Flugzeuge Richtung Süden könnten künftig eine andere Route nehmen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Gegner der neuen Abflugstrecke am Stuttgarter Flughafen erhöhen den Druck – sie wollen von Winfried Kretschmann angehört werden. Ihre Sorge ist: Hinter den Plänen für die Route stecke ein viel größeres Projekt.

Wolfschlugen - Mehrfach täglich muss Rolf Keck zurzeit seinen Briefkasten in Wolfschlugen im Kreis Esslingen leeren. Inzwischen haben mehr als 2000 Menschen auf Papier sowie mehr als 9000 online auf der Plattform Change.org unterschrieben, dass sie sich gegen eine zusätzliche Abflugschneise vom Stuttgarter Flughafen aus in Richtung Süden aussprechen. Innerhalb von nur drei Wochen wurde die 10 000er-Marke geknackt.

 

„Die Betroffenheit ist immens“, sagt Rolf Keck, der quasi die Sprecherrolle der Gegner innehat und die Unterschriften sammelt. „Die Bürger brauchen ein Ventil, um ihren Unmut auszudrücken.“ Einerseits würden sich die Unterzeichner über die mögliche neue Flugroute selbst, andererseits über das Verfahren ärgern. Seine Mitstreiter und er haben den Eindruck, dass der neue Korridor für Flugzeuge den Bürgern einfach „übergestülpt“ werde, ohne dass diese gehört würden. „Gefühlt wird die Flugroute im stillen Kämmerlein kreiert.“ Das sei „ein Verfahren aus dem letzten Jahrtausend und nicht mehr zeitgemäß“.

Die Bürgerinitiativen fühlen sich übergangen

Dass ein Teil der Piloten vom Stuttgarter Flughafen aus künftig eine andere Route nehmen soll, hält Keck für ungerecht und falsch. „Wir haben schon erheblichen Fluglärm.“ Schon jetzt werde er jeden Morgen von Flugzeugen geweckt. Und durch die neue Route würden zwar einige Kommunen von Fluglärm entlastet, andere aber eben deutlich stärker belastet. Dazu zählen neben Wolfschlugen auch Neuhausen auf den Fildern, Teile von Nürtingen und Köngen sowie Denkendorf. „Uns als Minderheit zu bezeichnen, stößt uns bitter auf.“

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Christof Bolay, der Vorsitzende der Fluglärmkommission sowie Oberbürgermeister von Ostfildern, spricht indes von 90 000 Menschen, die von der neuen Route profitieren würden. Die Zahl der Betroffenen würde sich halbieren, sagt er. Daran stören sich die Gegner: „In Esslingen und im Neckartal fliegen die Flugzeuge schon sehr hoch“, erklärt Rolf Keck. Damit will er sagen: Die Lärmbelastung dort halte sich momentan in Grenzen – aber die neue Route werde vor allem Menschen auf den Fildern belasten, die heute schon stark unter Lärm leiden.

Die Bürger wollen die Unterschriftenliste persönlich übergeben

Inzwischen haben sich die Bürgerinitiativen „Vereint gegen Fluglärm“ aus Wolfschlugen, Neuhausen sowie den Nürtinger Stadtteilen Hardt und Oberensingen auch beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) gemeldet. Zum einen kritisieren sie in der Mail an Kretschmann, dass die Landesregierung zwar mehrere Bürgermeister zu einer Telefonkonferenz am 20. Oktober eingeladen hat, nicht aber die Bürgerinitiativen.

Außerdem bitten sie darum, dass sie die bis dahin gesammelten Unterschriften am 29. Oktober persönlich an den Ministerpräsidenten übergeben dürfen. Das Datum ist bedeutsam, weil die Stuttgarter Fluglärmkommission am 2. November gegenüber der Deutschen Flugsicherung erklären wird, ob sie die zusätzliche Flugroute befürwortet oder nicht. Es wird davon ausgegangen, dass die Kommission die neue Route empfiehlt.

Angst vor noch mehr Flugzeugen in der Region

„Da unsere Kommunen schon heute mit großem Lärm aus unterschiedlichsten Quellen zu kämpfen haben, ist ein weiterer gravierender Anstieg nicht mehr zu tolerieren“, heißt es in der Mail an Kretschmann. Angehängt sind drei offene Briefe der Bürgerinitiativen, die darin kritisieren, dass die Lärmberechnung bisher nur auf Simulationen beruhe. Außerdem sei die Anzahl der Betroffenen falsch kalkuliert worden. Wie viele seiner Mitstreiter vermutet Keck, dass die Pläne für die neue Route letztlich dazu dienen, den Weg für ein viel größeres Projekt zu ebnen: den Ausbau des Stuttgarter Flughafens.

Denn die Erweiterung, so Keck, sei nur möglich, wenn man Flugzeuge auf mehrere Routen verteile. Wenn es eines Tages tatsächlich so komme, hätten auch die jetzigen Befürworter der neuen Route „mit Zitronen gehandelt“. Denn noch mehr Flugzeuge – das wolle niemand. Ziel der Initiativen ist es, bis Ende Oktober 15 000 Unterschriften zu sammeln – oder mehr. Falls man diese nicht persönlich bei Kretschmann abliefern dürfe, müsse man „das zähneknirschend hinnehmen“, sagt Keck. Man werde sich dann andere Wege überlegen, den Unmut auszudrücken: „Zur Not gehen wir demonstrieren.“

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