Flüchtlinge in der Ausbildung sollen nicht mehr abgeschoben werden Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Innenministerium hat neue Leitlinien zur Abschiebepraxis in Baden-Württemberg veröffentlicht: Junge Flüchtlinge in der Ausbildung sollen ein Bleiberecht bekommen.

Stuttgart - Hat ein junger Flüchtling einen Ausbildungsplatz ergattert, soll ihn das vor der Abschiebung bewahren. Das jedenfalls sehen die neuen Leitlinien des Innenministeriums für die Rückkehr- und Abschiebepraxis in Baden-Württemberg vor. Damit will die Landesregierung die Ausländerbehörden bestärken, rechtliche Spielräume auszuschöpfen, um Flüchtlinge in speziellen Fällen nicht abzuschieben. Die Leitlinien hat das Ministerium im Februar auf seiner Homepage veröffentlicht. Zuvor sei das Verfahren „stark von Einzelfallentscheidungen geprägt“ gewesen, sagte Thomas Berger, Leiter der Zentralstelle im Innenministerium. „Mit dem Dokument wollen wir den Behörden klar signalisieren: Nutzt den vorhanden Rechtsrahmen so weit es geht aus.“

Die Entscheidung über Asylanträge liegt zwar beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für die praktische Ausführung von Abschiebungen sind aber die Länder zuständig. Jungen Ausländern im letzten Schul- oder Ausbildungsjahr sei der Abschluss der Ausbildung zu ermöglichen, heißt es in dem Dokument des Landes. Für junge Menschen, die gerade erst eine Ausbildung begonnen haben, sind die Leitlinien weniger deutlich formuliert. Im Einzelfall könne bereits der Beginn einer Ausbildung als dringender Grund gegen die Abschiebung angenommen werden.

Wer eine Ausbildung hat, darf sie fertig machen

„Verbindlicher konnten wir das nicht formulieren“, sagte Berger, „sonst hätten wir uns eine Rüge aus Berlin eingehandelt.“ Bereits in ihrer jetzigen Form hätten die Leitlinien zu Ärger mit der Bundesregierung geführt, sagte Berger bei einer Fachtagung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Stuttgart zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Unter dem Strich, so Berger, bedeuteten die Leitlinien: „Wer eine Ausbildung gefunden hat, darf sie fertig machen.“ Klare Worte auch für Betriebe, die junge Flüchtlinge ausbilden möchten.

Zugleich betont Berger aber, dass für diese Fälle schnellstmöglich Rechtssicherheit geschaffen werden müsse – und zwar durch ein Bundesgesetz. „So lange es das nicht gibt, müssen wir uns mit verschwurbelten Lösungen auf Landesebene aushelfen“, sagte Berger, „das ist ätzend.“

Betriebe suchen nach Azubis

Mit seiner Forderung ist er nicht allein: Auch Hans Ulrich Sckerl, innenpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion und Wolfgang Grenke, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, fordern eine Gesetzesänderung auf Bundesebene, die Flüchtlingen mit einem Ausbildungsplatz ein Bleiberecht bis zum Abschluss zusichert – unabhängig von ihrem bisherigen Rechtsstatus. Grenke geht noch weiter: Weitere zwei Jahre Bleiberecht nach der Ausbildung seien notwendig. Sonst bestehe für Betriebe das Risiko, die neue Arbeitskraft direkt wieder zu verlieren. In Baden-Württemberg sind nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) 2014 rund 6000 Lehrstellen in IHK-Ausbildungsberufen unbesetzt geblieben. „Wir dürfen auf niemanden verzichten, der ausbildungswillig ist“, sagte Grenke.

Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte Anfang Februar in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Länderchefs aus Rheinland-Pfalz und Hessen ein Bleiberecht für junge Flüchtlinge in der Ausbildung gefordert. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich Anfang März in ähnlicher Form dafür ausgesprochen.