Die Grenze zur Schweiz – hier der Übergang zwischen Konstanz und Kreuzlingen – rückt immer mehr in den Blickpunkt bei der illegalen Einwanderung. Foto: dpa

Im vergangenen Jahr hat die Bundespolizei in Baden-Württemberg etwas weniger illegal eingereiste Flüchtlinge aufgegriffen als noch 2015. Es zeigt sich allerdings ein klarer Trend: Wegen der geschlossenen Balkanroute wird der Weg über die Schweiz immer beliebter.

Stuttgart/Konstanz - Die Fahrt muss eisig kalt gewesen sein. Als die Beamten der Bundespolizei Mitte Januar einen jungen Mann entdecken, ist er halb erfroren. Kein Wunder, hat er doch bei frostigen Temperaturen mehrere Hundert Kilometer auf einem Güterzug verbracht, versteckt zwischen den transportierten Autos. Vom italienischen Novara bis ins Bundesgebiet hat es der Mann auf diese Weise geschafft, quer durch die Schweiz. Doch das ist nicht alles: Allein in Weil am Rhein greift die Polizei am selben Tag 19 weitere illegal eingereiste Flüchtlinge auf – einige in Fern- und Regionalzügen, gleich elf in der grenzüberschreitenden Tram 8 zwischen Basel und Weil am Rhein.

Mittlerweile ist das für die Sicherheitsbehörden im südlichen Baden-Württemberg ein ziemlicher normaler Tag. Denn der Weg über das Mittelmeer, durch Italien und schließlich die Schweiz nach Deutschland ist groß im Kommen. Nachdem die Balkanroute geschlossen worden ist, orientieren sich viele Asylsuchende neu – denn es wählen nicht nur Afrikaner diesen Weg. Zwar werden derzeit besonders Menschen aus Guinea und Eritrea aufgegriffen, aber direkt dahinter folgen bereits Syrer – für die diese Route bisher alles andere als gewöhnlich gewesen ist.

Seit Schließung der Balkanroute haben die Flüchtlingszahlen in Deutschland nachgelassen. Das spürt auch die Bundespolizei im Land, die für Grenzen, Bahnhöfe und Flughäfen zuständig ist. 2015 hat sie 14 380 illegal Eingereiste festgestellt, im vergangenen Jahr waren es noch 11 680. Doch die Medaille hat eine Kehrseite.

Selbst im Winter wächst der Zustrom deutlich

Denn mittlerweile scheinen sich Schleuser wie Flüchtlinge immer besser auf die neue Situation eingestellt zu haben. Die illegalen Grenzübertritte aus der Schweiz schießen in die Höhe. Von 2015 auf 2016 haben sie sich nahezu verdoppelt – von 3850 auf 7140. Der Anteil der Aufgegriffenen, die über das südliche Nachbarland gekommen sind, an der Gesamtzahl hat sich damit binnen lediglich eines Jahres von 27 auf 61 Prozent erhöht. Und die Entwicklung scheint weiterzugehen: Selbst in den Wintermonaten Januar und Februar haben die Beamten bereits 1250 illegal eingereiste Flüchtlinge aufgegriffen – nach lediglich 250 im selben Zeitraum des Vorjahres.

Die Bundespolizei rüstet sich deshalb bereits für weitere Zuwächse. „Wir sind sehr sensibel und beobachten die Lage an der Grenze sehr genau“, sagt Sprecherin Cora Thiele. Das führt zu diversen Maßnahmen. „Aktuell werden die beiden Inspektionen Weil am Rhein und Konstanz mit bis zu 50 zusätzlichen Beamten verstärkt“, so Thiele. Sie sollen flexibel je nach Lage eingesetzt werden. Außerdem haben beide Inspektionen inzwischen sogenannte Bearbeitungsstraßen eingerichtet. Sie sollen besonders dann, wenn größere Gruppen kommen, die normalen Dienststellen entlasten. So sollen Flüchtlinge schneller polizeilich erfasst und in Unterkünfte weiterverteilt werden können. „Sie sind bereits an einigen Tagen in Betrieb gewesen“, sagt die Sprecherin.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Aus manchen Polizeidienststellen im Land kommt zuletzt immer häufiger die These, dass die Schweizer Behörden – ähnlich wie die in Italien – angesichts der wachsenden Zahlen offenbar keinen allzu großen Wert mehr darauf legen, Flüchtlingen den Weiterweg nach Deutschland zu verbauen. Diese Praxis des neuerlichen Durchwinkens weist Thiele allerdings zurück: „Wir können da kein Muster feststellen. Wir arbeiten sehr eng und vertraut mit den Schweizer Kollegen zusammen.“ Dazu gehörten ein gemeinsames Verbindungsbüro, gemeinsame Streifen, Einsätze und Fahndungen.

Einmal mehr aber zeigt sich offenbar, dass Flüchtlinge ihren Weg nach Deutschland finden, wenn sie Europa erst einmal erreicht haben. Darauf weist auch eine andere Erkenntnis hin: Zwar spielen Schleuser nach wie vor eine große Rolle, ihr Einfluss scheint aber zu schwinden. „Viele Reisen finden auch auf eigene Faust statt, das zeigen unsere Gespräche mit den Flüchtlingen“, so Cora Thiele. Aufgrund der Digitalisierung sei es sehr einfach, die entsprechenden Routen zu finden und sich selbst zu organisieren. Über soziale Netzwerke würden die Wegbeschreibungen verteilt und danach mit Routenplanern auf dem Mobiltelefon verfolgt. Und dann genügt ein Bus, eine Straßenbahn – oder ein eisiger Güterzug.