In den Urlaub per Billigflieger, aber daheim auf dem Balkon möchte davon keiner was hören. Ein Widerspruch, wie der Plieninger Martin Selje (Mitte mit Brille) findet. Foto: Judith A. Sägesser

Am Fluglärmstammtisch haben zwei Dutzend Leuteim Sportheim diskutiert.

Plieningen - Nach anderthalb Stunden geht es ganz schön laut zu am Fluglärmstammtisch. Begriffe wie „60 Dezibel“, „andere Flughöhe“ und „Demo machen“ schwirren durch den Nebenraum des Vereinsheims des KV und TV Plieningen. Jeder hat etwas zum Thema zu sagen – und tut es auch. Gleichzeitig. Das geht so lang, bis einer „Pssst“ zischt, „der Reihe nach“.

Zwar ist der Fluglärmstammisch vergangene Woche erstmals in Plieningen zusammengekommen, doch neu ist er nicht. Seit etwas mehr als einem Jahr treffen sich Lärmgeplagte und Aktivisten abwechselnd in Leinfelden-Echterdingen und in Vaihingen. In den zurückliegenden 14 Monaten haben sich deshalb gewisse Regeln eingebürgert. Wer etwas sagen will, streckt. Sonst versteht keiner irgendwas. Und das ist schließlich nicht der Sinn der Sache.

Kein Stammtischniveau – nur gegen Böblinger wird gewettert

Am Stammtisch sitzen zwei Dutzend Leute – aus Plieningen, Leinfelden-Echterdingen, Fasanenhof, Vaihingen und Oberaichen. Lauter Landstriche, deren Bewohner unter dem Radau des Stuttgarter Flughafens leiden. Der Name Stammtisch kann in die Irre führen. Von Stammtischniveau kann hier keine Rede sein. Höchstens dann, wenn gegen die Böblinger gewettert wird. Bei denen soll es neuerdings leiser sein – auf Kosten der anderen. Mal abgesehen von dieser Nachbarschelte sitzen hier Menschen, die sich über die Zeit zu Experten gemausert haben. Sie sprechen von Steigwinkeln, Kerosinmengen, Flugkurven, der Rechtslage und Grenzwerten. Wer kein Kenner der Materie ist, muss sich gehörig anstrengen oder kann am Ende schlichtweg nicht mehr folgen.

Am Stammtisch sitzt an jenem Abend auch ein Flugkapitän, der namentlich nicht genannt werden möchte. Für die anderen in der Runde ist er ein interessanter Gesprächspartner. Er kann der Plieningerin, die an der Vorderen Schafstraße wohnt, erklären, wie es sich mit dem Auftrieb verhält, warum also Flugzeuge bei Ostwind gen Osten und bei Westwind gen Westen abheben. „Das heißt, wir können nur auf Ostwind hoffen“, folgerte die Frau, die bei West-Starts teilweise die Balkontür nicht geöffnet lassen könne. „Nur dass wir hier meistens Westwind haben“, sagt ein Mann.

In der Nähe eines Flughafens ist es nun mal laut.

Dass dieselbe Plieningerin startende Flugzeuge von ihrem Balkon aus nicht nur hört, sondern neuerdings auch sieht, liege an einer Neuerung beim Abheben, erklärt der Pilot. „Im Moment haben wir die Anweisung, das Steilstartverfahren durchzuführen“, sagt er. Heißt, die Maschinen gehen steiler und dafür langsamer in die Luft. Laut sei das vor allem für jene, die nah am Flughafen wohnen. Startet ein Flieger flacher, ist er leiser, schneller, aber die Bewohner einer größeren Fläche kriegen den Radau ab. „Einen Tod muss man sterben“, sagt der Pilot. „Ich werde weder ein Plädoyer für noch gegen den Fluglärm halten, schließlich mache ich ihn.“ Allerdings, fügt er an, sollte man wissen, dass er in der Umgebung des Flughafens wohne. „Wir sind also selbst betroffen“, sagt er. „Aber in der Nähe eines Flughafens entsteht nun mal Lärm.“

Martin Selje, ein grüner Bezirksbeirat für Plieningen, ist ebenfalls zum Fluglärmstammtisch gekommen. Er hat sich selbst als denjenigen bezeichnet, „der in die Suppe spuckt“. Er sieht einen Widerspruch. Einerseits wollten die Menschen so günstig und so schnell wie irgend möglich an einen Urlaubsort gelangen – also mit dem Flugzeug. Andererseits sollte auf dem heimischen Balkon doch bitte nichts zu hören sein vom Düsenlärm der anderen.

Ähnlich hat Claudia Moosmann argumentiert. Sie ist die Vorsitzende der Bürgerinitiative „Lebenswerters Leinfelden-Echterdingen“ – und eine selbst gemachte Expertin. Sie sagt, es müsse eine Grundsatzentscheidung her: Soll der Lärm möglichst gerecht auf viele Menschen verteilt werden? Oder soll er auf einen möglichst kleinen Flecken konzentriert werden? Die Antwort ist ein Fragezeichen.