Aufklären, aufhalten, ausschalten: In drei Stufen sollen Schleuserbekämpft werden – in der ersten Phase auch mit Hilfe der Bundeswehr Foto: dpa

Die EU möchte das Schlepper-Unwesen in Libyen an der Wurzel bekämpfen – möglicherweise auch mit militärischen Mitteln. Die Strippenzieher des Menschenhandels beeindruckt das allerdings nicht.

Brüssel/Tripolis - Federica Mogherini hat Druck gemacht: „Ich erwarte, dass diese Entscheidung heute getroffen wird.“ Gemeint war die Zustimmung der Außen- und Verteidigungsminister zu einer Marineoperation auf dem Mittelmeer. Und die hat die EU-Außenbeauftragte am Montag auch bekommen. Die Mission mit dem komplizierten Namen EUNAVFOR soll dem skrupellosen Treiben der Schlepperbanden ein Ende setzen.

Für ihr Anliegen hat die EU-Außenbeauftragte bereits in New York bei den Vereinten Nationen geworben. Die 41-Jährige ist zuversichtlich, dass ein UN-Mandat für den Marineeinsatz, der bis ins Hoheitsgebiet von Libyen reichen soll, möglich ist: „Es gibt keinen größeren Widerstand gegen eine Resolution“, sagte sie am Montag in Brüssel, wo sie ihr Konzept den höchsten Diplomaten der Mitgliedstaaten sowie deren Verteidigungsministern vorstellte.

"Skeptisch, ob wir dieses Mandat bekommen"

Das sehen längst nicht alle so optimistisch. „Ich bin skeptisch, ob wir dieses Mandat bekommen“, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Vorgesehen ist ein mehrstufiger Plan, nach dem in erster Instanz die Standorte möglicher Flüchtlingsschiffe ausgemacht werden sollen. Diese würden in der nächsten Stufe aufgetrieben und zerstört – entweder auf hoher See oder in italienischen Häfen. In der dritten Phase sieht Mogherinis Vorschlag Marineeinsätze in libyschen Gewässern vor. Das aber wird ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats kaum möglich sein. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erwartete zumindest „kein prinzipielles Veto“ für die Marineoperation.

Doch die Idee der EU-Strategen, den Menschenhandel über das Mittelmeer notfalls auf libyschem Boden zu bekämpfen, stößt im betroffenen Land auf Skepsis und Ablehnung. „Keine gute Idee“, meinte der UN-Botschafter der international anerkannten libyschen Regierung, Ibrahim al-Dabaschi, am letzten Freitag im Gespräch mit dem amerikanischen Journal „Foreign Policy“. „Es wird sehr schwierig sein, Fischerboote und Schmugglerboote voneinander zu unterscheiden. Für die Fischer könnte das katastrophal werden.“

Libyen ist derzeit tief gespalten

Dabei kontrolliert al-Dabaschis Regierung gar nicht die Küsten, von denen aus die Flüchtlingsschiffe in See stechen. Libyen ist derzeit tief gespalten. Die eher weltliche, international anerkannte Regierung sitzt weit im Osten, in Tobruk und Al-Baida. Im Westen mit den Hauptschmuggelhäfen Sabratha, Suwara und Al-Chums haben diverse Milizen das Sagen. Sie sind mit der islamistischen Gegenregierung in der Hauptstadt Tripolis verbunden.

Der Diplomat des Tobruk-Kabinetts artikuliert allerdings eine Stimmung, die für die Bürger aller Landesteile charakteristisch zu sein scheint. „Das zeigt nur, wie diese EU-Politiker auf die Souveränität unseres Landes pfeifen“, meint etwa der 35-jährige Hassan Al-Kib aus Tripolis. „Die Aktion wird ihnen außer hohen Kosten nichts bringen“, fügt er hinzu.

Der 39-jährige Murad al-Suwari arbeitet als sogenannter Koordinator für Schmuggeloperationen in Suwara, 90 Kilometer westlich von Tripolis. „Da gibt es Menschen mit ganz verschiedenen Aufgaben“, erklärt er den komplexen organisatorischen Hintergrund dieses Geschäfts. „Der eine wirbt die „Kunden“ an, die nach Europa wollen. Ein anderer vermietet sein küstennahes Landwirtschaftsgebäude als temporäres Quartier. Und dann ist da der Typ, der die Strippen zieht, der das Geld einsammelt und dann am Tag X sagt: „Das Boot ist bereit, geht zum Strand!“

Meist steigen die Flüchtlinge in Schlauchboote, die sie zu einem weiter draußen vor Anker liegenden Schiff bringen. Häufig hat es der Schlepper-Chef Fischern abgekauft. In seiner Kalkulation ist der Kaufpreis ein Abschreibposten. Er geht von vornherein davon aus, dass der Kahn bei der Aktion verloren geht.

Sinken der Schiffe ist einkalkuliert

Das Sinken der heillos überfüllten Schiffe ist zynischerweise einkalkuliert. Denn es erhöht den Druck auf die italienische Küstenwache, die Flüchtlinge zu retten, um nicht erneut eine Katastrophe mit 800 Toten wie im Vormonat hinnehmen zu müssen. Sinkt ein Schiff nicht, treibt es nach der Rettung der Flüchtlinge auf dem offenen Meer. Beauftragte des Schlepperrings holen es bei Gelegenheit zurück nach Libyen. Es kann dann noch einmal verwendet werden und zusätzlichen Profit für die Schlepper abwerfen.

Die Strippenzieher dieses schmutzigen Geschäfts wären idealerweise das Ziel kühner Zugriffsaktionen von Militärkommandos williger EU-Staaten. Schlafen sie unruhig seit dem Bekanntwerden der EU-Pläne? Al-Suwari lacht auf. „Das sind Menschen mit grausamen Herzen“, kontert er. „Sie lassen sich nicht von ihrem Treiben abbringen, solange jemand bereit ist, dafür viel Geld zu bezahlen.“

Die EU-Außenbeauftragte hält aber weiter an einer Verstärkung der Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden fest. Bert Koenders, Außenamtschef der Niederlande, sieht dafür allerdings nur eine Chance, wenn dort eine Regierung der nationalen Einheit zustande kommt: „Das muss das oberste Ziel sein.“ „Die Flüchtlingsströme werden nicht enden, wenn in Libyen nicht stabilere Verhältnisse herrschen“, stimmte Steinmeier zu. Seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis kehrt in dem nordafrikanischen Staat keine Ruhe ein, Flüchtlinge können nahezu ungehindert das Land durchqueren und von der Küste aus das nur 300 Kilometer entfernte Lampedusa und damit die Europäische Union ansteuern.

Noch unter der Regierung von Silvio Berlusconi hatte Italien jährlich fünf Milliarden Euro an Gaddafis Regime gezahlt – im Gegenzug versprach er strengere Grenzkontrollen. 2012 wurde das Abkommen noch einmal erneuert, dann aber eingestellt. Italien drängte deshalb immer mehr auf die Hilfe der anderen EU-Mitgliedstaaten im Kampf gegen die Schlepperbanden.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz glaubt an den Erfolg eines solchen Einsatzes und verwies auf die erfolgreiche EU-Mission gegen die Piraterie vor der Küste Somalias. Kritik an der Operation kam hingegen schon vorab von Bundesentwicklungsminister Gert Müller: Ein Militäreinsatz sei mit zu vielen Risiken verbunden, löse aber keine Probleme.

Nach dem Beschluss der Außen- und Verteidigungsminister soll in Rom nun so schnell wie möglich das Operationszentrum der Mission entstehen. 11,82 Millionen Euro wird sie allein in der zweimonatigen Aufbauphase verschlingen. Laufen soll. EUNAVFOR dann zunächst für ein Jahr. Mogherini will so schnell wie möglich mit der Planung beginnen: „Hoffentlich können wir schon im Juni die Operation starten.“ Viel Zeit bleibt ihr damit nicht. Doch die Zeit drängt. Denn mit dem Frühjahr und den milden Temperaturen stechen wieder zahlreiche Schiffe in See. In diesem Jahr sind schon mindestens 1800 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt gestorben.