Die Wiese und der Kinderspielplatz am Vereinsheim „Dürrbachklause“ würden komplett belegt, wenn dort eine Flüchtlingsunterkunft entsteht. Foto: Mathias Kuhn

Anwohner zweifeln städtisches Flussgebietsgutachten an: Beim geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft auf dem Sportgelände an der Rohrackerstraße in Hedelfingen werde der Hochwasserschutz schön gerechnet.

Die Wogen schlagen hoch im sonst eher beschaulichen Hedelfingen. Wo sich im Normalfall kaum eine Handvoll Zuhörer verliert, strömten am Dienstagabend mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger zur Sitzung des Bezirksbeirats ins Hedelfinger Rathaus – einige mussten den Ausführungen gar im Treppenhaus lauschen. Wenig erregt die Gemüter offenbar so sehr, wie der Bau von Flüchtlingsunterkünften. Im Rahmen der fünften Tranche plant die Stadt unter anderem auf dem Gelände der Sportkultur Stuttgart an der Rohrackerstraße 171 die Unterbringung von bis zu 156 Asylsuchenden. Dagegen laufen nicht nur die Anwohner Sturm, auch der Bezirksbeirat lehnt die Vorlage der Verwaltung ab.

 

Das Gelände stand bereits vor drei Jahren auf der Agenda

Es ist ein Déjà-vu-Erlebnis für die Hedelfinger. Bereits vor drei Jahren hatte die Stadt die Sportwiese am Dürrbach als Standort für eine Flüchtlingsunterkunft in Modulbauweise mit 76 Plätzen im Visier. Der Protest war groß. In einer – später zurückgezogenen – Online-Petition waren zahlreiche ausländerfeindliche Parolen zu lesen. Die Aggression gipfelte gar in einer Drohung an den Sportvorstand der Sportkultur, die Polizei ermittelte. Damals wurde das Vorhaben von der Verwaltung jedoch nicht aufgrund des Protests verworfen, sondern aufgrund von Bedenken des Hochwasserschutzes. Denn direkt neben dem Vereinsgelände mit Bolzplatz, Beachvolleyballfeld, Kinderspielplatz, Vereinsgaststätte und Wiese, die als Spiel- und Aufenthaltsfläche sowie für Vereinsfeste genutzt wird, fließt der Dürrbach.

Nun haben sich die Vorzeichen geändert. „Die Flussgebietsuntersuchung der Stadt hat ergeben, dass an dieser Stelle keine Überschwemmungsgefahr besteht“, betonte Anette Müller vom Liegenschaftsamt. Auf dem 2800 Quadratmeter großen Gelände sollen nunmehr zehn Bauten bestehend aus 40 Modulen entstehen. Damit wäre die gesamte Fläche belegt. Das Beachvolleyballfeld müsste verlegt werden. Die Gaststätte wäre nicht beeinträchtigt, der Bolzplatz allerdings nur eingeschränkt nutzbar. Die Kosten belaufen sich auf 10,391 Millionen Euro. Laut Stadt könnte die Unterkunft bereits Anfang 2026 belegt werden.

“Gefälligkeitsgutachten“ zum Hochwasserschutz?

Doch gerade am Ergebnis des Flussgebietsgutachtens hegen zahlreiche Hedelfinger erhebliche Zweifel. „In den vergangenen 50 Jahren gab es auf der Dürrbachwiese immer wieder Überschwemmungen. Unter anderem stand das Festzelt zum 100-Jahr-Jubiläum 1987 komplett unter Wasser“, erinnerte Peter Wenzel, Ehrenmitglied des TV Hedelfingen, der auf der Gelände am Dürrbach vor der Fusion zur Sportkultur beheimatet war. Der Vorwurf: Die Stadt treibe ein „falsches Spiel“. Wenn man keinen Ausweg mehr hat, helfe ein „Gefälligkeitsgutachten“, mutmaßte eine Anwohnerin, deren Haus nur wenige Hundert Meter entfernt und sogar vier Meter höher liege. Dieser Bereich werde von der Stadt nach wie vor als im Überschwemmungsgebiet eingestuft. Ein Gartenbesitzer habe gar einen Teil seines Grundstücks am Dürrbach auf Anweisung der Verwaltung deshalb räumen müssen.

Kritik hagelt es auch an der Auswahl des Geländes hinsichtlich des städtischen Masterplans für Bewegung. Dieser sieht vor, in Stadtbezirken mit einem hohen Anteil an Haushalten mit Bonuscard-Inhabern sowie überdurchschnittlich vielen motorisch unterentwickelten Kindern neue Freiflächen für Sport und Freizeit zu schaffen – Hedelfingen gehört dazu. „Und nun schafft man die einzige, mitten im Ort, an der Grenze zu Rohracker gelegene, Spielwiese ab“, sorgt sich eine Mutter. So würden die Schwachen (Flüchtlinge) gegen die noch Schwächeren (Kinder) ausgespielt.

Straffer Zeitplan: Entscheidung im Gemeinderat bereits Ende März

Die Stadt steht unter Zugzwang. Zeitnah müssen 2549 Menschen aus Not- in regulären Unterkünften mit Selbstversorgung wie in Hedelfingen untergebracht werden. Neben der Rohrackerstraße sollen drei weitere Flüchtlingsunterkünfte an der Lenbachstraße in Feuerbach (76 Plätze), der Möhringer Landstraße in Vaihingen (92) und der Kirchheimer Straße in Sillenbuch (92) entstehen. Zudem sollen bereits beschlossene Standorte ausgebaut und Bestandsgebäude wie das ehemalige Stadtbad in Bad Cannstatt umgerüstet werden.

Im dem äußerst straffen Zeitplan – nach den Beratungen in den betroffenen Stadtbezirken und städtischen Gremien will der Gemeinderat bereits Ende März den endgültigen Beschluss fassen – sieht der Bezirksbeirat Hedelfingen eine Art „Überrumpelungstaktik“. Zu weiterer Verärgerung führt, dass die offizielle Vorlage der Verwaltung erst wenige Tage vor der Sitzung zugesendet wurde. „Wir waren total überrascht“, betonte Mario Graunke (CDU) im Namen aller Fraktionen. In einem gemeinsamen Antrag lehnt das Gremium die Pläne der Stadt ab und fordert, eine sozial verträgliche Lösung für den Stadtbezirk zu finden. Diese soll dann in einer der nächsten Sitzungen erläutert werden. Angesichts des massiven Protests in Hedelfingen bleibt abzuwarten, ob die Stadt den selbst gesteckten Zeitplan einhalten kann.