Wer in einer städtischen Flüchtlingsunterkunft wie hier in Feuerbach lebt, muss dafür bezahlen, wenn er kann – in Zukunft deutlich mehr als bisher. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die 8000 Flüchtlinge, die in städtischen Unterkünften leben, mussten bisher 116 Euro pro Monat für die Unterbringung bezahlen. Von September an sind es 389 Euro. Die Stadt bezweckt damit höhere Zuschüsse vom Bund. Doch Sozialorganisationen und Helfer sind entrüstet.

Stuttgart - Die Empörung ist enorm. Sozialarbeiter, karitative Einrichtungen, Flüchtlingsfreundeskreise, Betreuer – überall herrscht Fassungslosigkeit. Die Rede ist wahlweise von einer „Riesensauerei“ oder von „Flüchtlingsabzocke“. Der Adressat des Ärgers ist die Stadt Stuttgart.

Was ist passiert? Im Juli hat der Gemeinderat nach einigen Diskussionen beschlossen, die sogenannte Benutzungsgebühr für die städtischen Flüchtlingsunterkünfte zu erhöhen. Und das schon zum 1. September. Flüchtlinge bezahlen keine Miete, sondern eine Gebühr, weil zahlreiche andere Faktoren mit hineingerechnet werden. Die Gebühr wird sich jetzt mehr als verdreifachen. Paare mit mindestens zwei Kindern müssen demnach künftig fast 1600 Euro im Monat bezahlen, wenn sie 4,5 Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung haben. Sind es sieben Quadratmeter, steigt der Betrag auf bis zu 2425 Euro. „Das sind absurde Zahlen für Geflüchtete“, sagt ein Betreuer.

Den Ärger vergrößert die Tatsache, dass die Änderung bereits in wenigen Wochen greift. „Das kam so beiläufig rein. Erst nach und nach wird jetzt klar, was das bedeutet“, sagt eine Sozialarbeiterin. Dazu gehöre auch, dass viele Betroffene neue Anträge beim Jobcenter auf Unterstützung stellen müssten – mitten in der Ferienzeit. Dem Vernehmen nach soll es in der nächsten Woche sogar ein Treffen der großen Stuttgarter Sozialverbände geben, um das weitere gemeinsame Vorgehen abzustimmen.

Bürgermeister betont: „Zocken keine Flüchtlinge ab“

Bei der Stadt kann man die Aufregung nicht nachvollziehen. „Stuttgart zockt keine Flüchtlinge ab“, sagt Werner Wölfle. „Die entscheidende Botschaft ist: Kein Flüchtling muss mehr bezahlen als vorher“, so der Bürgermeister für Soziales und gesellschaftliche Integration. Es gehe darum, der Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie gegenüber den Stadtfinanzen gerecht zu werden. „Wir haben die realen Kosten für die Unterbringung zusammengestellt, die wir gegenüber dem Bund und dem Land nachweisen“, so Wölfle. Da der Bund derzeit 51,7 Prozent davon übernimmt, bedeuten höhere Gebühren schlicht höhere Zuschüsse. Die Verwaltung erhofft sich in diesem Jahr dadurch zusätzlich 1,7 Millionen Euro. In den beiden nächsten Jahren, wenn die Regelung komplett greift, sollen es jeweils rund 5,8 Millionen Euro sein. Man habe sämtliche Betreuer und Flüchtlingsfreundeskreise rechtzeitig informiert.

Für den Großteil der Flüchtlinge habe die Änderung überhaupt keine Bedeutung, betont man bei der Stadt. Für alle die, die kein eigenes Geld verdienen, bezahlen ohnehin Sozialamt oder Jobcenter für die Unterkunft. Ob das dann 116 oder 389 Euro im Monat seien, spiele für den Betroffenen keine Rolle, so Wölfle. Eine Änderung könne sich nur bei maximal zehn Prozent der derzeit 8000 Flüchtlinge in städtischen Unterkünften ergeben, nämlich den sogenannten Selbstzahlern. Dabei handelt es sich um diejenigen, die bereits arbeiten, aber noch in einer städtischen Unterkunft leben und diese selbst bezahlen. Bei ihnen kann es passieren, dass die Einkünfte nicht mehr ausreichen – dann muss vom Jobcenter aufgestockt werden. „Deshalb werden auch sie nicht höher belastet“, so Wölfle.

Motivation, arbeiten zu gehen, könnte sinken

Allerdings sehen genau in diesem Punkt viele Flüchtlingshelfer und Sozialarbeiter ein großes Problem. „Wie soll man die Leute noch motivieren, sich eine Arbeit zu suchen, wenn sie dann nachher doch wieder Leistungen beantragen müssen?“, fragt einer. „Aus Integrationsgründen ist das eine Katastrophe“, sagt auch der Stuttgarter Caritas-Vorstand Uwe Hardt. Er könne das Vorgehen der Stadt nachvollziehen, aber für alle Flüchtlinge, die arbeiten und sich integrieren wollten, sei es „nicht zu Ende gedacht“. Eine Helferin aus einem Flüchtlingsfreundeskreis fügt an: „Und dann sagt man den Leuten noch zynisch, sie sollten sich halt eine Wohnung auf dem freien Markt suchen. Die ist aber meistens nicht zu finden.“

Dem widerspricht Bürgermeister Wölfle vehement. „Bei 4,5 Quadratmetern pro Kopf in einer städtischen Unterkunft kann man doch nicht von familiärem Wohnen reden. Die Leute wollen sowieso raus – und wir helfen dabei so gut es geht.“ Das sei auch erfolgreich: „Wir verzeichnen derzeit rund 150 Auszüge pro Monat. Von dieser Größenordnung waren wir selbst überrascht.“ Was die neuen Benutzungsgebühren betreffe, habe der Gemeinderat eine sechsmonatige Testphase für Selbstzahler mit Familie zu reduzierten Höchstsätzen beschlossen: „Danach wird es einen Bericht über eventuelle Auswirkungen geben“, kündigt Wölfle an.