Die Flüchtlinge haben in der Halle kaum Privatsphäre. Manche entfliehen der Situation und spielen Ball im Innenhof Foto: Rudel

Die Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Aich kommt nicht aus den Schlagzeilen. Auch in der Nacht zum Dienstag hat es eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Das Landratsamt will jetzt mit baulichen Maßnahmen die Situation verbessern.

Aichtal - Umgeben von tristen Industriegebäuden lässt das graue Wetter die farblosen Wände der Flüchtlingsunterkunft in Aichtal-Aich noch unwirtlicher erscheinen. Die Blicke mancher der Männer aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Afrika lassen erahnen, dass die Stimmung nicht gut ist. Immer wieder ist es in den vergangenen Wochen zu brutalen Auseinandersetzungen unter den 285 Bewohnern aus 21 Ländern gekommen.

Erst in der Nacht zum Dienstag hat es wieder einen Streit zwischen zwei 24 und 25 Jahre alten Männern unterschiedlicher Nationalität gegeben. Der 24-Jährige hat seinem Kontrahenten eine gefüllte Plastikflasche ins Gesicht geschlagen. In der Folge kam es zu einem Tumult, bei dem sich zehn Personen auf den Angreifer stürzten. Bei dem Handgemenge erlitt ein auf einem Bett liegender Unbeteiligter eine Beinverletzung. Das Sicherheitspersonal und mehrere Polizeistreifen brachten die Situation schließlich unter Kontrolle.

Langeweile, Lärm und keine Privatsphäre

Auch in den Wochen zuvor mussten immer wieder Bewohner mit Schnitt- und Stichverletzungen in Krankenhäuser gebracht werden. Oft rückte die Polizei in Mannschaftsstärke und mit Hunden an. Denn ebenso wie Sicherheitskräfte werden Polizeibeamte immer wieder das Ziel der Aggressionen.

„Die Bewohner stehen unter großem Druck“, sagt die Sozialarbeiterin Sonja Sambeth-Weber von der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Zusammen mit zwei Kollegen ist sie für die Betreuung der Unterkunft in Aich zuständig. Die Langeweile, der knapp bemessene Raum, der Lärm, keine eigenen Kochmöglichkeiten, schlechte Nachrichten von Zuhause, Alkohol – die Liste der Gründe für die Aggressionen ist lang. In anderen Unterkünften herrscht allerdings eine ähnliche Situation, ohne dass es zu vergleichbaren Gewaltszenen kommt. Sonja Sambeth-Weber: Es hängt wohl mit einigen Personen zusammen, dass es gerade in Aich immer wieder zu Problemen kommt.“

Trost in Form von Alkohol

Es scheint, als habe die Gewalt in ihren Heimatländern einige Flüchtlinge nach Deutschland begleitet. Das Leben in Armut und Krieg hat viele der meist jungen Männer ebenso geprägt wie die Flucht. In der Heimat galt das Recht des Stärkeren – und es gilt für manch einen noch heute.

Es kommt zu Streit wegen Lärm in der Nacht, wegen Diebstählen oder wegen Geruchsbelästigung durch Bewohner, die trotz eines Verbots in der Halle rauchen. Der Iraker Omar Hashim lebt seit eineinhalb Monaten in Aich. „Die Regeln werden nicht eingehalten“, klagt er auf Englisch. Ihn stören besonders die mangelnde Ordnung und Sauberkeit. Hinzu komme der Alkohol, der bei einem Teil der Auseinandersetzungen als Katalysator gedient habe. Der benachbarte Discounter bietet den jungen Männern für ein wenig Geld Trost in Form von Bier und Schnaps.

„Eine Sanktionierung der Leute ist kaum möglich“, sagt Peter Keck, der Sprecher des Esslinger Landratsamts. „Wir können weder Zahlungen kürzen, noch die Unterkunft verweigern.“ Selbst das Gefängnis habe auf viele Menschen hier keine abschreckende Wirkung mehr. Würde man die Unruhestifter in eine andere Unterkunft verlegen, würde man ihr Fehlverhalten noch belohnen. Keck: „Dieses Signal soll keinesfalls an die Bewohner ausgehen.“ Der Hinweis, dass sich ein Fehlverhalten auf die Genehmigung eines Asylantrages auswirken könne, helfe bei Menschen, die ohnehin jegliche Hoffnung auf ein positives Asylverfahren verloren hätten, wenig.

Der Kreis will Zwischenwände einziehen

Um das Konfliktpotenzial wenigstens ein bisschen zu verringern, möchte das Landratsamt Esslingen nun Zwischenwände in die Halle einziehen und für eine leisere Heizung sorgen. Bisher liegen die Bewohner ohne Privatsphäre in Stockbetten. Einige versuchen, sich mit Decken, Karton und Laken ein wenig abzuschotten. Vor dem Lärm in der riesigen Industriehalle gibt es aber kein Entrinnen. Zu wenige Möglichkeiten, Wertsachen in Spinden abzuschließen, begünstigen Diebstähle.

Im Januar sollen außerdem Container mit Kochmöglichkeiten im kleinen Hof des Gebäudes aufgestellt werden. Dann können die Bewohner ihr Essen selbst zubereiten. Außerdem bekommen sie dann mehr Geld ausgezahlt. Derzeit erhalten die Flüchtlinge 184 Euro pro Monat, weil sie ihr Essen geliefert bekommen. Bei Eigenverpflegung gibt es 329 Euro monatlich.

Das Leben in der Unterkunft erträglicher zu machen, das ist auch das Ziel der 200 Ehrenamtlichen des Runden Tischs – Flüchtlingsarbeit Aichtal. Sie bieten Sprach- und Sportkurse an, helfen bei Verständnisproblemen und unterhalten einen Fahrdienst. „Wir haben keine Angst bei unserer Arbeit mit den Flüchtlingen“, sagt die Sprecherin des Runden Tisches, Annette Thaler. Bloß nachts würde sie nicht alleine in die Sammelunterkunft gehen. Dass die jüngsten Schlagzeilen aus der Aicher Unterkunft einige Menschen verunsicherten, kann sie nachvollziehen: „Die Leute haben Angst.“ Allerdings betont sie ebenso wie Sonja Sambeth-Weber, dass es wenige Bewohner seien, die regelmäßig für Ärger sorgten. Es habe kaum Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen gegeben. Die Auseinandersetzungen fänden in der Unterkunft unter den Flüchtlingen selbst statt.

Die Sorgen in der Bevölkerung schlagen sich dennoch in Reaktionen gegenüber den Ehrenamtlichen nieder. Die Mitglieder des Runden Tisches seien bereits beschimpft worden. Annette Thaler wünscht sich, dass die Arbeit der Ehrenamtlichen stärker vom Landratsamt unterstützt würde. Die vielen Helfer gelangten an ihre Kapazitätsgrenzen, auch finanziell. Peter Keck betont jedoch, dass die Behörde derzeit wöchentlich 270 Menschen unterbringen müsste. In Neuhausen werden Flüchtlinge nun bereits in Zelten untergebracht, in Dettingen und Leinfelden-Echterdingen sollen weitere Zelte folgen. Eine Betreuung, wie sie wünschenswert wäre, sei unter diesen Bedingungen einfach nicht zu leisten, räumt Peter Keck offen ein.