, sondern das eher Verborgene – Dächer und Hinterhöfe, Feuertreppen und Gerümpel. Mit mehreren Schichten Papier, die sie übereinander klebt, hebt Marion Eichmann einzelne Backsteine hervor, lässt eine Markise in eine belebte Kreuzung ragen und zieht den Betrachter förmlich ins Bild hinein.

In ihre Arbeiten baut Marion Eichmann gerne Fundstücke ein. Diese zu entdecken macht Spaß: Dübel, Buntstifte, die Schuhe einer Barbiepuppe, eine Wasserwaage oder einen Kleiderbügel hat die Künstlerin beispielsweise in ihre Werke „hineingeschmuggelt“. Und so lautet Anja Gerdemanns Tipp für die Besucher: „Besser zweimal hinschauen.“

Führungen und Angebote für Kinder und Jugendliche

Eröffnung: Die Ausstellung wird am Freitag von 19 Uhr an ohne Besucher und per Livestream mit einem Künstlergespräch eröffnet. Den Link findet man hier. Ab Samstag ist die Ausstellung dann regulär geöffnet.

Kunstvermittlung: Trotz Coronavirus bietet die Kunstschule ein Programm für Schüler und Kindergartenkinder an, das nach den Pfingstferien online abrufbar ist. Das Angebot beinhaltet laut der Kunstschulleiterin Christine Lutz verschiedene Filme, die neben einer kurzen, altersgerechten Führung durch die Ausstellung einen künstlerischen Impuls liefern. Dann kann sich der Nachwuchs zu Hause austoben – mit Material, das jeder daheim hat.

Führungen: Bis zu vier Besucher können nach Anmeldung mit einem Guide die Schau besichtigen, eine Maske wird empfohlen. Werden die Vorschriften gelockert, wird das Programm ausgebaut. Über neue Angebote informiert die Homepage der Galerie.