Flammende Appelle von der Bürgermeisterbank: Isabel Fezer, Michael Föll und Fritz Kuhn wollen Flüchtlinge auch künftig „anständig unterbringen“ Foto: Jan Reich

Mehr Flüchtlinge kommen in die Stadt – wie viele genau, das ist noch offen. Klar ist, dass Stadt und Stadtgesellschaft vor großen Herausforderungen stehen. Das machte OB Fritz Kuhn jetzt deutlich.

stuttgart - Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat die jüngste Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Anlass genommen, die Stuttgarter auf „schwierigere Zeiten“ vorzubereiten. „Es wird nicht einfacher, gute Unterbringungsmöglichkeiten zu finden“, sagte Kuhn am Donnerstag im Stuttgarter Rathaus. „Es bleibt unser Bemühen, die Menschen gut unterzubringen.“ Man müsse jetzt gemeinsam enger zusammenstehen.

Gleichzeitig äußerte Kuhn die Hoffnung, dass das Land die Zuweisung „hoffentlich nur moderat anheben wird“. Nach der bisherigen Schlüsselzuweisung muss sich Stuttgart entsprechend der neuen Prognose auf rund 500 Flüchtlinge pro Monat einstellen. Bisher hat man mit 307 geplant. Bei der Stadt geht man jedoch von keiner „Eins-zu-eins-Umsetzung“ aus. Im Integrationsministerium stößt dies auf Verwunderung. Die Zuweisung richte sich nach einem feststehenden Schlüssel. Befreit seien nur Stadt-und Landkreise, in denen sich eine Erstaufnahmeeinrichtung (Lea) befindet. Das ist in Stuttgart nicht der Fall.

Verfahrensdauer beträgt im Schnitt 6,7 Monate

Kuhns Hoffnung gründet sich auf die Absicht des Landes, die Zahl der Erstaufnahmeplätze um 10 700 aufzustocken. Ginge es nach dem Stuttgarter OB, sollten es deutlich mehr sein. Eine Entlastung für die Kommunen ergäbe sich allerdings nur dann, wenn die Asylverfahren dort innerhalb der Drei-Monats-Frist abgeschlossen sind. Nach diesem Zeitraum werden die Antragsteller von den Landeserstaufnahmeeinrichtungen auf die Kommunen verteilt. Bisher ist das noch eine Wunschvorstellung: die Verfahrensdauer beträgt im Schnitt 6,7 Monate; nach drei Monaten in den Lea werden die Flüchtlinge vorläufig in den Kommunen untergebracht. In der Verkürzung der Asylverfahren auf drei Monate sieht Kuhn „den entscheidenden Schlüssel“.

Schon die bisherigen Flüchtlingszahlen stellen die Stadt vor große Herausforderungen: Bis Ende 2016 müssen an acht Standorten 1600 zusätzliche Plätze in Systembauten geschaffen werden. Die Orte will die Verwaltung dem Gemeinderat nach den Sommerferien vorschlagen. Laut der neuen Prognosen ist klar, dass das nicht ausreichen wird. Nach Einschätzung des Ersten Bürgermeisters Michael Föll (CDU) wird es künftig nicht ohne Einschränkungen für Anwohner gehen: „Wir werden keine Standorte finden, an denen es keine Betroffenheit gibt.“ Er schließe auch Notunterkünfte für den Winter nicht aus. Kuhn betonte, man werde einen intensiven Dialog mit den Bürgern pflegen.

In vielen Ämtern bereits Personal aufgestockt

Gleichzeitig appellierte er an Bund und Land, für die Kosten aufzukommen. Föll sagte, man erwarte eine voll umfängliche Erstattung nicht nur der Unterkunftskosten, sondern auch für die soziale Betreuung der Flüchtlinge sowie für die Verwaltung. Nach Auskunft von Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) wurde in vielen Ämtern bereits Personal aufgestockt – etwa im Schulverwaltungs- und im Jugendamt, um unter anderem unbegleitete jugendliche Flüchtlinge zu betreuen: 140 leben inzwischen hier. 3885 Asylbewerber sind es derzeit insgesamt.

Die Flüchtlingskosten bezifferte Föll für das kommende Jahr mit 25 Millionen Euro. 2017 seien 42 Millionen Euro erforderlich. Dazu kämen 35 Millionen Euro Investitionsausgaben – vorausgesetzt, es kommen nicht mehr als 307 Flüchtlinge pro Monat hinzu.

Angesichts der Flüchtlingsnot appellierte Kuhn an die Bürger, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Zwangsmaßnahmen, wie sie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ins Spiel gebracht hatte, lehnte er ab. Kuhn betonte, trotz der steigenden Zahlen gebe es keinen Anlass zur Hysterie – aber auch „keinen Grund, die Dinge schönzureden“. Niemand sei berechtigt, „Stimmung gegen Asylbewerber zu machen“. Vielmehr müsse man besonnen mit dem Thema umgehen: „Wer das in den Parteienstreit zieht, entfernt sich von Lösungen. Jetzt ist die Zeit, zusammenzurücken“, sagte er.