Selten war die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, größer als in diesen Tagen. Das dokumentieren Filme wie "Avatar" oder "Wo die wilden Kerle wohnen".

Selten war die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, das Verlangen, die Unschuld zurückzuerobern, größer als in diesen Tagen. Das dokumentieren zum Beispiel Filme wie "Avatar" oder "Wo die wilden Kerle wohnen", die Naturlyrik Brett Andersons und eine James-Cook-Ausstellung in Bonn.

Missgriffe sind unvermeidlich, "seitdem wir von dem Baum der Erkenntnis gegessen haben", behauptet Heinrich von Kleist, "doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist." Viele haben seither Kleists Vorschlag aus dem 1810 veröffentlichten Essay "Über das Marionettentheater" beherzigt, überall in der Welt nach Schlupflöchern ins Paradies gesucht. Doch immer seltener wird man fündig, immer schwerer wird es, Jean-Jacques Rousseaus "Zurück zur Natur"-Aufruf zu folgen. Nachdem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen droht nun auch der Untergang der Malediven, die der Vorstellung der meisten Menschen vom Paradies mehr entsprechen dürften als jeder andere Ort auf der Welt. "Wenn die Malediven nicht gerettet werden, glaube ich kaum, dass es für den Rest der Welt noch Hoffnung geben wird", sagt Mohammed Nasheed, der Präsident des Inselstaats.

Dass sich künstlerische Visionen Fluchtfantasien längst auf virtuelle Paradiese projizieren, wundert angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe nicht. Am deutlichsten macht das derzeit James Camerons Science-Fiction-Wetlentwurf "Avatar", der am Computer ein hyperrealistisches Paradies der Farben und Formen, Tiere und Pflanzen erschaffen hat. In "Avatar" entsprechen die Menschen der technologisch aufgerüsteten Schlange, die in einen Garten Eden namens Pandora eindringt, ihn verwüstet und die Einwohner ihrer Unschuld beraubt.

Dass am Ende einer der Menschen zu dem Naturvolk der Na'vi überläuft, all seinen technologischen Ballast hinter sich lässt, seine Unschuld, seine Unbefangenheit wiedererlangt, ist eine rührend-tröstliche Vision. Diese Wiederentdeckung des Naiven lässt sich derzeit aber nicht nur in Camerons "Avatar", sondern auch im Pop beobachten. Während das großartige britische Antifolk-Duo Slow Club mit kindlicher Neugier die Welt bestaunt, besingt Brett Anderson, der einst Chef der Proto-Britpopcombo Suede war, in "Slow Attack" die Schönheit von Flora und Faune, entwirft impressionistisch einen bukolischen Zyklus, in dem er sanft eins wird mit der Natur und den Jahreszeiten.

In Spike Jonzes "Wo die wilden Kerle wohnen" ist der Ausflug ins Paradies der kindlichen Allmachtsfantasien dagegen eher als Lektion zu verstehen. Das tyrannische Kind Max wird unter den Zottelmonstern zwar schnell zum König ernannt, sehnt sich aber bald schon nach der Zivilisation zurück.

Camerons Science-Fiction "Avatar", aber letztlich auch Jonzes KinderbuchInterpretation "Wo die wilden Kerle wohnen" setzen einen lange andauernden Erobererdiskurs fort, von dem zurzeit auch die Ausstellung "James Cook und die Entdeckung der Südsee" in Bonn handelt. Die Expeditionen Cooks erschlossen dem Abendland die Weiten des Pazifischen Ozeans und damit das Paradies. Die Entdecker brachten nicht nur Musketen, sondern auch die Syphilis mit, und mit den paradiesischen Zuständen war es bald vorbei.

Doch wer das Paradies findet, scheitert traditionell. In William Goldings "Herr der Fliegen" erfinden die auf einer einsamen Insel gestrandeten Schüler ihr eigenes klindlich-sadistisches Terrorregime. In der Mysteryserie "Lost" werden erwachsene und deswegen nicht weniger grausame gesellschaftlichen Mechanismen entwickelt, um sich gegenseitig das Leben auf einer Insel zu erschweren. In "Avatar" ist die Sicherung von Ressourcen wichtiger als der Erhalt eines magischen Idylls, und in "Wo die wilden Kerle wohnen" flieht der kleine Max schließlich aus dem Jungsparadies zurück in Mamas Arme.