Bei dem Dammbruch an einer Eisenerzmine nahe des brasilianische Orts Brumadinho wurden am 25. Januar mehr als 300 Menschen getötet und viele Bauwerke, wie diese Brücke, zerstört. Der Tüv hatte das Bauwerk erst kurz zuvor als sicher eingestuft.Foto: dpa/A.Penner Foto:  

Das Unglück in Brasilien könnte für den Tüv-Süd zu einem Fiasko werden. Eine von einer Unternehmenstochter zertifizierte Anlage ist gebrochen. Die Schäden gehen in die Milliarden. Und es könnte weiteres Ungemach drohen.

München - Normalerweise legt der Tüv-Süd als größte der heimischen Tüv-Gesellschaften im April seine Bilanz vor. Deren Vorstellung fällt aber ab sofort aus, mangels öffentlichen Interesses, heißt es offiziell. Dabei wäre das diesmal sehr groß. Ende Januar ist in Brasilien ein Damm gebrochen, was Hunderten Menschen das Leben gekostet hat. Seitdem ist beim Überwachungsverein in München nicht mehr viel normal. Eine brasilianische Tüv-Tochter hatte das Bauwerk kurz zuvor geprüft und für sicher befunden, was Schuldfragen aufwirft. Die sind nicht leicht zu beantworten, weshalb es auch noch keine Tüv-Bilanz für 2018 gibt. „Das liegt an der Sondersituation der Bewertung des Unglücks in Brasilien“, erklären die Münchner auf Anfrage. Man tausche sich dazu mit Wirtschaftsprüfern aus.

Die würden die Bilanz nicht testieren, bis klar ist, ob eventuelle Regressforderungen auf die Tüv-Tochter in Brasilien begrenzbar sind oder sie auf die Münchner Mutter durchschlagen könnten, verrät ein Insider. Das könnte eine immense Summe sein, selbst falls es bei dem einen Dammbruch bleibt. Der Tüv selbst lässt Fragen nach einer möglichen Dimension der Belastung unbeantwortet und verweist auf die laufende Ermittlungen.

Mehr als vier Milliarden Euro zurückgestellt

Einen Hinweis auf das Drohpotenzial gibt ein jüngster Quartalsbericht des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale, für den der Tüv den gebrochenen und andere Dämme geprüft hat. Umgerechnet mehr als vier Milliarden Euro hat Vale für die Katastrophe zurückgestellt, etwa die Hälfte davon zur Entschädigung von Opfern und sonstiger Schäden. Wer und in welcher Höhe die Rechnung am Ende bezahlt, ist völlig offen. Ein Gericht in Brasilien hat ein erstes Urteil gefällt. Dokumente der dortigen Staatsanwaltschaft tauchen den Tüv-Süd in ein zwiespältiges Licht. Geschäftspartner Vale hat die Münchner auf Vertragsbruch verklagt.

Wer den Tüv-Süd dazu fragt, erntet nur Schweigen. Öffentlich geworden ist die Sicht von Vale und das, was brasilianische Staatsanwälte vom Fall halten. Letztere bezichtigen den Tüv bei der Zertifizierung des Unglücksdamms der Unzuverlässigkeit und mangelnder technischer Unparteilichkeit, sagen mit Gerichtsakten vertraute Personen. Der Tüv stehe im Verdacht, wider besseres Wissen Vale-Staudämme zertifiziert und die staatliche Sicherheitsaufsicht darüber unterlaufen zu haben. Auch zu diesen Vorwürfen sagt der Tüv nichts. Kenner der Verhältnisse vor Ort erzählen, dass ein Tüv-Partner die Zertifizierung des gebrochenen Damms mit Verweis auf Sicherheitsrisiken verweigert habe und von Vale deshalb vor die Tür gesetzt worden sei. Der Tüv habe dann testiert. Auch zu diesem Detail schweigt der Tüv.

Tüv-Vermögen durch Gericht eingefroren

Fakt ist, dass ein Gericht im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, wo der Unglücksdamm steht, soeben umgerechnet gut 13 Millionen Euro Tüv-Vermögen eingefroren hat, um damit Opfer zu entschädigen. Die Frage, ob gegen dieses Urteil Revision eingelegt wird, lässt der Prüfkonzern unbeantwortet. Das gilt auch für Details eines Schreibes an Vale. Darin haben die Münchner jüngst gewarnt, dass weitere vom Tüv geprüfte und ursprünglich für sicher befundene Dämme in Brasilien das möglicherweise nicht sind.

Personen, die das Warnschreiben kennen, sprechen von insgesamt 40 aufgelisteten Dämmen, von denen acht mit dem Status „besorgniserregend“ versehen worden seien. Man habe nach Konsultation auch externer Experten Vale und brasilianischen Behörden eine Liste von Dämmen vorgelegt, für deren Sicherheit mittlerweile Bedenken bestünden, erklärt der Tüv. Vale hat jüngst gewarnt, dass ein weiterer Damm in räumlicher Nähe zum Unglücksdamm von Brumadinho brechen könnte. Hunderte Menschen sind daher inzwischen vorsorglich aus der Gefahrenzone evakuiert worden.

Warnschreiben an Bergbaukonzern Vale verfasst

Der Tüv habe das Warnschreiben an Vale verfasst, um einen Riegel gegen eventuelle Schadenersatzforderungen bei weiteren Dammbrüchen vorzubeugen, vermutet ein Kenner der Szene und schätzt diesen Versuch als fragwürdig ein. Immerhin habe der Tüv die Sicherheitszertifikate zu den 40 Vale-Dämmen größtenteils erst im zweiten Halbjahr 2018 ausgestellt. Nach Unterlagen der Staatsanwaltschaft hätten die Münchner seit eineinhalb Jahren gewusst, wie es wirklich um die Sicherheit vieler Dämme steht und sich einer Komplizenschaft mit Vale schuldig gemacht. Auch dazu schweigt der Münchner Prüfkonzern.

Der Tüv ist ein in den vergangenen Jahren vor allem im Ausland stark expansives Unternehmen. Im Jahr 2017 wurde ein Umsatz von mehr als 2,4 Milliarden Euro erzielt, der Jahresüberschuss lag bei knapp 139 Millionen Euro – erwirtschaftet mit 24 000 Beschäftigten. Auch technologisch hat der Tüv-Süd die Grenzen traditioneller Geschäfte rund um Anlagen und Automobile längst überschritten.

Die Prüfung von Staudämmen wurde inzwischen ausgesetzt. Ein Gericht in Brasilien hat solche Prüfungen durch den Tüv zudem soeben verboten. Man könnte die Lage als ungemütlich bezeichnen.