Familie Lali teilt sich in einem Dorf im Schwarzwald mit einer nordkoreanischen Flüchltingsfamilie ein Haus mit Garten. Dort verbringen sie viel Zeit, bauen Gemüse an und die Kinder haben Platz zum Spielen. Foto: Waldow

Vor einem Jahr wurden Hunderte Flüchtlinge in der damaligen Stuttgarter Notunterkunft im Reitstadion untergebracht. Was ist aus ihnen geworden? Wir haben bei Familie Lali aus Afghanistan im Schwarzwald nachgefragt. Papa Daoud ist Arzt und hat seinen Traum, in Deutschland zu arbeiten noch nicht aufgegeben.

Stuttgart/Rötenberg - Daoud Lali und seine Frau Halima kamen mit ihren drei Kindern im November 2015 nach ihrer anstrengenden Flucht aus Afghanistan über den Iran, die Türkei über das Mittelmeer und Griechenland nach Deutschland. Die fünfköpfige Familie landet in der damaligen Notunterkunft für Flüchtlinge im Stuttgarter Reitstadion, wo wir Daoud bei unserer 24-Stunden Reportage kennenlernen. Damals half der afghanische Kinderarzt ehrenamtlich auf der medizinischen Notfallstation kranken Flüchtlingen, übersetzte und stellte Diagnosen, weil er nicht untätig rumsitzen kann, wie er uns erzählt.

Daoud Lali ist ein stiller, zurückhaltender und überaus freundlicher Mann. Von der Zukunft, die ihn und seine Familie erwartet, hat er zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung. Sein einziger Wunsch ist Sicherheit.

Nach dem Stuttgarter Reitstadion werden die Lalis in Unterkünfte nach Ellwangen, später nach Karlsruhe gebracht, bevor sie in der Gemeinde Rötenberg nahe Rottweil bleiben dürfen. Dort bekommt die Familie zwei kleine Zimmer in einem Haus, das sie sich mit einer geflüchteten Familie aus Nordkorea teilt. Wovor Daoud Lali und seine Familie sich in Afghanistan fürchten müssen, erzählt er, als wir die Lalis im April 2016 in ihrem neuen Zuhause besuchen. „Taliban“, sagt er. Sie hätten in ständiger Angst vor den Taliban gelebt, weil sie der ethnischen Gruppe der Hazara angehörten – und weil Daoud für die Amerikaner als Übersetzer gearbeitet habe. Gleich zwei Gründe die islamistische Miliz gegen sich aufzubringen, so der 42-Jährige. „Wir bekamen Drohbriefe und mussten mehrfach umziehen. Ich hatte Angst, meinen Kinder, meiner Frau oder mir würde etwas passieren. Die Taliban töten Menschen der Hazara, sie schneiden ihnen einfach die Kehle durch“, erzählt er. „In dem Krankenhaus, in dem ich gearbeitete habe, haben die Taliban eine meiner Kolleginnen misshandelt und umgebracht, andere Kollegen wurden tagelang eingesperrt.“

Ankommen mit der Hilfe der Nachbarn

Ein Jahr nachdem die Lalis in Deutschland angekommen sind, treffen wir sie noch einmal. Die Horrogeschichten aus Afghanistan sind längst nicht vergessen, aber die Lalis sind in Deutschland ein ganzes Stück weiter angekommen. Es wird gelacht, die Kinder toben, in der Küche backen sie mit ehrenamtlichen Betreuern Weihnachtsplätzchen. Halima spricht sehr gut Deutsch. Daoud fühlt sich noch auf Englisch sicherer, vor allem wenn es darum geht, zu erzählen, wie dieses erste Jahr in Deutschland für ihn und seine Familie war: „I’m very happy“, sagt er immer wieder. Die Menschen in Rötenberg seien vom ersten Tag an sehr hilfsbereit und offen gewesen. Deutsch lernen, Kinder betreuen, Hausmeisterarbeiten, gemeinsames Kochen, Fahrdienste nach Rottweil – alles Angebote von ihren Nachbarn und Bekannten, die die Lalis gerne annehmen und ihnen geholfen haben hier anzukommen. „Wir sind sehr, sehr dankbar, dass uns so geholfen wird. Und von Tag zu Tag klappt alles besser, wir werden selbständiger und können unsere Probleme auch wieder alleine lösen.“ Eigenständigkeit ist für Daoud wichtig.

Auch wenn er froh ist, dass er sich und seine Familie im Schwarzwald in Sicherheit vor den Taliban fühlt, ist die Wohnsituation schwierig. „Wir sind zu Zehnt in diesem kleinen Haus, in diesen beiden Zimmern spielt sich unser Leben ab. Es ist sehr beengt“. Die Kinder Miriam (11), Massoud (9) und Mursal (4) haben ein Zimmer zum Spielen und Schlafen für sich, in dem anderen Zimmer schlafen die Eltern, dort wird Deutsch gelernt und werden Gäste empfangen. Sie müssten diese Situation akzeptieren, weil es keine andere Möglichkeit der Unterbringung gebe, habe man ihnen gesagt.

Es gibt Hoffnung

Halimas und Daouds größter Wunsch nach einem Jahr ist neben einem selbständigen Leben Klarheit: „Wenn wir wissen, wie es weitergeht, können wie besser handeln, planen und machen uns weniger Sorgen“, sagt Halima. Auf das entscheidende Interview, in dem es um ihre Anerkennung als Flüchtlinge geht, warten die Lalis immernoch. Nicht zu wissen, ob sie bleiben dürften, sei eine enorme Belastung.

Trotz der Ungewissheit hat die Familie in diesem Jahr viel geschafft, was viele andere Flüchtlinge nicht schaffen: Sie haben nicht nur gut Deutsch gelernt - Tochter Miriam spricht sogar akzentfrei sodass man meinen könne, die Elfjährige habe nie eine andere Sprache gesprochen – vor allem haben sie sich ihre Hoffnung nicht nehmen lassen.

„Manchmal frage ich mich zwar schon, ob es nicht zu schwierg ist, in einem fremden Land zu leben. Und wie lange es dauern wird, bis wir auf eigenen Beinen stehen“, sagt Daoud. Aber eines mache ihm Mut: Nachdem er in den letzten Monaten gemerkt hat, dass es wohl auf die Schnelle nicht so einfach für ihn sein wird, in Deutschland als Arzt zu arbeiten, hat er eine Ärztin kennengelernt. „Sie hat ganz in der Nähe eine Praxis und mir in Aussicht gestellt, dass ich bei ihr einstiegen könne, wenn ich besser Deutsch kann“, so Daoud. Und deshalb lernt er neben seinem Deutschkurs fleißig daheim per Internet weiter.

Kurz nach unserem Treffen, schreibt Daoud dann noch eine E-Mail, um von einer weiteren Entwicklung zu erzählen: „Positive Point: Social Office showed us a house, which has three rooms in Rötenberg and we will be moved there in January 2017!“ – übersetzt: „Positiver Punkt: Das Sozialamt hat uns ein Haus in Rötenburg gezeigt, das drei Zimmer hat. Wir werden im Januar 2017 einziehen!“

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