Stefan Köhler geht davon aus, dass sich die Menschen an die leisere Corona-Zeit gewöhnt haben. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

800 bis 1200 Beschwerden gehen im Jahr beim Flughafen Stuttgart ein. Sie landen seit September auf dem Schreibtisch von Stefan Köhler. Er ist der neue Lärmschutzbeauftragte und sitzt damit von Berufs wegen zwischen den Stühlen.

Stuttgart/Leinfelden-Echterdingen - Es gibt einfachere Jobs als den des Lärmschutzbeauftragten des Flughafens. Warum er die Stelle vor Kurzem übernommen hat, erklärt der 32-jährige Stefan Köhler im Interview. Er spricht über Möglichkeiten, den Fluglärm weiter zu reduzieren, und darüber, warum seine Aufgabe gewaltig, aber wichtig ist.

Herr Köhler, wie wird man denn zum Fluglärmschutzbeauftragten?

Seit gut zehn Jahren bin ich im Besitz einer Verkehrspilotenlizenz. Meine bisherigen Stationen haben mich als Flight Dispatcher zur Fraport AG und als Simulator-Pilot zur Deutschen Flugsicherung, der DFS, geführt. In den letzten neun Jahren war ich als Verkehrsflugzeugführer für Air Berlin und später für Eurowings im Einsatz. Zusätzlich war ich von 2015 bis 2020 Mitglied der Arbeitsgruppe Airport and Ground-Environment der Vereinigung Cockpit e.V., dort habe ich bei der kontinuierlichen Verbesserung der Flugsicherheit an und um Flughäfen geholfen. Als ehemaliger Verkehrspilot habe ich zudem langjährige Erfahrung mit der Analyse von Flugrouten und Anflugverfahren. All das qualifiziert mich und hilft mir bei meiner jetzigen Tätigkeit, für die es keine spezielle Ausbildung gibt.

Eine Ihrer Aufgaben ist es, vermeidbaren Lärm zu verringern. Gibt es in diesem Bereich noch Luft nach oben?

Ich sehe noch Spielraum für Innovationen und Verbesserungen, ebenso wie mein Vorgänger, dessen erfolgreiche Arbeit ich fortsetzen möchte. Über optimierte Flugrouten, lärmschonenden An- und Abflugverfahren oder auch leisere Flugzeuge lässt sich mittel- und langfristig weiterer Lärm reduzieren. Diese Ideen gilt es zunächst mit den Beteiligten wie dem Flughafen Stuttgart und der Deutschen Flugsicherung abzustimmen. Beide Parteien sind sehr an einer Lärmschutzoptimierung interessiert und haben schon in der Vergangenheit gute Arbeit im Bereich Lärmreduktion betrieben. Natürlich können nicht alle Ideen realisiert werden. Manchmal entlastet eine neue Flugroute beispielsweise die eine Bürgerschaft, belastet aber eine andere. Man muss immer abwägen.

Sie stehen zwischen Flughafeninteressen und Bürgeranliegen, ein Spagat?

Ich möchte betonen, dass der Flughafen bereits heute ein hervorragendes Lärmmanagement betreibt. Dies hat er in den vergangenen fast 15 Jahren mit meinem Vorgänger sehr konstruktiv erarbeitet. Dennoch ist es mir wichtig, dass das Thema weiter vorangebracht wird, denn jede Lärmverringerung ist im Sinne der Bürger und damit auch im Sinne des Flughafens. Der Lärmschutzbeauftragte ist ein Bindeglied zwischen den Bürgern und dem Flughafen Stuttgart. In dieser Funktion versuche ich, Ideen zu entwickeln, wie Lärm reduziert oder vermieden werden kann, und gehe Fluglärmbeschwerden nach. Es geht darum, die Rechtmäßigkeit der Flugbewegungen unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu untersuchen. Wenn ich Verstöße feststelle, gilt es, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, etwa das Gespräch mit Luftfahrtunternehmen zu suchen oder Ordnungswidrigkeiten anzuzeigen.

Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Es ist eine gewaltige, aber auch eine sehr wichtige Aufgabe, die mir sehr am Herzen liegt. Hier ist es vor allem wichtig, zu vermitteln. Zu befriedigenden Ergebnissen kann man nur zusammen, mit Flughafen, Flugsicherung, Fluggesellschaften, vor allem aber auch mit den Anwohnern kommen. In der Vergangenheit hatten wir immer zwischen 800 und 1200 Beschwerden pro Jahr. Es ist eine immense Aufgabe, sie zu beantworten. Wir gehen jedem Einzelereignis nach, jeder Bürger erhält eine qualifizierte Antwort. Der Flughafen hat bereits viel unternommen. Weitere Lärmreduktionen werden Schritt für Schritt vorankommen. Ich bin zuversichtlich und freue mich auf die nächsten Jahre.

Wie kommen diese Schwankungen bei der Beschwerdezahl zustande?

Das hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise der Anzahl der Verspätungen und Ausnahmen zur Nachtflugbeschränkung oder dem Wetter. Bei schönem Wetter sitzen die Menschen mehr draußen und hören die Flugzeuge stärker. Jedes Jahr veröffentlichen wir einen Bericht, in dem wir die Lärmereignisse, die Beschwerdestatistik und anderes publizieren. Der nächste erscheint in Kürze.

2020 dürfte wegen der Corona-Beschränkungen eher ruhig gewesen sein.

Während des Lockdowns im März/April war der Flugbetrieb teilweise komplett eingestellt, so dass es da auch weniger Fluglärmbeschwerden gab. Die Zahl der Flugbewegungen ist mittlerweile wieder etwas angestiegen und damit auch die Zahl der Fluglärmbeschwerden, wenngleich wir auch nur einen Bruchteil der normalen Lärmbeschwerden der Vorjahre haben. Nach meinem Eindruck haben sich die Anwohner während des Lockdowns allerdings daran gewöhnt, dass es leiser ist, und nehmen daher Fluglärm nun subjektiv stärker wahr. Ich gehe davon aus, dass wir durch diesen Effekt im nächsten Jahr, bei normalem oder ansteigendem Flugbetrieb, eine Zunahme an Beschwerden haben werden. Nicht weil der Lärm mehr geworden ist als in den Vorjahren, sondern weil die Bürger sich an den reduzierten Flugbetrieb gewöhnt haben und nun ein ruhiges Lärmniveau im Kopf haben.

Gibt es für Airlines Anreize, leiser zu fliegen?

Die Gebührenordnung am Stuttgarter Flughafen ist nach Lärmklassen gestaffelt. Somit macht es für Fluglinien Sinn, besonders ihre leisesten Flugzeuge einzusetzen. Das spart Geld und kommt natürlich auch den Anwohnern zugute. Meist haben leisere Maschinen auch einen geringeren Kerosinverbrauch, sind also umweltfreundlicher. Auch das Thema Passagierkomfort ist nicht zu unterschätzen. Hier liegen modernere Flugzeuge natürlich ebenfalls vorn.