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Nachdem Bewohner eines Flüchtlingsheims in Ellwangen eine Abschiebung durch die Polizei verhindern, demonstrieren die Beamten wenig später die ganze Macht des Rechtsstaates.

Ellwangen - Der Einsatz beginn kurz nach Mitternacht. Hunderte Polizisten und bewaffnete Spezialkräfte, viele im Sturmhauben, besteigen Transporter. Im Schutz der Dunkelheit fahren sie zur einstigen Reinhardt-Kaserne am Rande der beschaulichen schwäbischen Stadt Ellwangen. Bis punkt 05.15 Uhr sind sie ausgestiegen und haben Unterkünfte der hier untergebrachten Asylbewerber umzingelt - die meisten von ihnen aus Nigeria, Kongo, Togo und anderen Staaten Afrikas. Dann kommt der letzte Befehl zum Start des Einsatzes. Er wird zu einer deutlichen Machtdemonstration des Rechtsstaates - mit einer klaren Botschaft: So nicht!

Am Montag hatten in der Ellwanger Landeserstaufnahmestelle (LEA) rund 150 Afrikaner die geplante Abschiebung eines 23-Jährigen aus dem westafrikanischen Kleinstaat Togo mit Gewalt verhindert. Sie schlugen auf Streifenwagen mit Polizisten ein, die die Abschiebung des 23-Jährigen im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe vollziehen sollten. „Rückzug!“, lautete wenig später der Befehl aus dem zuständigen Polizeipräsidium Aalen. Der Mann aus Togo - von 1884 bis 1916 eine Kolonie Deutschlands - wird notgedrungen freigelassen.

„Aggressive und gewaltbereite Ausnahmesituation“

In einer „so aggressiven und gewaltbereiten Ausnahmesituation“ habe man verhindern wollen, dass es Verletzte gibt, erklärt später der Stellvertretende Polizeipräsident Bernhard Weber. Er fügt hinzu: „Das Recht wird durchgesetzt werden, dafür stehen wir.“ Schließlich gehe es in Ellwangen um Straftatbestände wie Gefangenenbefreiung und Landfriedensbruch.

Statt Rückzug lautet der Befehl am frühen Donnerstagmorgen Zugriff. Wenig später melden die Einsatzkräfte mehrere Verletzte - laut Informationen aus Polizeikreisen, die zunächst noch unvollständig sind. Flüchtlinge seien aus Fenstern gesprungen und hätten sich Blessuren zugezogen. Auch einige Polizeibeamte seien leicht verletzt worden, hätten aber ihren Dienst aber fortsetzen können.

Angehörige des Rettungsdienstes „hatten zu tun“, sagt vor Ort Polizeisprecher Bernhard Kohn. Rettungswagen sowie ein Notarztfahrzeug mit Blaulicht in Begleitung der Polizei verlassen die Flüchtlingsunterkunft vor laufenden Kameras. Die Reporter sehen auch, wie mehrere Männer - manche in Handschellen - innerhalb der LEA in Gewahrsam genommen und zur Vernehmung abgeführt werden.

Mindestens ein Mann wird dann in einem Gefangenentransporter an einen anderen Ort gebracht. Ob es sich dabei um den 23-Jährigen aus Togo handelt, dann dem sich die gewalttätige Auseinandersetzung am Montag entzündet hatte, ist zunächst unklar. Man könne aber später „Aussagen zu dem Togolesen“ machen, kündigt Polizeisprecher an.

Bis zu 4500 Menschen in der LEA

Für die Stadt Ellwangen, vor allem aber für die Landesregierung und den zuständigen CDU-Innenminister Thomas Strobl, kommen die bedrückenden Geschehnisse um die LEA Ellwangen höchst ungelegen. Seit längerem hat sich die Landesregierung bei der Stadt im Ostalbkreis um Verständnis dafür bemüht, dass die vor gut drei Jahren in der ehemaligen Reinhardt-Kaserne eröffnete Flüchtlingseinrichtung weit länger bestehen bleibt, als ursprünglich geplant.

Im Frühjahr 2020 endet der entsprechende Vertrag. Über eine eventuelle Verlängerung sollen die Stadtverwaltung und der Gemeinderat entscheiden. Noch im vorigen Monat hatte der Stuttgarter Regierungspräsident Wolfgang Reimer (Grüne) erklärt, das „Interesse sowie die Hilfsbereitschaft und Unterstützung in der Bevölkerung sind weiterhin ungebrochen groß“.

Baden-Württemberg hätte ohne diese Unterstützung die Folgen der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 kaum bewältigen können, so Reimer. Kurzzeitig mussten in der LEA Ellwangen mehr als 4500 Menschen untergebracht werden, inzwischen hat sich die Zahl laut Behördenangaben im Bereich zwischen 400 und 600 eingepegelt.

Mehr Straftaten

Hat die LEA die Stadt Ellwangen verändert, fragte die „Schwäbische Zeitung“. Ihre Antwort - nach der Befragung von Bürgern und Behörden: „Ganz klar ja.“ Zwar würden die Geflüchteten bei den Einwohnern insgesamt immer noch eine „positive Aufnahme“ erfahren. Inzwischen gibt es aber zumindest viel Stirnrunzeln, und teils offene Ablehnung, wie unter anderem Mitarbeiter von Unternehmen nahe der LEA der Deutschen Presse-Agentur berichteten.

Wohl nicht zuletzt, weil die Zahl der Straftaten im einst so stillen Ellwangen spürbar gestiegen sei, wie die Zeitung kürzlich ermittelte. „Früher gab es das bei uns so nicht“, sagt eine etwa 50-jährige Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte. „Aber heute gibt es in Geschäften Sicherheitskameras und manche haben sogar private Sicherheitsleute eingestellt.“