Flug in den Sommerurlaub mit einer Chartermaschine 1965 nach Mallorca Die Treppe zur Abflughalle des im Jahr 2000 abgerissenen Terminals 3 Foto: Hetzel

Pauschal in den Süden: Für die Erfindung der Charterflüge steht der Name Hetzel. In den 1960ern wurde Mallorca zum größten Sehnsuchtsziel. Wer kein Geld für Flüge hatte, genoss den Blick von der Besucherterrasse. Wir erzählen Flughafengeschichten zum Ferienstart.

Stuttgart - Eine Steintreppe führte in die Sonne des Südens. Generationen von Stuttgartern sind diese legendären Stufen voller Vorfreude hinabgestiegen, um sich erst einmal durch die in der Sommerzeit meist hoffnungslos überfüllte Abflughalle für Charterlinien durchzukämpfen. In der Enge des alten, im Jahr 2000 abgerissenen Terminals 3 wurde also schon mal ordentlich vorgeschwitzt, bevor man sich an seinem fernen Sehnsuchtsziel der Hitze, der Sangria oder den Meeresfluten hingeben konnte.

Zu dem historischen Treppenfoto schreibt Christa Jakob auf der Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums: „Da bin ich als Kind immer ganz stolz die Stufen runter.“ Inge Spes erinnert sich: „Meine erste Flugreise 1967 nach Las Palmas habe ich hier angetreten.“ Werner Schwenn denkt an die Charterflüge mit dem Reisebüro Hetzel nach Teneriffa zurück: „Die gingen auch immer von dieser Halle aus.“ Eigentlich hätte die Treppe des alten Terminals 3 ins Haus der Geschichte oder ins Stadtpalais gehört. Doch sie wurde 2000 abgerissen und entsorgt – nicht ganz. Das Ehepaar Karin und Peter Bretz hat sich eine Stufe davon gesichert. Das gute Stück bekam in ihrem Garten einen Ehrenplatz. Denn auf der Steintreppe in die Sonne haben sich die beiden im Jahr 1970 kennengelernt.

Fast die Hälfe der Fluggäste wollte nach Mallorca

Der Name Hetzel steht für die Erfindung der Charter- und Kurzflugreise. Das als „Gesellschaft für Studien- und Ferienreisen“ in Stuttgart gegründete Unternehmen startete 1963 den Luftverkehr mit einer propellergetriebenen DC 7 nach Barcelona. Else und Kurt Hetzel feierten, blumen- und pralinenbewaffnet, das Ereignis mit den Passagieren. Sie zählten zu den Stuttgarter Bürgern, auf die OB Arnulf Klett stolz war. Stand die Taufe eines Hetzel-Flugzeugs an, macht dies das Stadtoberhaupt gern zur Chefsache.

Nach dem Tod ihres Mannes 1985 übernahm Else Hetzel allein die Geschäfte. In der Tourismusbranche wurde die Konkurrenz Jahr um Jahr immer härter. Die Großen konnten zu ganz anderen Konditionen Betten buchen. 1996 musste Hetzel Konkurs anmelden. Im Jahr 2020 ist die unvergessene Seniorchefin, nach der eine Straße auf Mallorca benannt ist, im Alter von 98 Jahren gestorben.

Die Hetzels waren die Vorreiter. Zwischen 1963 und 1969 stieg die Zahl der deutschen Flugtouristen um das 90-Fache. Palma de Mallorca wurde zum größten Traum der Pauschalreisenden. 1969 landeten dort 47 Prozent aller, die von einem deutschen Flughafen gestartet waren. Der Anteil der All-inclusive-Urlauber wuchs unaufhaltsam – Ende der 1980er auf 40 Prozent. Die 1990er waren geprägt von Billigfliegern und vom Preisverfall. Heute haben Corona und die Angst vor dem Klimawandel den Boom gebremst und gezeigt, dass man für einen schönen Urlaub nicht in ein Flugzeug steigen muss.

Erinnerungen an die Fluglinie Sabena

Georg Dietl erinnert sich im Internetportal des Stuttgart-Albums an die 1960er: „Da ist regelmäßig die Sud-Aviation Caravelle gekommen (ein strahlgetriebenes Serienflugzeug aus Frankreich). War wohl das erste regelmäßige Düsenflugzeug in Echterdingen. Zwei enorm laute Triebwerke, dafür aber ausgesprochen elegant gestaltet – und als Clou für uns regelmäßige Besucher: Da die Landebahn zu kurz war, ist der Vogel mit zusätzlichen Bremsfallschirmen gelandet – wie bis vor Kurzem die Raumfähren.“

Als man quasi mit den Händen von der Besucherterrasse nach Flugzeugen greifen konnte, flog man auch noch mit der belgischen Fluglinie Sabena in den Urlaub. Dagmar Heckel hat dem Stuttgart-Album das Foto ihrer Mutter geschickt, die mit der für die 60er typischen Hochfrisur vor dem Betreten des Flugzeuges ihren Lieben zuwinkt. Marc Simianer erinnert sich an das Logo mit dem S auf dem Bordbesteck. Er hat „die Zwergengabel, das Zwergenmesser und Zwergenlöffel“ von Sabena bis heute aufbewahrt. Diese Fluglinie ging 2001 bankrott.

Ausflug mit Oma und Opa auf die Besucherterrasse des Flughafens

Viele Familien, die sich eine Flugreise nicht leisten konnten, unternahmen gern einen Ausflug auf die Besucherterrasse. Sven Zimmermann schreibt: „Ein-, zweimal im Jahr fuhren Oma, Opa und ich mit der Strampe von Cannstatt sonntags nach Echterdingen und liefen von der Endstation zum Fliegergucken. Danach hab ich wochenlang mit Lego daheim nur Flugzeuge gebaut.“

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Info

Bücher
Zu unserer Geschichtsserie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.