Familienministerin Franziska Giffey hat sich nach den Ausschreitungen in Chemnitz für ein Gesetz zur Demokratieförderung ausgesprochen. Foto: Getty Images

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will nach den Vorfällen in Chemnitz die Demokratie und die politische Bildung stärken. Mit ihrem Vorstoß trifft sie auf viel Wohlwollen.

Berlin - Was für ein Zufall: Am Dienstag hat sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt zu einem nicht-öffentlichen Schulgipfel mit etwa fünfzig Lehrern getroffen, um über gesellschaftliche Integration an Schulen, Wertevermittlung und die Verhinderung von Gewalt und Diskriminierung zu sprechen. Dabei sind unter anderem der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Helmut Holter (Linke) aus Thüringen und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD).

Die Sozialdemokratin hat sich am gleichen Tag in einem Interview für ein Gesetz zur Demokratieförderung in Deutschland ausgesprochen und damit auf die Ausschreitungen in Chemnitz nach dem Mord an dem Familienvater Daniel H. reagiert, die in ganz Deutschland und international Abscheu hervorgerufen haben. Begründet hat Giffey ihren Vorstoß unter anderem damit, dass „in vielen Schulen und Vereinen überhaupt nicht mehr über Politik gesprochen“ werde, wie sie in einem Gespräch mit der Zeitung „Die Welt“ erklärte.

Defizit bei Wertevermittlung an deutschen Schulen?

Spätestens jetzt steht die Frage im Raum, wie es um politische Bildung und Demokratieerziehung in Deutschland bestellt ist, und wie man Defizite beheben kann. Einfach zu beantworten ist die Frage nicht. So räumt Ulrich Bongertmann, Gymnasiallehrer in Rostock und Bundesvorsitzender des Verband des Geschichtslehrer Deutschlands ein, „dass man in den Schulen mehr machen könnte, um die Werte der Demokratie zu vermitteln“.

Allerdings lässt er die Generalkritik der Ministerin, dass in den Schulen überhaupt nicht mehr über Politik gesprochen werde, nicht gelten. „Die Fächer Geschichte und Politik haben den Auftrag zur politischen Bildung in der Schule, der auch in Sachsens Schulen ernst genommen wird“, betonte er. Generell „stimmt die Aussage schon gar nicht“, fügte er hinzu. In Sachsens Schulen sieht er aber das Problem, dass durch die starke Konzentration auf Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften die Fächer Geschichte und Politik etwas ins Hintertreffen geraten seien. Allerdings habe das Kultusministerium in Dresden bereits gegengesteuert und 2017 Geschichte wieder zum Pflichtfach der zehnten Klassen der Mittelschule gemacht.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, hält Giffeys Hinweise für weitgehend richtig, warnt aber ebenfalls vor Gleichmacherei in der Kritik. „ Pauschal kann man nicht von Politikabstinenz in Schulen und Vereinen reden“, betonte Krüger. „Es hängt immer vom Handeln engagierter Menschen ab, die als Lehrende oder Vereinsvorstände aktiv sind. Genau diese Leute haben mehr Unterstützung verdient.“

Gesetz unter bestimmten Bedingungen unterstützenswert

Dennoch könnte er einem Demokratiefördergesetz einiges abgewinnen, weil es die Förderung von Engagement „mit der dauerhaften Förderung von präventiven Projekten sowie der Infrastruktur von politischer Jugend – und Erwachsenenbildung“ verknüpfen könnte.

Beim Thüringer Schulminister Helmut Holter lief Giffey mit ihrem Vorstoß offene Türen ein. „Zur Schule gehört Demokratiebildung, ganz klar“, erklärte Holter. „Demokratiebildung umfasst auch die Förderung von Konfliktkompetenz, also der Fähigkeit, Verständnis für die Position des Gegenübers zu entwickeln.“

Die Vermittlung dieser Werte sieht er als Querschnittsaufgabe wie Inklusion, Integration und Digitalisierung. „Wenn ein Demokratiefördergesetz nicht bei der Beschreibung zusätzlicher Aufgaben für Lehrkräfte stehen bleibt, sondern es auch mit entsprechenden Mitteln – beispielsweise für Demokratiepädagogen – untersetzt wird, halte ich das für absolut unterstützenswert.“