Vor allem in Ballungsräumen fehlen Wohnungen, und der Mangel wird sich noch verschärfen Foto: dpa

Eigentlich ist der Flächenverbrauch Grün-Rot ein Dorn im Auge. Doch angesichts der Flüchtlingskrise stellt zumindest die SPD die Bedenken zurück und will mehr Wohnungen bauen.

Ludwigsburg/Ulm - Bund und Land müssen nach Ansicht der grün-roten Koalition in den nächsten Jahren erheblich mehr Geld in den Wohnungsbau investieren. Sonst komme es zu Verteilkämpfen um bezahlbare Unterkünfte, warnte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel am Donnerstag nach Ende einer Klausursitzung der SPD-Landtagsabgeordneten in Ludwigsburg.

„Es ist wie bei einer Flut, man muss die Gummistiefel anziehen und an die Front“, so Schmiedel mit Blick auf die Gefahr, dass Flüchtlinge obdachlos werden, weil keine Häuser zur Verfügung stehen. Allein im September kämen 30 000 weitere Asylbewerber in den Südwesten, da sei es notwendig, die Prioritäten zu verschieben.

Deshalb müssten auch die Regionalverbände und das Grünen-geführte Infrastrukturministerium umdenken, wenn es etwa um die Schonung von Freiflächen gehe. Schmiedel: „Das muss zurücktreten hinter die Schaffung von neuem Wohnraum.“

SPD will auch Gesetze ändern

Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann sagte nach einer Klausursitzung der Landtagsabgeordneten in Ulm, bundesweit sei eine „zehnstellige Zahl“ an Investitionen notwendig, damit ein Bauprogramm spürbare Auswirkungen hat.

Schmiedel hält auch Änderungen am Bundesbaugesetz und an der Landesbauordnung für legitim, um bürokratische Hürden zu senken. Bisher müsse eine Kommunen beispielsweise begründen, warum sie neuen Wohnraum benötige. Ziel soll sein, künftig 45 000 Wohnungen pro Jahr fertigzustellen.

Dazu muss der Bund nach SPD-Vorstellungen die Fördermittel von derzeit 280 auf 560 Millionen Euro verdoppeln: „Das Land legt dann den Rest bis zu einer Milliarde drauf.“ Kurzfristig lasse sich das Ziel allerdings nicht erreichen, denn es fehle sowohl an Bauland als auch an Kapazitäten der Bauwirtschaft.

Auch die Bauindustrie drängt

Gleichwohl stößt auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in dieses Horn: „Wir brauchen ein massives Programm im sozialen Wohnungsbau“, sagte am Donnerstag Präsident Thomas Bauer. Deutschland müsse auch ohne Flüchtlinge eine solche Anstrengung unternehmen: wegen der unterschiedlichen Einkommensschichten der Bevölkerung. Außerdem gebe es immer mehr Single-Haushalte.

Bauers Ansicht nach müssen in den nächsten Jahren jeweils 300 000 neue Wohnungen in Deutschland entstehen, vor allem für Menschen in Ballungsgebieten mit geringem Einkommen. Dazu sei es auch legitim, die Baustandards zu senken: „Und wenn wir im Segment kostengünstiger Wohnungen für Flüchtlinge eine großen Bedarf haben, warum bauen wir von den Standards her nicht wie vor 15 Jahren?“, fragte Bauer.

Förderprogramme für den Bau von Flüchtlingswohnungen gibt es bereits einige, ihr Volumen liegt jedoch weit unterhalb dessen, was angesichts des jüngsten Zustroms notwendig ist. So hatten sich die Teilnehmer des ersten Flüchtlingsgipfels im Land vor gut einem Jahr auf ein Landesförderprogramm von insgesamt 30 Millionen Euro geeinigt. Nach Auskunft des Finanzministeriums soll dies 2016 fortgeführt werden. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau bietet Fördermittel an.

Vorschlag für ein Bündnis

Schmiedel sprach sich für ein parteiübergreifendes Bündnis im Südwesten zum Umgang mit der Flüchtlingskrise aus. Die Partei- und die Fraktionschef der im Landtag vertretenen Parteien sollen sich seiner Meinung nach zusammensetzen, um über das Thema zu sprechen.

Noch komme das Land mit den Flüchtlingen zurecht, doch wenn deren Zahl weiter steige, sei in zwei bis drei Monaten Obdachlosigkeit kaum mehr zu vermeiden. Die Dynamik des Zustroms lässt sich seiner Ansicht nach aber nur in den Herkunftsländern beziehungsweise in der Türkei abmildern, wo derzeit 1,6 Millionen Flüchtlinge „ohne jegliche Versorgung“ lebten.

Sitzmann glaubt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen das Land in diesem und im nächsten Jahr rund 1,7 Milliarden Euro mehr kostet als früher angenommen. Die Ausgaben für die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern für die Jahre 2015 und 2016 waren zuletzt auf mindestens 1,3 Milliarden Euro beziffert worden. Dabei schlagen 200 Millionen Euro in diesem und der Rest im nächsten Jahr zu Buche. Die Mittel sollen demnächst in einem Nachtragshaushalt verbucht werden.

Haushalt ohne neue Schulden

Dennoch glauben sowohl Grüne als auch die SPD, dass es 2015 wie 2016 gelingt, ohne neue Schulden auszukommen. Beide Fraktionen haben den Vorschlag von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, auf die eigentlich geplante Schuldenaufnahme von 768 Millionen Euro in diesem Jahr zu verzichten, einstimmig gebilligt.

Ein klares Nein kommt von der SPD zum Vorschlag, für Flüchtlinge, die arbeiten, den Mindestlohn auszusetzen. Diese sollten ebenso wie andere Arbeitnehmer für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Außerdem entstehe Lohndumping.

Der OB von Wertheim hat unterdessen wegen der geplanten Unterbringung von weiteren 300 Flüchtlingen in seiner Stadt einen Hilferuf an die Landesregierung geschickt. Dies würde zu einem Kollaps führen, schrieb Stefan Mikulicz (CDU) in einem Brief.