Fußball ist bei den Flüchtlingen ein wichtiger Zeitvertreib – manchmal spielen die Teams auch gegen italienische Mannschaften aus der Umgebung. Foto: Krohn

Im Flüchtlingslager Cara die Mineo auf Sizilien leben mehrere Tausend Flüchtlinge. Die Versorgung ist schwierig und natürlich versucht auch die Mafia von der Katastrophe zu profitieren.

Catania - Die Fahrt geht durch schier endlose Orangenhaine. Gesäumt von sattem Grün schlängelt sich die Straße zwischen sanften Hügeln Siziliens hindurch. Nach einiger Zeit erscheint am Horizont eine Siedlung. Kleine Häuser in sanften Rot- und Gelbtönen schmiegen sich in ein sonnenbeschienenes Tal. Der Geruch von Erde und dem nahen Meer liegt in der Luft. Bella Italia! Es dauert einige Augenblicke, bis der Betrachter die nächsten Informationen einordnen kann: Stacheldraht, gepanzerte Fahrzeuge, finster dreinblickende Männer mit Maschinengewehren. Das Paradies endet abrupt.

Zwischenstation auf einer gefährlichen Reise

Cara di Mineo heißt dieser Flecken Erde. Noch vor einigen Jahren wohnten hier Soldaten der US-Streitkräfte, doch die haben die Insel verlassen – Sparmaßnahmen in Washington. Jetzt leben Flüchtlinge in den Häusern; Menschen, die sich auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa zur lebensgefährlichen Reise über das Mittelmeer entschlossen haben. Gestrandet sind sie in Cara die Mineo. Wie viele es sind, ist nicht ganz sicher. Für rund 2000 Bewohner ist das Camp ausgelegt, doch 4000 sollen es inzwischen sein, der Komplex platzt aus allen Nähten.

Am Eingang wartet Guiseppe di Natale, ein Mann von sonnigem Gemüt und mit strahlendem Lachen. Mit großer Geste entschuldigt sich der Chef des Flüchtlingscamps für die rigorosen Sicherheitsmaßnahmen, aber Ordnung müsse sein. Einlass bekommen Besucher nur mit einem speziellen Ausweis. Immer wieder betont Giuseppe di Natale: „Sehen Sie sich um, es läuft alles sehr gut in Cara di Mineo.“ Sein Redefluss scheint unendlich, er erzählt vom Jobcenter, das Arbeitskräfte an die Bauern in der Umgebung vermittelt, von Computerkursen, Workshops für die Flüchtlinge, juristischer Beratung bei den Asylanträgen, dem psychosozialen Betreuungsdienst und führt stolz durch die Klassen, wo gerade Italienischunterricht stattfindet. „Io sono, tu sei, lui è“, hallt es im Chor durch den Flur. „Ich bin, du bist, er ist.“ Auf dem staubigen Sportplatz nebenan trainiert die Flüchtlingsmannschaft, die immer wieder gegen die Fußballvereine aus der Umgebung antritt. „Wir gewinnen die meisten Spiele“, sagt einer der jungen Männer und klopft sich den roten Staub aus den Schuhen. „Ich habe schon in Gambia Fußball gespielt“, erzählt er und sagt, dass er von einer Karriere als Kicker in der italienischen Liga träume. Der Trainer beteuert, dass er das Zeug dazu habe – der Junge lacht. Giuseppe di Natale nickt zufrieden.

Der Traum von einer Karriere als Fußballer

Der Chef weiß, dass der gute Eindruck wichtig ist, denn um Cara di Mineo ranken sich viele Geschichten – manche sind wahr, andere eher Gerüchte, die meisten sind kaum zu glauben. Über all diesen Geschichten steht ein einziger Satz. „Mit Flüchtlingen lässt sich mehr Geld machen als mit Drogen.“ Gefallen ist er in einem von der Polizei abgehörten Telefonat. Gesagt hat ihn Salvatore Buzzi, ein wichtiger Kopf der Mafia Capitale, der römischen Hauptstadtmafia. Ende 2014 wurde ein riesiger Skandal aufgedeckt. Die Mafia Capitale hatte jahrelang Millionengeschäfte mit Hilfsgeldern gemacht. Flüchtlinge und Roma waren ihr bestes Geschäft.

Die Mafia verdient mit Flüchtlingen ihr Geld

Die Grundlage für den illegalen Wirtschaftszweig legte einst der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi – allerdings ungewollt. Sein Notstandsplan Nordafrika, „L’Emergenza Nord Africa“, war im Jahr 2011 die Reaktion auf den Arabischen Frühling. Immer mehr Flüchtlinge kamen damals über das Mittelmeer und landeten an der Küste Italiens. Die staatlichen Einrichtungen waren überfordert, also bat der Staat Privatleute um Hilfe. 45 Euro pro Tag bekamen sie für die Unterbringung eines Flüchtlings. Damals wurde auch Cara di Mineo zum Auffanglager. Die US-Soldaten waren gerade weg, und das Betreiberkonsortium witterte ein Geschäft.

Der italienische Staat hat seitdem viele Milliarden Euro ausgegeben, und die Unterbringung von Flüchtlingen ist noch immer ein lohnendes Geschäft – auch wenn der Tagessatz inzwischen auf knapp 35 Euro reduziert wurde. Für Cara di Mineo heißt das: für 3000 Flüchtlinge werden jeden Tag etwa 105 000 Euro gezahlt. Das sind fast 40 Millionen Euro pro Jahr.

Katastrophale Zustände im Lager

Wie in anderen Camps gab es auch in Cara di Mineo Inspektionen, Nachfragen, Untersuchungen, und am Ende stand das Ergebnis: Das Lager muss geschlossen werden. Die hygienischen Zustände? Eine Katastrophe! Das Essen? Ein Albtraum! Die medizinische Versorgung? Praktisch nicht vorhanden! Die Zimmer waren chronisch überbelegt. Im Camp habe die Prostitution floriert, und regelrechte Clans hätten alles kontrolliert – auch den regen Drogenhandel. Lokale Politiker sollen die begehrten Arbeitsplätze rund um das Lager gegen Wählerstimmen an ihre Vasallen vergeben haben. An der Hauptstraße vor dem Camp habe sich ein regelrechter Arbeiterstrich etabliert, wo sich Flüchtlinge für einen Hungerlohn bei Bauern für die Feldarbeit anboten.

„Alles vorbei, alles Geschichte“, sagt Giuseppe di Natale, der das Lager erst vor einigen Monaten als Leiter übernommen hat. „Jetzt ist das meiste wieder in Ordnung.“ In der Tat scheint der neue Chef in diesem verwirrenden Mikrokosmos kräftig aufgeräumt zu haben. Die Stimmung im Lager ist entspannt, und die Flüchtlinge sagen, dass vieles sich gebessert habe. Dies ist offensichtlich nicht nur durch gutes Zureden gelungen. Immer wieder kommen Polizeistreifen in das Flüchtlingscamp, um dort nach dem Rechten zu sehen. Die Präsenz von Uniformen ist nicht aufdringlich, aber doch deutlich sichtbar.

Der aussichtslose Kampf gegen die Langeweile

Giuseppe di Natale hat also die Probleme unmittelbar vor Ort im Griff. Doch es gibt Auswüchse, gegen die er nichts tun kann. Immer wieder klagen die Menschen, dass sich ihre Asylverfahren unendlich lange hinziehen. „Ich bin schon fast zwei Jahre hier und weiß noch immer nicht, wie es weitergeht“, erzählt Francis aus Nigeria. Mit seinen Freunden schlägt er jeden Tag die Zeit tot. „Es gibt hier einige Angebote, aber irgendwann reicht das nicht mehr.“ Bei ihm mache sich immer größere Hoffnungslosigkeit breit. Zum Problem für die Flüchtlinge wird in diesem Fall die idyllische Lage des Camps. Die kleine Stadt Mineo ist zehn Kilometer entfernt, Catania ist 40 Kilometer weg und nur schwer erreichbar. Pro Tag fahren zwei Busse mit je 50 Sitzplätzen, die nicht immer alle mitnehmen können. „Was sollen wir den ganzen Tag tun?“, fragt Francis.

Schon einige Male haben Flüchtlinge aus Cara di Mineo die nahe Hauptstraße blockiert. Sie protestieren gegen die Zustände im Lager oder gegen die schleppende Bearbeitung ihrer Asylanträge. Die Polizei hat die Proteste mit Schlagstöcken und Tränengas aufgelöst. Lange schrieb die Präfektur die Gewaltbereitschaft hauptsächlich den Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen zu, anstatt auf die eigentlichen Probleme einzugehen. Nun hat sich zumindest die Lage im Camp verbessert. Dennoch landen jeden Monat neue Flüchtlinge aus Afrika an der Küste Italiens – ein Ende ist überhaupt nicht absehbar. „Wir Europäer haben die Angewohnheit, vor allem auf die Zahlen zu sehen“, räumt Giuseppe di Natale ein, „doch wir dürfen nicht nur diese Zahlen im Kopf haben.“

Den Menschen ihre Würde zurückgeben

Das beginnt für ihn damit, dass er die Bewohner des Camps nicht Flüchtlinge, sondern Gäste nennt. Seine Arbeit in Cara di Mineo habe ihn nicht abgehärtet gegen die unzähligen Schicksale dieser Menschen – im Gegenteil. „Von uns hier im Camp wird im Grunde nur verlangt, dass wir diesen armen Teufeln eine Art Grundversorgung geben“, sagt Giuseppe di Natale. „Aber wir wollen den Menschen viel mehr geben als nur zu essen und etwas anzuziehen.“ Er versuche jedem Einzelnen das Gefühl zu vermitteln, dass er etwas wert ist. Ein Stück Würde zu vermitteln, das sei das Mindeste, was er tun könne.