Gute Noten, aber das falsche Zeugnis: Eine 15-Jährige aus Steinenbronn möchte eine Kita-Ausbildung machen – darf aber nicht. Foto: Robert Kneschke/stock.adobe

In Steinenbronn verstehen eine 15-Jährige und ihre Mutter die Welt nicht mehr: Die Berufsschule zieht den schon zugesagten Kita-Ausbildungsplatz zurück. Die Begründung ist heikel.

Eine Jugendliche aus Steinenbronn träumt davon, in einem Kindergarten zu arbeiten. In diesem Herbst sieht es so aus, als würde dieser Traum bald Wirklichkeit werden: Von der Berufsschule in Tübingen hat sie eine Zusage, in ihrer Heimatgemeinde hat sie schon einen Praxisplatz im Kindergarten sicher, sie ist gut in Englisch, spricht dank der mütterlichen Wurzeln fließend Italienisch und mit einem Notenschnitt von 2,2 im Zeugnis bringt sie beste Voraussetzungen mit.

 

Oder doch nicht? Besagtes Zeugnis ist nämlich wohl der Grund, warum das IB Bildungszentrum Tübingen die bereits zugesagte Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin wieder zurückgezogen hat – nur wenige Tage vor Beginn des neuen Schuljahrs. Weil die 15-Jährige ihren Abschluss nämlich nicht an einer Hauptschule, sondern an einer Förderschule gemacht hat, erfüllt sie die Aufnahmevoraussetzungen nicht. Dies sei aber zunächst niemandem aufgefallen.

Missverständnis um Zeugnis fällt erst kurz vor Schulstart auf

Der Vorgang dieser gescheiterten Bewerbung mutet im Rückblick recht kurios an: Bereits im März dieses Jahres hatte die Schülerin ein Zwischenzeugnis an den IB Bildungscampus geschickt. Dass sie auf eine Förderschule geht, wurde dabei offenbar übersehen. Anfang April bestätigte die Tübinger Berufsschule ihr den Schulplatz, und im August erfolgte schließlich die offizielle Einladung zum Schulbeginn am 15. September. Den Praxisplatz in einem Steinenbronner Kindergarten hatte die Tochter bereits angetreten und habe von dort durchweg positive Rückmeldungen bekommen.

Kurz vor Beginn des Schuljahrs kam dann der Schock: Da die Mutter arbeiten musste, war die Großmutter der Jugendlichen nach Tübingen gefahren, um bei der Schule eine Unterschrift für den Praxisvertrag zu holen und das noch fehlende Abschlusszeugnis abzugeben. Als eine Mitarbeiterin das Förderschulzeugnis vor Ort entgegennahm, habe sie der völlig perplexen Oma mitgeteilt, dass die Enkelin damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme an der Schule nicht erfülle.

Die Mutter der 15-Jährigen verstand die Welt nicht mehr. „Wir haben einen massiven Fachkräftemangel. Wieso kann man da einer hoch motivierten Jugendlichen mit so einem guten Abschluss nicht einfach eine Chance geben?“, fragte sie sich und schrieb an die Schulleitung, ans Schulamt und ans Regierungspräsidium in Tübingen – jedoch ohne Erfolg.

Als die Tochter von der Absage erfährt, bricht für die junge Frau eine Welt zusammen. „Es tut mir so weh, es zerreißt mir das Herz“, sagt die Mutter. Die 41-Jährige nimmt die Absage sehr persönlich. „Wir empfinden dies als unfair und diskriminierend“, schreibt sie in einer Mail an diese Zeitung. Zudem kündigt sie an, juristisch gegen die Tübinger Berufsschule vorgehen zu wollen.

Schulleiterin verweist auf geltende Verordnung

„Es ist schade, wenn bei der Familie das Gefühl entstanden ist, sie würden unfair oder diskriminierend behandelt“, sagt Lela Kevkhishvili. „Wir stehen für unsere Schülerinnen ein“, betont die Leiterin der Berufsfachschule für Sozialpädagogische Assistenz am Tübinger IB Bildungscampus im Gespräch mit dieser Zeitung. „Allerdings sind wir als Schule angehalten, uns an die geltende Verordnung zu halten“, erklärt sie.

Im Falle der Jugendlichen aus Steinenbronn habe man zunächst aber durchaus versucht, beim Regierungspräsidium den möglichen Spielraum auszuloten. Allerdings wäre angesichts der guten Schulleistungen der jungen Bewerberin wohl eine Ausnahme denkbar gewesen. Das RP habe es deshalb der Schule überlassen, eine Aufnahme der Jugendlichen zu prüfen. „Zu einer solchen Prüfung kam es jedoch nicht, da die Schule mitteilte, dass bereits alle Schulplätze mit den Aufnahmevoraussetzungen erfüllenden Bewerberinnen belegt sind“, teilt eine RP-Sprecherin auf Nachfrage mit.

Schulleiterin Lela Kevkhishvili bestätigt dies. Allerdings hatte sie im Gespräch mit dieser Zeitung Ende September signalisiert, dass man für die 15-Jährige aus Steinenbronn bereit gewesen wäre, die Klassengröße ausnahmsweise von maximal 32 auf 33 Personen zu erhöhen. Mit Rückblick auf die schiefgegangene Bewerbung drückt sie ihr Bedauern aus und räumt durchaus auch Versäumnisse aufseiten der Schule ein.

Knackpunkt war wohl das schon im März eingeschickte Zwischenzeugnis der Jugendlichen, mit der sie sich frühzeitig um die Ausbildungsstelle beworben hatte. Hier hätte der Schule eigentlich schon auffallen müssen, dass die junge Frau nicht auf eine Hauptschule, sondern auf eine Förderschule geht. „An dieser Stelle will ich ganz transparent sein: Das war menschliches Versagen“, verweist die Schulleiterin auf eine Mitarbeiterin der Schulverwaltung, die das Zwischenzeugnis offenbar nicht genau genug angeschaut hatte.

Allerdings, betont Kevkhishvili, hätte sich das Missverständnis spätestens im Juli aufklären lassen, wenn die Schülerin rechtzeitig ihr Abschlusszeugnis geschickt hätte. Dies sei aber nicht passiert. Die Mutter der Bewerberin widerspricht dieser Darstellung: Sie habe das Zeugnis sehr wohl geschickt, es sei aber wohl in der Schule übersehen worden.

Geschichte findet für die Jugendliche ein versöhnliches Ende

Mittlerweile hat das Schuljahr am IB Bildungscampus längst begonnen. Auf das Gesprächsangebot der Schulleiterin wollte die Mutter nicht eingehen. Auch die Möglichkeit, über eine Ausnahmeregelung noch zu der Klasse hinzuzustoßen, komme für die Tochter nicht in Frage – zu tief sitze die Verletzung wegen der Absage, sagt die Mutter. Hinzu komme bei der Jugendlichen die Angst, sie könne wegen einer Sonderbehandlung von Lehrkräften und Mitschülerinnen gemobbt werden – zumal die Mutter nach wie vor juristisch gegen die Schule vorgehen wolle.

Bei allem Schmerz und all der Enttäuschung, die diese Erfahrung bei der jungen Frau und ihrer Mutter ausgelöst hat, gibt es dennoch ein einigermaßen versöhnliches Ende für diese Geschichte: Nachdem es mit dem Schulstart in Tübingen nichts wurde, hat die 15-Jährige sich nämlich für einen HASA-Kurs eingeschrieben. Mit diesem seit Jahrzehnten bewährten Angebot des Landkreises kann sie ihren Hauptschulabschluss nachholen – so könnte ihr beruflicher Traum doch noch eines Tages wahr werden.

Den Hauptschulabschluss nachholen

Einmalig
HASA (Hauptschulabschlusskurse) ist eine Einrichtung des Landkreises Böblingen. Hier können seit mehr als 40 Jahren Jugendliche und Erwachsene den Hauptschulabschluss nachholen. Unterrichtsort ist Sindelfingen. Es handelt sich dabei um die bundesweit einzige Schule unter der Regie eines Jugendamts.

Teilnahme
Kurse beginnen jeweils Ende September/Anfang Oktober und dauern ein Schuljahr. Teilnahmevoraussetzung sind ausreichende Vorkenntnisse und ein Wohnsitz im Landkreis Böblingen. Weitere Informationen: www.hasa-hauptschulabschluss.de