Til Schweiger will ein „Vorzeige-Flüchtlingsheim“ bauen – wenn das mal so einfach wäre Foto: dpa

Überraschungen im Grundbuch, komplizierte Bauvorschriften, unerwünschte Geschäftspartner: Til Schweigers Plan für ein„Vorzeige-Flüchtlingsheim“ entpuppt sich immer mehr als Minenfeld. Honig im Kopf? Der Titel seines letzten Films scheint manchmal auf Schweiger selbst zuzutreffen.

Stuttgart/Osterorde - Ein Löffel Ahnungslosigkeit, eine Prise Chaos, eine Messerspitze Vergesslichkeit – aber zu alldem das unerschütterliche Wissen: Am Ende wird er wieder alles zum Guten wenden. Trommelschlag, verschmitztes Lächeln, Happy End. So lautet das Erfolgsrezept Til Schweigers – zumindest, was seine Filme angeht. Ob dieser Mix auch für die Unterbringung von Hunderten Flüchtlingen zum Erfolg führt? Daran kommen jetzt Zweifel auf.

Ein „Vorzeige-Flüchtlingsheim“ will Schweiger bauen. Das hat er Anfang August in der „Bild am Sonntag“ angekündigt. Schweiger verspricht Flüchtlingen eine tolle Umgebung: Freizeitangebote für Kinder, Werkstätten, eine Näherei, so dass Menschen dort arbeiten können, eine Sportanlage „und so weiter“ – das alles werde seine Flüchtlingsherberge bieten. Der geplante Standort: eine ehemalige Kaserne im niedersächsischen 22 000-Einwohner-Städtchen Osterode. Dort wolle er das Projekt mit Freunden realisieren, die die Kaserne Anfang 2014 gekauft hätten: Schweigers Bekannter Wolfgang Koch mit seiner Firma Princess of Finkenwerder. Seit Anfang August sei „alles unter Dach und Fach“, sagte Schweiger im Interview mit der „Bild“.

Vizekanzler Gabriel trifft sich mit Schweiger

Einige Tage später traf sich sogar Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) mit Schweiger in einer Berliner Kneipe, um „Planungen für Flüchtlinge und gegen rechtsradikale Hetze“ zu besprechen, wie Gabriel später schrieb. Und der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, schickte Schweiger einen Brief: „Zwar ist das BAMF für die Asylverfahren und nicht für die Unterbringung der Asylsuchenden zuständig. Aber falls wir behilflich sein können, kann sich Ihr Team gerne an uns wenden.“

Bis hierhin klingt es wie ein Sommermärchen: Schweiger baut eine Wunderwelt für Flüchtlinge, setzt als Prominenter ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, und alle wollen ihm dabei zur Seite stehen. Aber näheres Hinsehen macht deutlich: Bei der geplanten Vorzeige-Unterkunft sind so manche Dinge leider gar nicht zum Vorzeigen – zum Beispiel das Grundbuch von Osterode. Ein Blick hinein weckt Zweifel an Schweigers Zielstrebigkeit.

Vertragsabschluss verzögert sich

Als Eigentümer der ehemaligen Kaserne ist nicht die Princess of Finkenwerder, sondern die Phalanx Investment GmbH eingetragen. Das bestätigte das Amtsgericht Osterode den Stuttgarter Nachrichten. Dieser Firma hatte die Kaserne Medienberichten zufolge früher gehört. Sie ist mittlerweile insolvent.

Das wirft Zweifel an den Besitzverhältnissen auf. An Verwaltungskreisen heißt es, Koch habe zumindest einen Eintrag im Grundbuch, so dass niemand anderes ihm beim Kauf der Kaserne zuvorkommen dürfe.

Zwar läuft laut Amtsgericht aktuell ein Antrag auf eine Änderung im Grundbuch, so eine Mitarbeiterin des Amtsgerichts Osterode. Doch die Zeit drängt: Niedersachsen hat zurzeit vier Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) für Asylsuchende. Bis April 2016 brauche Niedersachsen zwei zusätzliche Lea, so ein Sprecher des Innenministeriums. Eine davon solle bis Ende des Jahres in Betrieb gehen. Die Suche nach geeigneten Standorten ziehe sich schon seit Monaten hin. Aber solange Schweigers Bekannter Wolfgang Koch nicht im Grundbuch eingetragen ist, können die niedersächsischen Behörden mit ihm keinen Mietvertrag abschließen. Warum Koch die Grundbuchänderung vor sich herschiebt, bleibt offen. Für eine Stellungnahme war er am Donnerstag nicht zu erreichen.

Neben der Kaserne prüft das Land weitere Standorte – etwa Neu Tramm im Wendland. Falls der Vertragsabschluss weiter auf sich warten lässt, könnte die nächste Lea also erst einmal anderswo entstehen.

Schweiger als Betreiber der Unterkunft unwahrscheinlich

Geschäftspartner berät Sicherheitsfirma in Krisengebieten

In Verruf geraten war das Projekt mit der ehemaligen Kaserne, lange bevor Schweiger Anfang August sein Engagement ankündigte. In der Lokalzeitung „Harzkurier“ ließ sich Wolfgang Koch im November 2014 mit Jan Karras ablichten, als sich die beiden als neue Investoren für die ehemalige Kaserne in Osterode vorstellten. Zugleich ist Karras laut „NDR“-Recherchen Berater für eine Sicherheitsfirma, die auch in Krisengebieten arbeitet.

Wer Söldner in Kriegsgebieten stellt, will gleichzeitig Kriegsflüchtlinge in Deutschland beherbergen? So lautete, kurz gefasst, die Kritik, die prompt in den Medien folgte. Karras soll mittlerweile aus dem Projekt ausgeschieden sein. Gerade wegen dieser Vorgeschichte mahnt Frank Kosching, Linken-Abgeordneter im Kreistag Osterode, zu Vorsicht mit Blick auf die Zukunft des Standorts: „Die Mehrheit der Leute in Osterode möchte die Landeserstaufnahmeeinrichtung.“ Aber das ginge nur, wenn sie seriös betrieben werde – und Karras nichts mehr damit zu tun habe.

Schweiger als Betreiber der Unterkunft unwahrscheinlich

Dass Schweiger oder die Firma seines Bekannten Koch die Flüchtlingsunterkunft selbst betreiben, sei laut eines Sprechers des niedersächsischen Innenministeriums nicht ohne weiteres möglich. „An den meisten Standorten machen wir das als Land selbst. Wo das nicht so ist, muss es ein Betreiber sein, der damit Erfahrung hat und vor Ort sehr gut beispielsweise mit sozialen Einrichtungen vernetzt ist, um den Flüchtlingen entsprechende Kontakte vermitteln zu können“, sagte der Sprecher den Stuttgarter Nachrichten.

In Osnabrück etwa habe das Land gute Erfahrungen mit der Diakonie als Betreiber gemacht. Sobald der Mietvertrag mit Koch stehe, werde das Land „voraussichtlich“ mit der Suche nach einem Betreiber beginnen.

Beginnen werden dann vielleicht endlich auch die Bauarbeiten an der Kaserne. Die Bundeswehr hatte den Standort 2002 aufgegeben. „Wenn Sie die Gebäude heute neu nutzen wollen, müssen Sie alle aktuellen Vorschriften einhalten, zum Beispiel in Sachen Klimapolitik“, sagt Osterodes Verwaltungschef Gero Geißlreiter – da gebe es im Vergleich zu 2002 viel aufzuholen. Der Aufwand sei enorm – dreifachverglaste Fenster seien nur eines von vielen Beispielen dafür, was fehlt. Dennoch passiert auf dem Gelände derzeit – nichts. Denn einen Bauantrag zum Umbau gebe es noch gar nicht, wie Geißlreiter bestätigt. Nur eine sogenannte Bauvoranfrage sei bisher eingegangen. „Sie war aber nicht konkret genug“, sagt Geißlreiter.

Wird Til Schweiger bald mit Flüchtlingskindern Fußball spielen?

Verwaltungschef Geißlreiter kritisiert das Land: Würde es selbst als Bauherr für den Umbau auftreten, könnten viele Vorschriften umgangen werden. Der Umbau wäre schneller und billiger. „Das geht auch, wenn das Land nicht selbst Eigentümer ist.“ Aber Finanz-, Sozial- und Innenministerium in Niedersachsen könnten sich in der Sache nicht einigen.

Ob Til Schweiger eines Tages in Osterode mit Flüchtlingskindern Fußball spielen wird, steht in den Sternen. Gute Beschäftigungsmöglichkeiten – darin sieht Osterodes Bürgermeister einen wichtigen Unterschied zwischen einer „vernünftigen Unterkunft“ und einer „Vorzeigeeinrichtung“, wie er in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte. In vielen Kommunen sorgen Ehrenamtliche in Flüchtlingsfreundeskreisen für solche Angebote – mühsame Koordinationsarbeit inklusive. Wird Til Schweiger bald zu ihrem Kreis dazustoßen? Diese Frage kann er gerade leider nicht persönlich beantworten. Schweiger ist beim Dreh: Ein „Tatort“ fürs Kino. Sein Management teilt mit: Schweigers Engagement „befindet sich momentan in der Konkretisierungsphase und wird in den nächsten Wochen weiter besprochen“.

Der Linken-Abgeordnete Frank Kosching nutzt andere Worte: „Es ist völlig illusorisch, dass in Osterode bald Flüchtlinge einziehen werden.“

Die Geschichte geht weiter: Offenbar will Schweigers Bekannter Jan Karras trotz aller Kritik doch nicht ganz aus der Flüchtlingsunterkunft aussteigen. Das erklärten er und Schweiger am Donnerstagabend in der Sendung "ZDFdonnerstalk". Es bleibt spannend, wie es mit Schweigers Flüchtlingsprojekt weitergeht.

Hintergrund: Wahlkampfthema Flüchtlinge

Sieben Monate vor der Landtagswahl rücken die steigenden Flüchtlingszahlen in den Mittelpunkt des politischen Wettstreits zwischen Regierung und Opposition.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Herausforderer Guido Wolf (CDU) besuchten am Donnerstag unabhängig voneinander die völlig überfüllte Landeserstaufnahmestelle (Lea) in Ellwangen im Ostalbkreis. Kretschmann räumte Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen ein, beteuerte aber auch, das Land tue alles, um diese zu beheben.

Wolf wiederum warf dem Regierungschef vor, kein Konzept für den Umgang mit den wachsenden Flüchtlingszahlen in Baden-Württemberg zu haben. „Ich erlebe ein ziemlich wirres und mit den Kommunen nicht abgesprochenes Verteilungsverfahren“, sagte er mit Blick auf die Weiterverteilung von Flüchtlingen auf die Kreise. „Da fehlt das Konzept, da fehlt die Struktur.“ Zudem müsse die grün-rote Landesregierung dringend mehr Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen. Dass so viele Flüchtlinge kämen, sei zwar in der vollen Dimension nicht vorhersehbar gewesen, „aber in der Tendenz konnte man das seit geraumer Zeit absehen“, meinte Wolf, der auch CDU-Fraktionschef ist.

Baden-Württemberg rechnet in diesem Jahr mit 54 000 bis 80 000 Flüchtlingen – das wären doppelt bis dreimal so viele wie 2014. Nach ihrer Ankunft kommen sie zunächst in den drei Lea im Land unter. Sie platzen aus allen Nähten. „Das ist eine Situation, die wir uns alle nicht gewünscht haben“, sagte Kretschmann. Dass es eine Menge Probleme gebe, habe er selbst in der Lea gesehen. Aber an den steigenden Flüchtlingszahlen könne das Land nichts ändern. In der Lea Ellwangen sind derzeit mehr als 2000 Asylbewerber untergebracht – mehr als viermal so viel wie die Regelbelegung von rund 500 Menschen. Bis zum Frühjahr 2016 soll die Zahl der Erstaufnahmeplätze von 10 000 auf dann 20 000 verdoppelt werden. (dpa)