Warum ist ein Flughafenmitarbeiter in die gefährliche Nähe eines Blitzeinschlags geraten? Der Fall weist viele Unstimmigkeiten auf. Und überraschende Erkenntnisse.

Stuttgart - Nur diesen einen Buggy will der Flughafenmitarbeiter noch in den Laderaum des Flugzeugs werfen. Das Unheil braut sich schon über ihm zusammen. Der 35-Jährige steht draußen auf dem Vorfeld an einer zweimotorigen Turboprop-Maschine des Typs De Havilland Dash der Fluggesellschaft Eurowings, als es plötzlich knallt. Ein Blitz mit einer Stromstärke von 14 000 Ampere schlägt auf dem Vorfeld ein. Die Kraft eines Elektroschmelzofens. Der Mann spürt einen Schlag an den Beinen, ein Stromstoß.

Der Blitz-Unfall auf dem Vorfeld des Stuttgarter Flughafens am 7. Juni wird Konsequenzen haben: Die Flughafen-GmbH will nun früher als bisher Gewitterwarnung auslösen. Künftig soll es spätestens dann Alarm geben, wenn eine sogenannte Gewitterzelle acht Kilometer entfernt ist. Bisher lag die Grenze bei fünf Kilometern. Damit reagiert der Flughafen auch auf eine Berichterstattung unserer Zeitung, die mögliche Mängel im System thematisiert hatte.

Sehen Sie außerdem im Video: Warum sind Gewitter am Flughafen eigentlich so gefährlich? Das erklärt Uwe Rücker, Verkehrsleiter auf dem Vorfeld des Stuttgarter Flughafen. Das Video haben wir im Herbst 2017 aufgenommen.

Zum Vorfall gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen

„Die Sicherheit unserer Mitarbeiter und unserer Passagiere hat für uns oberste Priorität“, sagt Flughafensprecherin Beate Schleicher. Der Betroffene ist Mitarbeiter der Flughafentochter SAG Stuttgart Airport Ground Handling GmbH. Er hätte sich zum Zeitpunkt des Gewitters eigentlich gar nicht mehr auf dem Vorfeld aufhalten dürfen. Die Abfertigung war eingestellt, Tausende Passagiere in den Terminals saßen fest. Mit der strengeren Regel werden die Fluggäste bei Gewitter noch früher und länger mit Zwangspausen rechnen müssen.

Über den Vorfall vom 7. Juni, der das alles ins Rollen gebracht hat, gibt es allerdings unterschiedliche Wahrnehmungen – und Widersprüche. Offiziell heißt es, dass der Verkehrsleiter vom Dienst die Abfertigung um 19.20 Uhr mit der Information „Gewitter über Platz“ einstellen ließ. Dabei wird der Alarm den Mitarbeitern der SAG über sogenannte Handheld-Geräte zugestellt, Drittfirmen werden über ihre Disponenten informiert. An den Lichtmasten und Andockstationen blinken dann gelbe und weiße Lichter. Das heißt: abrücken. „Das Vorfeld ist 70 Hektar groß“, so Flughafensprecherin Schleicher, „es braucht zwei bis drei Minuten Reaktionszeit, bis das komplett umgesetzt ist.“ Laut Polizei hatte der 35-Jährige die Signale wohl zu spät mitbekommen.

Fünf Kilometer – für ein Gewitter gefährlich nahe

Doch die Flughafen-GmbH hat guten Grund, ihre Vorwarnregeln zu verschärfen. Denn wenn tatsächlich erst um 19.20 Uhr Alarm ausgelöst worden sein soll, dann hatte der 35-jährige Vorfeldarbeiter keine Chance. Geht es nach dem Blitz-Informationsdienst Blids der Firma Siemens, die von Karlsruhe aus Blitze sekundengenau bis auf 100 Meter genau ortet und registriert, dann schlug besagter Erdblitz genau um 19.20 und 30 Sekunden auf dem Vorfeld ein. Typ: „Starker Knaller“. Hätte da nicht schon viel früher gewarnt werden müssen?

Eine Fünf-Kilometer-Vorwarnzone für Gewitterzellen, wie sie bisher vom Stuttgarter Flughafen gehandhabt werden, hält der Blids-Gewitterexperte Stephan Thern für zu gering. „Fünf Kilometer, das ist sehr nahe“, sagt er, „schon der nächste Blitz kann hier einschlagen.“ Dabei war schon um 18.57 Uhr ein Blitz lediglich fünf Kilometer entfernt festgestellt worden. Der hätte die Kriterien erfüllt.

Das Protokoll der Blitz-Forscher

Der diensthabende Verkehrsleiter soll nach internen Angaben die Gewitterwarnung ausgelöst haben, als das Donnerwetter über Filderstadt-Bonlanden tobte. Die Blitz-Forscher von Siemens haben detaillierte Erkenntnisse. Bereits um 19.12 Uhr war die Warnzone erneut überschritten, als es in 4,2 Kilometer Entfernung blitzte. Zwei Minuten später knallte es 4,3 Kilometer entfernt. Um 19.17 Uhr gab es einen Blitz in den Wolken mit 5000 Ampere Stromstärke am östlichen Ende der Flug- und Landebahn auf Höhe des Waagenbachs. Um 19.19 Uhr waren es nur noch 2,8 Kilometer.

Und dann spürte der Mann auf dem Vorfeld einen Schlag gegen die Beine. Der sogenannte Ramp Agent flüchtete in sein Auto und fuhr zu den Mannschaftsräumen im Flughafen-Terminal. Um 19.32 Uhr legte das Gewitter mit einem 17 000-Ampere-Erdblitz an der östlichen Landebahn nach. Vorsorglich musste der 35-Jährige die Nacht im Krankenhaus verbringen, weil man bei Stromstößen lieber vorsichtig ist und Nachwirkungen ausschließen will. Der Mann soll leicht verletzt worden sein.

Wie schnell der neue Gewitter-Alarm umgesetzt wird, ist noch unklar. „Das muss mit dem Deutschen Wetterdienst abgestimmt werden“, sagt Flughafensprecherin Schleicher, „dann müssen Programme und Betriebshandbücher angepasst werden.“