Erschöpfte Flüchtlinge in der Erfassungsstelle in Stuttgart Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Das Land hat das Haus Martinus in der Stuttgarter Olgastraße 93 für die Aufnahme von rund 400 Flüchtlingen vorbereitet. Dort sind vor einer Woche 126 Flüchtlinge eingezogen. An diesem Sonntag stieg die Zahl auf 292. Das Haus hat das Limit erreicht.

Stuttgart - Das Land hat sich für einen neuen Flüchtlingsstrom gerüstet. 350 am Samstag, 1000 am Sonntag. „Wir schicken Busse nach München, um Flüchtlinge zu holen. Dafür wird die Polizeiakademie Wertheim jetzt, und nicht wie geplant Mitte Oktober, für die Erstaufnahme in Betrieb genommen“, sagt Christoph Häring, Sprecher des Integrationsministeriums. Bundeswehr, Rotes Kreuz und Technisches Hilfswerk organisierten dort die Aufnahme von 600 Menschen. Damit habe das Land seit 5. September 7500 Flüchtlinge aufgenommen. Bereits in der Nacht zum Samstag sind 96 Flüchtlinge – Syrer, Afghanen und ein Pakistaner – am Stuttgarter Hauptbahnhof eingetroffen. „Davon sind 20 bis 30 in die Stadt geflüchtet“, sagt Steffen Zaiser, Sprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart.

In der provisorischen Erstaufnahmestelle im Haus Martinus in der Olgastraße zogen neue Flüchtlinge ein. Sie kamen in Bussen aus Bayern. „Wir haben uns kurzfristig damit einverstanden erklärt, dass das Land angesichts der aktuellen Lage die Personenzahl im Haus Martinus über das Wochenende von 126 auf 400 erhöht. Damit ist das Limit erreicht, mehr geht nicht“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Bei der Entscheidung habe man „eng und vertrauensvoll“ mit der Caritas zusammengearbeitet.

Bundespolizisten erwarten Asylsuchende am Nightliner

Samstag, Nachmittag. Zu dieser Zeit deutet am Hauptbahnhof noch nichts auf einen Flüchtlingsansturm hin. Die Bundespolizei ist mit Ganoven beschäftigt. Eine Lautsprecherstimme warnt: „Liebe Fahrgäste, achten Sie auf Ihre Wertsachen. Im Hauptbahnhof sind Trickdiebe unterwegs.“ Gegen 17 Uhr hallen Sprechchöre von Kurden aus der Lautenschlagerstraße zum Bahnhof. Laut Polizei demonstrieren etwa 2000 Teilnehmer gegen den Militäreinsatz der türkischen Armee gegen kurdische Kämpfer im Osten der Türkei und an der Grenze zu Syrien. „Jetzt, wo die türkische Armee kurdische Dörfer in der Türkei beschießt, werden türkische Kurden verstärkt fliehen“, sagt Sidar Carman von den Organisatoren.

Sonntagmorgen, 1 Uhr. Während sich durch den Konflikt in der Türkei wohl schon neue Flüchtlinge auf den Weg machen, sind diejenigen, die in Stuttgart erwartet werden, noch nicht da. „Sie kommen von Bayern direkt in Bussen in die Erstaufnahmestellen. Wer im Zug nach Stuttgart kommt, ist illegal unterwegs“, sagt Steffen Zaiser. Bundespolizisten warten am Gleis 9 des Hauptbahnhofs. Um 1.17 Uhr kommt der Nightliner aus Wien über München.

„Der Zugbegleiter hat uns über Asylsuchende im Zug informiert. Wir haben Wasser, Toastbrot und Babywindeln dabei. Von der Bahnhofsmission gibt es heißen Tee. Wir versorgen jetzt die Flüchtlinge, erfassen sie und schicken sie mit Anlaufbescheinigungen zur Landeserstaufnahmestelle nach Karlsruhe weiter“, sagt Janna Küntzle, Sprecherin der Bundespolizeiinspektion. Tatsächlich fangen die Beamten etwa 50 Flüchtlinge ab. Die meisten sind erschöpft, vor allem aber empört, dass ihre Fahrt hier endet, denn sie wollten nach Schweden und in die Niederlande. Eine junge Syrerin weint, als sie erfährt, dass sie nicht nach Stockholm weiterkommt. Der 27-jährige Hussam Schalak aus Damaskus ist missmutig: „Meine Familie ist in Holland. Ich will natürlich zu ihr.“

Flüchtlinge wollen nach Schweden und Holland

Ein anderer junger Syrer sagt: „Was soll das, was machen die? Ich habe eine Fahrkarte nach Utrecht gekauft, Geld für eine andere Fahrkarte habe ich nicht.“ Wie andere in der Gruppe raucht er trotz Verbots nervös auf dem Bahnsteig, die Beamten drücken ein Auge zu. Auf die Frage, wie die Neuankömmlinge zu den Fahrkarten gekommen sind, herrscht Schweigen. Vermutlich haben Schleuser sie damit ausgestattet. „Wir müssen die Flüchtlinge nach Reiserouten und Reisemitteln befragen, denn wir wollen die Schleuser schnappen“, sagt Janna Küntzle.

In Kleinbussen werden die Flüchtlinge in die Türlenstraße gefahren. Im einstigen Mercedes-Showroom hat die Bundespolizei einen „Bearbeitungsraum“ eingerichtet. Dort stehen Feldbetten, auf denen sich die Flüchtlinge ausruhen können. „Wir haben Kräfte aus Tübingen, Heilbronn, Weil am Rhein und Konstanz zusammengezogen und arbeiten normalerweise in Zwölf-Stunden-Schichten, jetzt dauert alles länger“, sagt Einsatzleiter, Hauptkommissar Markus Brandt. Durchschnittlich 1,5 Stunden pro Flüchtling dauert es bis zur Anlaufbescheinigung. Erst wird geprüft, ob die Flüchtlinge auch in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, dann kommt die erkennungsdienstliche Behandlung. Sie diene der Gefahrenabwehr, sagt Brandt: „Viele Asylsuchende haben keinen Pass, und ihre Angaben müssen nicht unbedingt stimmen. Deshalb werden Fingerabdrücke gespeichert.“