Jörg Armbruster referierte in Echterdingen über die Flüchtlingskrise. Foto: Natalie Kanter

Jörg Armbruster, Journalist und Syrienexperte, hat in Echterdingen über die Hintergründe der Flüchtlingswelle gesprochen.

Echterdingen - Ein höchst brisantes Thema und ein prominenter Gast haben der evangelischen Kirchengemeinde am Mittwochabend ein volles Haus beherrscht. Mehr als 230 Menschen wollten den Vortrag von Jörg Armbruster hören. Der Titel lautete „Die syrische Tragödie – kein Friede in Sicht.“

Der langjährige ARD-Korrespondent und frühere Weltspiegel-Moderator hatte sich vorgenommen, seinen Zuhörern in der Stephanuskirche zu erklären, warum gerade jetzt so viele Menschen aus Syrien fliehen – obwohl der Bürgerkrieg das Land bereits seit mehr als vier Jahren fest im Griff hat. Das liege nicht nur am Terror des islamischen Staats. „Es fliehen mehr Menschen vor dem Terror den Assad gegenüber seiner eigenen Bevölkerung ausübt“, sagte er. So lasse der syrische Staatspräsident beispielsweise Chlorgas- und Fassbomben abwerfen. Scharfkantige Eisenteile töten Zivilisten oder verletzen sie schwer.

Männer fliehen, weil sie weder in Assads Armee eingezogen werden wollen, noch sich dem islamischen Staat anschließen wollen. Weil die Flucht mittels Schlepper teuer ist, werden die Jungen vorgeschickt. Sie sollen sich durchschlagen und später die Familie nachholen. „Ein Spiel mit hohem Risiko“, sagte Armbruster.

Große Hoffnungslosigkeit macht sich breit

Es habe sich zudem eine große Hoffnungslosigkeit in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und auch in der Türkei breit gemacht. Die Lage dort sei trostlos. Den UN-Flüchtlingswerken gehe das Geld aus. Viele Menschen müssen zusehen, wie sie selbst zurande kommen. Prostitution mache sich breit. Die Winter in Syrien und den angrenzenden Ländern könnten mitunter auch bitterkalt sein. Neugeborene hätten dort kaum Überlebenschancen.

Die Menschen glauben nicht mehr daran, dass der Krieg bald vorbei ist. Ein Krieg, der sich laut dem Journalisten längst zu einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien entwickelt habe. „Es geht um die Vormacht im Nahen Osten“, sagte Armbruster. Die militärischen Aktionen von Amerika seien wenig erfolgreich. Die militärische Präsenz Russlands werde den Krieg verlängern, glaubt er.

Der langjährige Auslandskorrespondent sprach von mehr als 7,6 Millionen Menschen, die in Syrien herumirren, um sich in Sicherheit zu bringen. In der Türkei sollen mittlerweile zwei Millionen Flüchtlinge leben. „Der Libanon hat seine Grenzen dicht gemacht. Aus gutem Gründen. Das gleiche versucht Jordanien.“ Diese Länder seien an den Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt. Während sich die Golfstaaten vornehm zurückhalten.

Die Hälfte der Einwohner Syriens sind auf der Flucht

Die Hälfte der Einwohner Syriens sei bereits auf der Flucht. Dennoch: „Das Flüchtlingsdrama wird weiter gehen“, sagte Armbruster. „Es werden noch viel mehr Menschen nach Deutschland kommen. Es hat sich herumgesprochen, dass Deutschland Flüchtlinge am ehesten willkommen heißt.“

Der Referent hatte den Film eines jungen Kollegen mitgebracht. Der Mann hat Hilfslieferungen eines Deutsch-Syrers in dessen Heimat begleitet. Der Streifen berichtet über Kinder in einer kinderfeindlichen Welt und über Menschen, die in Geisterstädten leben. Der Journalist filmt am Ende sich selbst – in Tränen aufgelöst.

Pastor Thomas Mozer von der evangelisch-methodistischen Gemeinde hatte die Idee, den Syrienexperten zur interkulturellen Woche einzuladen. „Damit wir verstehen, warum so viele Menschen auf der Flucht sein müssen. Damit wir gute Gastgeber sein können.“ Die Woche wird von der Stadt L.-E., ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer sowie der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) veranstaltet.