Deutsch lernen im Sonnenschein: Zweimal pro Woche gibt Jana Schrietter Abdul, Hassan und Mazen Deutschunterricht im Hof der Landeserstaufnahme Karlsruhe Foto: Spanhel

Vor sechs Wochen sind drei junge Syrer in Stuttgart aus dem Zug gestiegen. Inzwischen heißt der Alltag: Fußball spielen, Deutsch lernen – und warten. Unsere Autoren begleiten die drei in einem Langzeitprojekt bei ihren ersten Schritten in Deutschland.

Karlsruhe/Stuttgart - Der Unterschied zwischen den deutschen Possessivpronomen ist gar nicht so leicht herauszuhören: Meine, meiner – klingt fast gleich, findet Mazen. Der junge Syrer sitzt zusammen mit seinem Bruder Abdul und Cousin Hassan an einem Biertisch im kargen Garten einer Karlsruher Flüchtlingsunterkunft. Vor ihnen liegen Vokabelhefte, Kugelschreiber und Arbeitsblätter: Es ist Deutschstunde. Nach zwei Wochen klappt es schon ganz gut. „Wem gehört diese Blume?“, liest Abdul (26) vor. Nur mit den Umlauten hapert es noch ein wenig.

Drei Monate Warten auf das Asylverfahren

Vor sechs Wochen sind die drei jungen Männer am Stuttgarter Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen. Seitdem sind sie in einer der zehn Unterkünfte der Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) in Karlsruhe. Ihre Registrierung haben sie schon hinter sich – den Asylantrag können sie erst am 16. Dezember stellen. So lange heißt es warten. Wie oder wann es weitergeht, wissen sie nicht.

So ganz entspricht das nicht der Gesetzeslage. Eigentlich müssen Flüchtlinge nach drei Monaten die Lea verlassen haben. „Wir arbeiten derzeit im Krisenmodus“, sagt ein Sprecher des Integrationsministeriums. „Normalerweise“ schaffe man es dennoch, die Leute nach eineinhalb bis drei Monaten an Städte und Landkreise weiterzuleiten. Doch das soll sich ändern. „Der Bund arbeitet derzeit daran, den Zeitraum auf sechs Monate auszudehnen“, so der Sprecher. Dann stiegen auch die Chancen, Asylbewerber ohne Aussicht auf ein Bleiberecht gleich in den Erstaufnahmen auszusondern.

Mazen, Abdul und Hassan sind bereits am 5. September in der Lea Karlsruhe registriert worden. Damals haben sie einen „Laufzettel“ bekommen. Darauf sind die Termine für die weiteren Schritte festgehalten – der einzige Anhaltspunkt, den die Syrer haben. Gesundheitscheck und Lungenuntersuchung sind abgeschlossen, es fehlt nur noch der Beginn des Asylverfahrens.

Deutschunterricht und Museumsbesuche statt Langeweile

„Zu Beginn war alles schwierig“, sagt der 25-jährige Mazen. „Wir kannten die Stadt nicht, haben die Sprache nicht verstanden und wussten nicht, was auf uns zukommen würde.“ Dazu die beengte Situation in der Unterkunft. 13 Leute in einem Zimmer – drinnen keine ruhige Minute, draußen nur Langeweile, erzählt er.

Also haben die jungen Männer ihren Tagesablauf selbst geplant. Nun stehen sie jeden Tag um halb neun auf, um Deutsch im Internet zu lernen. „Die Sprache zu beherrschen ist für uns erst einmal das Wichtigste“, sagt Hassan (24). Um 13 Uhr gibt es Mittagessen, nachmittags spielen sie Fußball oder gehen in die Stadt.

„Die drei wissen mittlerweile besser als ich, was in Karlsruhe los ist“, sagt Jana Schrietter. Zum Beispiel, an welchen Tagen die Museen keinen Eintritt kosten. Oder wann beim Stadtjubiläum die Lichtershow zu sehen ist. Zweimal pro Woche gibt die 33-Jährige Mazen, Abdul und Hassan ehrenamtlich Deutschunterricht in der Unterkunft. Bei schlechtem Wetter in der Kantine, bei gutem Wetter im Hof unter den Birken – so wie an diesem sonnigen Herbsttag.

Tägliche Fassbomben in der Nähe des Elternhauses machen Angst

Während um sie herum die Kinder fangen spielen, mit Inlineskates über die geteerte Einfahrt rollen und ab und an neugierig bei der Lerngruppe vorbeischauen, üben die Syrer abwechselnd die deutsche Aussprache. „Ich bin jedes Mal erneut überrascht, wie viel die Jungs schon gelernt haben“, sagt Jana Schrietter. „Sehr hilfreich war, dass die drei schon Englisch konnten – so mussten sie zumindest die Schrift nicht neu lernen.“

Zwischen den Grammatikübungen kommen aber auch immer wieder andere Themen auf: die Sorge um die Familie in Aleppo zum Beispiel, in deren Nachbarschaft seit Wochen Fassbomben des Assad-Regimes hochgehen. „Wir haben jedes Mal Angst, bevor wir unsere Eltern anrufen“, sagt Mazen. Angst, dass der Hörer nicht mehr abgenommen wird. Dann sind sie froh, in Deutschland zu sein – in Sicherheit. Die Sehnsucht nach der Heimat rückt in solchen Momenten in den Hintergrund.

Ganz leicht fällt es ihnen trotzdem nicht, das neue Leben. Manchmal können sie nicht verstehen, wie die Deutschen ticken. Dass etwa mit Homosexualität hierzulande so offen umgegangen wird. Oder dass viele Menschen nicht an Gott glauben – so wie Jana. Die wiederum nicht nachvollziehen kann, dass es Männern in Syrien erlaubt ist, mehrere Frauen auf einmal zu heiraten. Dann wird zwischen den Deutschaufgaben schon einmal diskutiert. „So groß sind die kulturellen Unterschiede im Endeffekt aber gar nicht“, sagt sie. „Und wenn man sich offen austauscht, lernt man, die andere Perspektive zu verstehen.“

Verständnis für die Angst vieler Deutscher vor den Ankommenden

Für die drei Syrer ist Jana inzwischen zu einer wichtigen Bezugsperson geworden – sie bringt ihnen nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die Kultur näher. Frühstückt mit ihnen, nimmt sie mit in den Jazzclub, in dem sie als Sängerin auftritt. Und öffnet ihnen den Weg in die Gesellschaft. „Wir haben Angst, dass wir sie nicht mehr wiedersehen werden, wenn wir in eine andere Unterkunft verlegt werden“, sagt Hassan.

Passieren könnte das jeden Moment – darüber sind sich die drei im Klaren. Jeden Morgen wird am Eingang der Einrichtung ein Zettel mit den Namen derjenigen ausgehängt, die noch am selben Tag umziehen müssen. Ob sie dann noch zusammen sein werden, wissen die drei jungen Männer nicht. Es könnte gut sein, dass nur die beiden Brüder Mazen und Abdul verlegt werden – und Cousin Hassan vorerst in der bisherigen Unterkunft bleiben muss. Beim Land heißt es, man versuche, „Familien möglichst nicht auseinanderzureißen“.

In ihrer Unterkunft sehen die drei Syrer täglich neue Flüchtlinge ankommen – aus Syrien, Afghanistan und vom Balkan. Etwa 28 700 Geflüchtete sind allein im September nach Baden-Württemberg gekommen. Mehr als 400 sind es täglich in der Lea Karlsruhe. „Wir wissen, dass die Flüchtlinsströme ein Problem für Deutschland sind“, sagt Mazen. Deshalb kann er gut verstehen, dass einige Deutsche mit Angst auf die vielen Neuankömmlinge reagieren. Auch er selbst hätte den großen Andrang nicht erwartet. Vor allem nicht aus den Balkanstaaten, die seiner Meinung nach sicher sind: „Ich weiß nicht, warum diese Menschen fliehen. In unserer Heimat fallen täglich Bomben.“

Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit – und eine Arbeit

In Syrien drohte Mazen, Abdul und Hassan der Militärdienst in der Armee von Baschar al-Assad – und damit der Kampf gegen die eigenen Leute. Also flohen sie. Mazen gab seine Arbeit als Pharmazeut auf, Abdul und Hassan das Studium der Ökonomie. Mit der Unterstützung ihrer Eltern machten sie sich über die Türkei auf den Weg nach Deutschland. Dass sie hier nicht sofort eine Arbeit aufnehmen dürften, hatten sie nicht erwartet. Auch nicht, dass sie so lange tatenlos in einer überfüllten Unterkunft würden warten müssen. „Wir möchten arbeiten“, sagt Mazen. Am liebsten würde er noch einmal studieren. Er träumt von einer eigenen Apotheke – gerne in Karlsruhe.

Eine Zukunft in Baden-Württemberg können sich auch sein Bruder und sein Cousin gut vorstellen. „Karlsruhe ist so schön“, sagt Hassan. „Ich möchte am liebsten hier bleiben.“

Ob das klappt, steht allerdings noch in den Sternen. Die Zuteilung zur Anschlussunterbringung in eine Kommune wird per Quote geregelt. Und danach? Die jungen Männer hoffen darauf, ein neues Leben beginnen, sich einbringen zu können. „Ich glaube, Deutschland braucht Leute wie uns“, sagt Mazen. „Wir werden einmal die Steuern bezahlen für die alternde deutsche Gesellschaft.“

Hintergrund: Neu in Deutschland

Nach der Ankunft in einer der Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) werden die Daten der Flüchtlinge erfasst.

Während der ersten Woche erfolgt ein Gesundheitscheck. Auch eine Röntgenuntersuchung auf Tuberkulose ist Pflicht.

Bis zu drei Monate dürfen Asylbewerber höchstens in der Lea bleiben. Nach durchschnittlich sechs bis zwölf Wochen steht der Umzug in die Anschlussunterbringung an. Die Zuteilung erfolgt per Quote.

Die letzte wichtige Station: der Antrag auf Asyl.Erst mit ihm beginnt die Prüfung des Bleiberechts. Manche Flüchtlinge können den Antrag erst Monate nach ihrer Ankunft stellen. Danach dauert es im Schnitt 5,3 Monate, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist und die Geflüchteten wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht. (hsp/swa/mm)