Mostafa (links) und Chika lernen in der Ausbildungswerkstatt von Mahle in Stuttgart. Foto:  

Flüchtlinge zu integrieren ist eine Mammutaufgabe, die über eine Arbeitsstelle erfolgreich gelingen kann. Beispiele aus Stuttgart zeigen, dass die Auszubildenden sehr ehrgeizig sind.

Stuttgart/Pforzheim - Heiraten, Kinder haben und in Deutschland arbeiten. Über seine Zukunft hat Mostafa ziemlich genaue Vorstellungen. „Ich habe selbst eine große Familie in meiner Heimat – ja, das wäre schön“, sagt der 30-jährige Mann mit den schwarzen Wuschelhaaren. Er wirkt dabei so überzeugend, dass keine Zweifel am Gelingen seiner Pläne aufkommen. Seine Heimat ist im Iran, sein Zuhause aber ist seit drei Jahren Stuttgart. „Ich liebe die Stadt, ich habe so viele neue Freunde hier gefunden“, sagt er und lächelt. Mit zwei dieser Freunde, beides Deutsche, lebt er momentan in einer Wohngemeinschaft.

Mustafa ist im Oktober 2013 alleine und als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Damals waren Neuankömmlinge, die auf einen Asylentscheid und einen Integrationskurs gewartet haben, oft noch monatelang zur Untätigkeit verdammt. Doch der 1,88 Meter große Iraner machte seine ersten Schritte zur Integration auf dem Basketballcourt. „Ich bin zum Training in einem Verein gegangen, dreimal, viermal, manchmal fünfmal in der Woche.“ Heute bleibe dafür kaum Zeit. Er hat gerade eine Lehre zum Industriemechaniker beim Stuttgarter Autozulieferer Mahle begonnen.

Groß ist die Aufregung: die Wirtschaftsministerin ist zu Gast

Mostafa ist damit einer von vier jungen Männern, die der Stuttgarter Kolbenspezialist in diesem Jahr fest eingestellt hat: Daniel aus Afghanistan lernt Maschinen- und Anlagenführer, Chika aus Nigeria wird Industrieelektriker und Muhammed aus Syrien absolviert eine Kombination aus Lehre und Studium. 19 weitere junge Männer und eine junge Frau bereiten sich in einer sogenannten Einstiegsqualifizierung (EQ) auf eine Lehre vor.

An diesem Tag ist die Aufregung in der Ausbildungswerkstatt des Zulieferers in Bad Cannstatt groß, schließlich ist Nicole Hoffmeister-Kraut, die Wirtschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, mit einer Delegation zu Gast. Die Besucher lassen sich zeigen, wie sowohl Zuwanderer als auch Unternehmen voneinander profitieren können, aber auch wo die Stolpersteine liegen. Die Beispiele der Azubis zeigen, dass es – oft mit Unterstützung von haupt- und ehrenamtlichen Helfern – gelingen kann, die Menschen in Arbeit zu bringen. Dass die Wirtschaft ihren Einsatz langfristig mit Arbeitsleistung zurückgezahlt bekommt, bestreitet kaum ein Unternehmer. Es braucht aber Zeit: „Die vielen jungen Menschen, die im letzten Jahr gekommen sind, schon jetzt in Ausbildung zu bringen, ist nicht realisierbar“, sagt die CDU-Politikerin Hoffmeister-Kraut, die selbst Unternehmerin ist.

Das Informatikstudium wird in Deutschland nicht anerkannt

Mostafa hat im Iran Informatik studiert und später in einem Handy- und Computerladen gearbeitet. Im Gegensatz zu vielen anderen Geflüchteten hatte er seine Zeugnisse und Qualifikationsnachweise bei der Ankunft bei sich. Doch sie wurden bei der Anerkennungsstelle im Regierungspräsidium nicht akzeptiert. Ob es ihn ärgert, dass er nun noch einmal dreieinhalb Jahre lang einen Beruf erlernen muss? Nicht im Geringsten. „Ich habe Lust dazu, noch viel zu lernen und später auch noch meinen Techniker zu machen.“

Im gerade angelaufenden Ausbildungsjahr haben rund 600 Flüchtlinge aus den häufigsten Asylzugangsländern eine Lehre in Baden-Württemberg angefangen. Mostafa ist mit seinen dreißig Jahren wahrscheinlich einer der Ältesten. Amal (17), Azeezah (19) und Shuroog (18) dürften eher zu den Jüngsten zählen. Die drei jungen Frauen mit irakischen beziehungsweise türkisch-irakischen Wurzeln sind bereits seit sieben Jahren oder länger in Deutschland. Seit September lernen sie den Beruf der Friseurin in einem Pforzheimer Salon. Sie sind hier zur Schule gegangen und haben die deutsche Sprache gelernt.

Auszubildende will einmal ihren eigenen Friseursalon eröffnen

Amal, die Jüngste, hat nach nur drei Jahren Schule und Sprachkurs, aber noch ohne Hauptschulabschluss den ersten Anlauf für eine Berufsausbildung genommen. „Nach eineinhalb Jahren habe ich gemerkt, dass ich nichts gelernt hatte“, sagt die heute 17-Jährige. Mit Unterstützung der Handwerkskammer konnte sie ihre schulischen Leistungen verbessern und hat auch einen Arbeitgeber gefunden, der sich besser um seine Schützlinge kümmert. „Es ist schade, dass manchmal noch zu wenig Initiative bei den Arbeitgebern da ist. Da muss eine junge Frau wie Amal eineinhalb Jahre nur putzen und fegen“, beklagt Anita Spindler.

Zusammen mit ihrem Mann Wolfgang Plail betreibt sie die kleine Friseur-Kette Liwell, fünf Salons in und um Pforzheim, einer ist sogar speziell für Azubis: „Jeder Kunde weiß, dass er seinen Kopf für unsere Lehrlinge hinhält“, sagt Spindler. Ihr Mann hat vor 35 Jahren seinen ersten Salon eröffnet. Ohne Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, das räumt er offen ein, würde er längst nicht mehr genügend Personal finden. Etwa die Hälfte seiner Angestellten, so schätzt Plail, haben ihre Wurzeln im Ausland. Der 60-Jährige fühlt sich in der momentanen Situation an die Zeit der Balkankriege in den neunziger Jahren erinnert. Schon damals habe er vielen jungen Frauen eine berufliche Perspektive gegeben, und sie nicht nur zur einfachen Friseurin, sondern auch bis zur Meisterin im Friseurhandwerk begleitet. Bis auf eine seien später alle in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. „Sie haben bei uns das Rüstzeug bekommen und sind heute erfolgreiche Unternehmerinnen in ihrer Heimat.“

Auch Amal hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: „Ich möchte meinen Meister machen und einen eigenen Salon übernehmen“, sagt sie. Dann erklärt sie noch, wie es ihr gelungen ist, schnell die Sprache zu lernen. Ihre Schwester und sie seien in eine Schulklasse gekommen, wo nur Deutsch gesprochen wurde. „Und wir durften nicht nebeneinander sitzen.“ Außerdem habe sich ihr Vater bewusst entschieden, damals auf dem Land zu bleiben und nicht gleich in die Stadt zu ziehen, wo man in der irakischen Community unter sich geblieben wäre.