Nun entscheidet der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim über die Klagen gegen die neue Flugroute in Richtung Süden. Foto: Horst Rudel

Am Stuttgarter Flughafen beginnt der Probebetrieb für die neue Abflugstrecke in Richtung Süden. Fünf Kommunen aus dem Kreis Esslingen haben Klage beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim eingereicht. Das sind die Hintergründe.

Die Stadt Aichtal ist mit der Information vorgeprescht: Die Kommune teilte am Dienstag mit, sie habe beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Der Grund ist die neue Flugroute für Flüge in Richtung Süden, die an diesem Donnerstag in den Probebetrieb gehen soll. Mit nur einer Stimme Mehrheit hatte die Fluglärmkommission im Juli 2022 entschieden, dass auf der neuen Route mit steilerem Abflugwinkel zunächst ein bis zwei Abflüge pro Stunde verkehren sollen. Auf unsere Nachfrage bestätigten Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich und Denkendorfs Bürgermeister Ralf Barth, dass ein Anwalt auch im Namen der anderen neu vom Fluglärm betroffenen Kommunen Klage eingereicht habe. Auch Neuhausen und Wolfschlugen zählen zu den Klägern.

„Nürtingen wird die Feststellungsklage gegen die neue Route wohl führen“, sagte Fridrich. Der Jurist erläuterte, dass voraussichtlich eine Musterklage geführt werde, die dann auf die anderen beteiligten Kommunen übertragen werden könne: „Das senkt die Kosten.“ Deshalb vertritt der Rechtsanwalt Stephan Spilok von der Stuttgarter Kanzlei Kasper Knacke alle fünf Kommunen. Da auch die Kommunalpolitiker in Neckartailfingen und Walddorfhäslach scharfe Kritik an dem Verfahren geübt hatten, werden sie sich wohl an den Kosten beteiligen. Fridrich wertet dies als Zeichen der Solidarität. Er kritisierte erneut mangelnde Transparenz bei der Entscheidung über die Flugroutenänderung. Unklar ist für den Nürtinger Rathauschef auch, wie es nach dem einjährigen Probebetrieb mit der alternativen Flugroute weitergeht.

„Wir haben eine Empfehlung abgegeben“, sagte Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay, der auch Vorsitzender der Fluglärmkommission ist. Dieser Empfehlung war das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gefolgt. Deshalb richten sich die Feststellungsklagen nun auch gegen die Bundesrepublik. Von Donnerstag an darf die neue Route geflogen werden – vorausgesetzt, die Wetterverhältnisse lassen dies zu. Wichtig ist es Bolay, die Änderung der Lärmpegel in den neu betroffenen Kommunen vor und nach der Änderung zu untersuchen. Die Planung der begleitenden Messungen in den neu betroffenen Kommunen war auch Thema einer Sitzung der Kommission am 13. Februar. Das Land beteiligt sich nach Bolays Worten an den Kosten für die Messungen, den Rest müssen die Kommunen selbst schultern. Nachdem das unabhängige Gutachten zu den Auswirkungen der Routenänderung vorlag, hatte Bolay von „Verschiebungen im Promillebereich“ gesprochen. Eine Arbeitsgruppe der Kommission, der auch Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh als Nichtmitglied angehört, hat das Messkonzept vorgeplant und soll den Prozess dauerhaft begleiten. Zu den nicht öffentlichen Sitzungen der Fluglärmkommission, in denen es um die Routenänderung geht, waren auch die Bürgermeister der neu betroffenen Kommunen eingeladen.

Schutzgemeinschaft zweifelt an „Probebetrieb“

Steffen Siegel, der Sprecher der Schutzgemeinschaft Filder, sitzt als Vertreter der Bundesvereinigung gegen Fluglärm in dem Gremium. Seine Initiative kündigte an, den Probebetrieb kritisch zu begleiten. Siegel äußerte erhebliche Zweifel daran, dass die Route tatsächlich nach einem Jahr gestoppt werden könnte. Er hatte unter anderem beantragt, die Fluglärmkommission solle über Strategien nachdenken, „den Luftverkehr zu reduzieren und so alle Menschen rund um den Flughafen zu entlasten“. Auch größtmöglicher Klimaschutz ist ihm ein Anliegen. Bolay sieht das hingegen nicht als Aufgabe der Kommission an, sondern verweist auf die Politik. Er will Vertreter des Flughafens einladen, um mehr über das Fairport-Konzept zu erfahren und sich darüber auszutauschen.

Mit eigenen Messungen begleitet die Bürgerinitiative Vereint gegen Fluglärm den Probebetrieb. „Wir schaffen eigene Messgeräte an, um an den neuralgischen Punkten in Denkendorf, Neuhausen, Wolfschlugen und in den Nürtinger Stadtteilen Oberensingen und Hardt verwertbare Ergebnisse zu bekommen“, sagt Rolf Keck-Michaeli, der Sprecher der Initiative. Diese werde man mit den offiziellen Messergebnissen vergleichen. „Uns geht es darum, gerade die Einzelschallereignisse zu betrachten“, sagt der Wolfschlugener. Insgesamt hatten Bürgerinitiativen 15 000 Unterschriften gegen die neue Route gesammelt.

Lärmschutz für die Anwohner

Lärmschutzbeauftragter
„Wir müssen für größtmögliche Transparenz sorgen“, sagt Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh. Er sitzt als Vertreter der neu betroffenen Kommune in der Arbeitsgruppe der Fluglärmkommission. Der Lärmschutzbeauftragte für den Flughafen, Stefan Köhler, müsse ansprechbar sein, Beschwerden zeitnah erledigen und nach Kommune getrennt dokumentieren: „So sehen wir, wie sich der Lärm entwickelt, und können auf der Basis den Probebetrieb bewerten.“ Stefan Köhler ist unter 07 11 / 7 22 - 4 93 49 zu erreichen oder per E-Mail an: lsb@rps.bwl.de.

Passiver Schallschutz
 Bei vielen der künftig neu betroffenen Anwohner taucht die Frage auf, ob sie künftig Anspruch auf passiven Schallschutz haben. „Den fördert der Flughafen auf der Basis von Lärm-Grenzwerten“, sagt Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay, der Vorsitzende der Fluglärmkommission. Nach dem unabhängigen Gutachten würden diese Werte in den neu betroffenen Gebieten nicht überschritten.