Abschiebungen werden seit einiger Zeit vom Land forciert. Foto: dpa

In der Flüchtlingsunterkunft an der Böblinger Straße im Stuttgarter Süden wurde im Juni eine Familie aus Mazedonien abgeschoben. Der Fall sorgt deshalb für Unruhe, weil die Betroffenen sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt hatten. Doch sie tragen offenbar auch eine Mitverantwortung.

Stuttgart - In der Flüchtlingsunterkunft Böblinger Straße herrscht laut der dort zuständigen Sozialarbeiterin Unruhe unter den Bewohnern aus den Balkanstaaten. Der Grund ist eine Abschiebung in der Nacht auf den 16. Juni, als die Polizei eine Familie aus Mazedonien mit zwei kleinen Kindern abholte. Die Betroffenen sollen nicht mit dem Einsatz gerechnet haben, weil sie bei der Rückkehrberatung der Stadt gewesen waren und sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt haben.

Für die sieben Familien aus dem Balkan, die jetzt noch in der Unterkunft leben, sei die Abschiebung „sichtlich schockierend“ gewesen, berichtet die Sozialarbeiterin Katja Demele von der Evangelischen Gesellschaft (eva), die die Unterkunft betreut. Sie könnten sich „nicht mehr darauf verlassen, dass die freiwillige Rückreise einen Schutz vor der Abschiebung bedeutet“, sagt Demele. Zuvor sei immer klar gewesen, wer freiwillig zurückkehrt, wird nicht abgeschoben. „Für die Kinder ist eine Abschiebung ein riesiger Stress, nachts raus geklingelt zu werden“, sagt die Sozialarbeiterin.

Auch von den Ehrenamtlichen wird die Abschiebung der Familie kritisiert. „So eine Aktion torpediert unsere Bemühungen, den Leuten die sogenannte freiwillige Rückreise nahezuzulegen, statt auf eine Abschiebung mit Polizeiaufgebot zu warten“, sagt beispielsweise Reinhard Otter vom Freundeskreis Flüchtlinge Stuttgart-Süd. Ihnen sei wichtig, dass mit den Leuten fair und menschlich umgegangen werde. „Die Familien vom Balkan aus der Unterkunft sind in heller Aufruhr“, berichtet auch Otter. Alle hätten die Abschiebung mitbekommen. „Das macht den Familien einfach Angst“, sagt der Ehrenamtliche.

Fehlende Pässe sind das Problem gewesen

Bei der Rückkehrberatung ist man zwar ebenfalls „nicht glücklich“ über den Ausgang, weist aber auch der Familie Verantwortung zu. Diese sei bereits Ende März zur Rückkehrberatung gekommen, eigentlich sollte die Ausreise dann zeitnah innerhalb eines Monats erfolgen, sagt der Leiter der Rückkehrberatung, Gert Lienig. Normalerweise melde sich das Regierungspräsidium bei ihnen, bevor es die Abschiebung veranlasst, das sei nicht erfolgt. Auf der anderen Seite sei die Familie kein zweites Mal zu ihnen gekommen.

Das Problem in diesem Fall: die für die Ausreise benötigten Reisepässe hätten nicht vorgelegen. Das könne ein Grund sein, die Frist für die Ausreise zu verlängern, berichtet Lienig. Die Familie habe angegeben, dass sie die vier Pässe in Karlsruhe in der Erstaufnahmestelle abgegeben habe, was laut Lienig ein üblicher Vorgang ist. Das Regierungspräsidium Karlsruhe konnte die Pässe der Kinder allerdings nicht ausfindig machen, nur die Personalausweise der Eltern lagen vor. Das Regierungspräsidium habe ihnen mitgeteilt, dass kein Vermerk über die Abgabe von Reisepässen existiere, so Lienig. Im Fall der Balkanstaaten sei es eigentlich möglich, dass die Ausländerbehörde Ersatzdokumente ausstellt, die die Ausreise ermöglichen, sogenannte EU-Laissez-Passers. Das war aber hier nicht möglich, da hierfür wenigstens in Kopie Nachweise für die Kinder hätten vorliegen müssen. Die Familie hätte sich beim zuständigen Konsulat Passersatzpapiere beschaffen müssen, sagt Lienig. Es gebe eine Mitwirkungspflicht.

Die Information scheint nicht bei der Familie angekommen zu sein

Auf die Mitwirkungspflicht weist auch das RP Karlsruhe hin. Seit April sei der Rückkehrberatungsstelle und der Ausländerbehörde bekannt gewesen, dass nur die Personalausweise der Eltern, jedoch keine Reisepässe vorlägen, „so dass ab diesem Zeitpunkt bekannt war, dass sich die Familie über die Auslandsvertretung um Reisedokumente für die Kinder bemühen muss“, berichtet ein Sprecher der Karlsruher Behörde. Nur – diese für die Familie zentrale Information scheint bei dieser nie angekommen zu sein. Die Eltern haben aber auch von sich aus nicht nachgefragt. „Leider ist auch bei uns der ,Fall’ in der Masse untergegangen“, sagt Gert Lienig. Die Beratungsstelle ist stark frequentiert (siehe Infokasten).

Die Sozialarbeiterin Katja Demele sagt, die Familie sei davon ausgegangen, dass die Pässe vorgelegen hätten. „Wären sie aufgefordert worden, hätten sie bei der Beschaffung der Dokumente mitgewirkt“, glaubt sie. Sie ist sich sicher, dass die Eltern ihren Kindern die Abschiebung erspart hätten.

700 Rückkehrer erwartet

Die Rückkehrberatung Zweite Chance Heimat wird von der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW) im Auftrag der Stadt geleitet. Die Beratungsstelle ist stark frequentiert, weshalb die Stadt auch das Personal aufgestockt hat. Seit dem 1. Juni gibt es eine Vollzeitkraft mehr, sodass die Rückkehrberatung nun zweieinhalb Stellen hat.

In diesem Jahr (die Statistik läuft vom 1. April 2016 bis 31. März 2017) rechnet die AGDW mit 700 freiwilligen Rückkehrern. 538 sind es zwischen dem 1. April 2015 bis 31. März 2016 gewesen. Die Mehrheit kommt aus den Balkanstaaten, aber auch der Irak und Afghanistan haben zugelegt. Für Menschen, deren Heimat im Balkan liegt, gibt es kein Startgeld, sondern nur die Reisekosten und Vespergeld für die Fahrt. Der Freundeskreis Stuttgart Süd hat eine eigene Initiative gestartet, diesem Personenkreis über Spenden ein Startgeld von 100 Euro pro Person mit auf den Weg zu geben. „Wir haben einen guten, intakten Unterstützerkreis“, sagt Reinhard Otter.