Unterkünfte für Flüchtlinge sind knapp. Das Bürgerhospital ist nun im Gespräch Foto: Lichtgut/Piechowski

Die Landesregierung sucht Gebäude für die Erstaufnahme von Flüchtlingen – und hat das Stuttgarter Bürgerhospital ins spiel gebracht. Ob die Stadt mitmacht, ist offen – zumal auf dem Gelände bezahlbare Wohnungen entstehen sollen.

Stuttgart - Für einige Stunden ist die Verwirrung am Montagabend komplett. Aus Kreisen der Landesregierung wird am Rande des Flüchtlingsgipfels im Neuen Schloss verkündet, im Stuttgarter Bürgerhospital entstehe eine Landeserstaufnahmeeinrichtung für 650 Asylbewerber. Die Vertreter der Landeshauptstadt allerdings werden davon kalt erwischt. Nach einigen Rücksprachen sagt ein Rathaussprecher dazu nur, es habe noch keine Verhandlungen gegeben, geschweige denn eine Entscheidung.

Tags darauf wird die Geschichte klarer. „Das Land hat bei der Landeshauptstadt nachgefragt, ob auch die Möglichkeit zur Einrichtung einer Landeserstaufnahmestelle in Stuttgart gegeben ist, namentlich im frei werdenden Bürgerhospital“, sagt Stadtsprecher Andreas Scharf. Angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen habe man „selbstverständlich die Bereitschaft bekundet, darüber Verhandlungen aufzunehmen“. Begonnen worden sei damit aber noch nicht, es habe auch noch keine Prüfung gegeben, inwieweit das Bürgerhospital geeignet sei und welche Kapazitäten es dort gebe.

Hintergrund ist der Plan des Landes, die Zahl der Plätze für die Erstaufnahme von derzeit 9000 bis nächstes Jahr auf knapp 20 000 zu verdoppeln. In den Landeserstaufnahmestellen (Lea) wohnen Flüchtlinge, wenn sie neu nach Baden-Württemberg kommen. Dort werden sie medizinisch untersucht, stellen ihren Asylantrag und werden dann nach einigen Wochen in die Stadt- und Landkreise weiterverteilt.

Nur: Die Gebäude für die Leas müssen erst einmal gefunden werden. „Wir setzen alles daran, diese komplexe Aufgabe zu meistern“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Bei der Suche ist die Landesregierung auf das Bürgerhospital gestoßen. Das weitläufige Gelände an der Türlenstraße wird derzeit nach und nach geräumt. Nur wenige medizinische Abteilungen sind dort noch untergebracht, der Großteil ist bereits ins Katharinenhospital und ins Krankenhaus Bad Cannstatt umgezogen. Der Rest folgt bis Jahresende.

Das Gelände gilt als Filetstück. Dort sollen bis zu 500 bezahlbare Wohnungen entstehen. Wann genau, steht allerdings noch nicht fest. Das Hauptgebäude steht unter Denkmalschutz. Es ist unklar, ob ein Umbau zu Wohnraum damit überhaupt machbar ist. Alternative wäre ein Abriss, den aber bisher niemand offen fordert. Zudem befinden sich Personalwohnungen des Klinikums auf dem Areal, die erhalten bleiben sollen. Bis Herbst soll eine Machbarkeitsstudie vorliegen, wie es mit dem Gelände weitergeht. Im Auge hat die Stadtverwaltung dabei auch das benachbarte Gelände der Abfallwirtschaft Stuttgart, auf dem nach einem Umzug weitere 100 Wohnungen möglich wären.

Einstweilen hat die Stadt im Bürgerhospital bereits 220 Asylbewerber untergebracht. Demnächst sollen 250 weitere ins denkmalgeschützte Hauptgebäude einziehen, bis neue Systembauten an anderer Stelle in der Stadt fertig sind. Übergangsweise – was sich von einer längerfristigen Nutzung als Lea erheblich unterscheiden würde. Was in diesem Fall aus den Wohnbauplänen würde, ist offen.

Ungeklärt ist auch eine andere Frage. Bisher war es üblich, dass Städte mit einer Lea keine weiteren Flüchtlingsunterkünfte mehr stellen müssen. Das ist im Stuttgarter Fall kaum vorstellbar. Im Integrationsministerium deutet man an, dass diese Regelung ohnehin nicht mehr lange zu halten sein dürfte. Im Rathaus denkt man trotzdem an Kompensation. So ganz sind die Irritationen wohl doch noch nicht vom Tisch.

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Flüchtlingsunterbringung

In diesem Jahr wird Baden-Württemberg mindestens 52 000 Flüchtlinge aufnehmen müssen, manche Experten erwarten sogar 80 000. Die Asylbewerber leben die ersten Wochen in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea), danach werden sie dauerhaft über die Stadt- und Landkreise verteilt. Maßgeblich ist dabei die Bevölkerungszahl. Viele Gemeinden wissen mittlerweile nicht mehr, wie sie den enormen Zustrom bewältigen sollen. Vereinzelt kommen bereits Zeltstädte und Turnhallen als Quartiere zum Einsatz.

Stuttgart will Flüchtlinge möglichst dezentral in unterschiedlichen Stadtbezirken menschenwürdig unterbringen. Derzeit leben in der Stadt 3300 Asylbewerber in 73 Unterkünften. Die Zahl soll bis Jahresende auf 5400 Menschen steigen, deshalb errichtet die Stadt an elf weiteren Standorten Systembauten mit 2238 Plätzen. Eine Lea im Bürgerhospital könnte zusätzlich 650 Flüchtlinge aufnehmen.

Weil auch die Kapazitäten für die Erstaufnahme nicht mehr ausreichen, sucht das Land neue Standorte für Leas. Bis Jahresende sollen zu den bisher 9000 Plätzen weitere 5700 kommen, im nächsten Jahr nochmals 5000. Als mögliches Gelände ist nicht nur das Areal des Stuttgarter Bürgerhospitals im Gespräch. „Es sind noch nicht alle Standorte spruchreif, aber wir haben einige auf der Liste“, sagt ein Sprecher des Integrationsministeriums. Dazu gehören die Polizeiakademie in Wertheim (Main-Tauber-Kreis), die Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen und ein Gelände der Polizeihochschule in Freiburg. Zudem sollen neben dem Landratsamt in Tübingen Systembauten oder eine beheizbare Traglufthalle entstehen. Eine weitere Lea könnte in Schwäbisch Hall eröffnet werden. (jbo)