Ende des 15. Jahrhunderts will der Mönch Girolamo Savonarola Florenz zum Gottesstaat machen. Alle Ausschweifungen sind verboten. Aber am Ende gehen die Geschäfte vor.
Florenz - „Wenn man es nicht mit eigenen Augen sehen könnte, hielte man es für schier unmöglich, wie grundlegend sich diese Stadt binnen weniger Jahre gewandelt hat“, schreibt Anfang 1497 ein erstaunter Heimkehrer. Alle weltlichen Vergnügungen seien aus Florenz verbannt, Frauen gezwungen, sich zu verhüllen. Dort, wo vormals Lebensfreude geherrscht habe, wo Tanz und Musik der Menschen Erbauung waren, gäben nun Trübsal und beklemmende Ödnis den Ton an.
Ein Ereignis dürfte auf den Rückkehrer besonders irritierend gewirkt haben: jene gespenstische Prozession, die sich am 7. Februar 1497 durch die Altstadt von Florenz bewegt. Streng nach Geschlechtern getrennt, bahnen sich Psalmen singende Gläubige den Weg durch die Menschenmenge. Der Zug endet auf dem großen Platz vor dem Palazzo della Signoria, dem Amtssitz der Regierung.
Scheiterhaufen der Eitelkeiten
Wo sich ansonsten Kaufleute und Geldverleiher die Klinke in die Hand geben, türmt sich ein 15 Meter hoher Scheiterhaufen aus „menschlichen Eitelkeiten“: Modische Kleider liegen hier ebenso aufgestapelt wie Spielkarten, freizügige Gemälde, Bücher, Musikinstrumente, Spiegel, Schmink- und Puderdosen. Girolamo Savonarola, der neue Herr von Florenz, hat den Stoß errichten lassen.
Der eifernde Dominikanermönch und selbst ernannte Prophet Gottes will das Florenz der Medici, das Bankenzentrum der Renaissance, in eine theokratische Republik verwandeln. Auf sein Geheiß hin haben ihm blind ergebene Anhänger Razzien durchgeführt. Systematisch durchkämmen sie die Häuser, um anrüchige Dinge aufzuspüren. Alles, was nur den Anschein des Unsittlichen erweckt, geht an jenem 7. Februar in Flammen auf.
Aus Ekel vor der Welt ins Kloster
Es sei eine „heilige Zeit“, notiert bewegt der Florentiner Gewürzkrämer Luca Landucci in sein Tagebuch. Wer war dieser „christliche Taliban“, der es laut Christian Wieland, Historiker an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, wie kein Zweiter verstand, „die Befindlichkeiten und Ängste seiner Zeitgenossen zu formulieren und in politische Aktionen umzusetzen“?
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1452 in Ferrara geboren, beginnt Savonarola ein Medizinstudium in Bologna, bricht dieses aber nach einem religiösen Erweckungserlebnis ab und widmet sich fortan Fragen der menschlichen Sündhaftigkeit. Er zieht sich in die Einsamkeit zurück, kasteit sich, betet und fastet. Aus Ekel vor der Welt flieht er mit 23 aus seinem Elternhaus und tritt 1475 in das Dominikanerkloster in Bologna ein – um „nicht wie ein Tier unter Schweinen, sondern als vernünftiger Mensch zu leben“.
Ein Hilferuf aus Engelsmund
Sechs Jahre lang verrichtet er auf eigenen Wunsch die niedrigsten Arbeiten. Daneben studiert er eifrig, und immer deutlicher wird ihm der Widerspruch zwischen dem biblischen Auftrag und dem, was die Amtskirche daraus macht. In den folgenden Jahren prägt sich das Weltbild Savonarolas aus.
Gierig saugt er die mystischen Lehren des Joachim von Fiore in sich auf, in denen sich Satan als Antichrist die Welt untertan macht. Visionäre Erscheinungen packen ihn. Endlich vermeint der Mönch aus Engelsmund die göttliche Aufforderung zu vernehmen, seinem Land kommendes Unheil zu verkünden, Tyrannen, Gottlose und sittlich Verdorbene bloßzustellen, Buße und Umkehr zu predigen.
Donnergrollen von der Kanzel
1486 lässt er in Florenz Tausende aufhorchen, wenn er von der Kanzel donnert, Literatur und Künste seien „heidnischer Unfug“, und seinen Zuhörern mit Weltuntergangsvisionen Schrecken einjagt. Dennoch bewundert das Volk seinen Mut.
Denn am wenigsten schont Savonarola seinesgleichen, die Kleriker: „Es gibt nichts Habsüchtigeres, nichts Hochmütigeres, nichts Liederlicheres als die Geistlichen. Teufel sind sie, nicht Menschen. Sie verprassen das Kirchengut, das den Armen gehört, mästen sich im Schweiße ihrer Untertanen und berauben sie ungestraft ihrer Habe. Ihre Sünden schreien zum Himmel.“
Die Stunde des dunklen Propheten
1491 wird Savonarola zum Prior von San Marco gewählt. Mit suggestiver Beredsamkeit zieht der charismatische Prediger viele Gläubige in seinen Bann. Und der eifernde Mönch greift in seinen Predigten zunehmend auch in das politische Tagesgeschäft ein, ätzt gegen die „Tyrannei“ des Medici-Clans, der seit etwa 100 Jahren die Geschicke der Stadt lenkt, und dessen „hochmütiges, wollüstiges und habgieriges“ Regiment.
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Savonarola trifft den Nerv einer tief verunsicherten und sozial gespaltenen Bevölkerung. Und er verspricht Abhilfe: „Das Schwert Gottes wird kommen und der Unterdrückung ein Ende bereiten.“ Als die aufgewiegelte Menge die Medici aus Florenz vertreibt, schlägt die Stunde des dunklen Propheten.
Der Mönch wird zum Eiferer
Von der willfährigen Signoria, der Ratsversammlung von Florenz, gebeten, die Geschicke der Stadt in die Hand zu nehmen, beginnt der „heilsbringende Retter“ sein Reformwerk. Zunächst erlässt er eine Reihe sozialer Gesetze, die ihre Popularität vor allem durch drastische Steuererleichterungen gewinnen. Doch dann steigert sich Savonarola zunehmend in die Rolle des religiösen Fundamentalisten hinein.
Mit beängstigender Energie krempelt er die einst so lebensfrohe Stadt um: Glücksspiele und Prostitution werden unter Strafe gestellt, Gotteslästerern durchbohrt man die Zunge, anstößige Gemälde und Literatur sind verboten, Homosexuelle werden auf dem Mercato Vecchio an den Pranger gestellt und mit glühenden Stadtwappen auf der Stirn gebrandmarkt.
Halbwüchsige Sittenwächter überwachen die Stadt
Überwacht wird das alles von den „fanciulli“, einer Kinderpolizei, die der religiöse Eiferer für seine „Kulturrevolution“ einspannt. Vor allem „unschicklich“ gekleidete Frauen geraten ins Visier der halbwüchsigen Sittenwächter.
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Aber der eifernde Mönch ist übereifrig, kennt keine Gnade, sodass schon bald die Unzufriedenheit über Savonarolas weltverneinenden Kreuzzug wächst. Doch der schlägt umso mehr um sich, schmäht den Vatikan als „Hure Babylon“ und Papst Alexander VI. als „lasterhaftes Ungeheuer“. Als er auch noch die „häretischen“ Ideen der Waldenser preist, ist für die Kurie in Rom das Maß voll.
Erst brennen die Bücher, dann der Mönch
Die enthebt Savonarola aller geistlichen Ämter und verhängt gegen ihn den Kirchenbann. Doch erst die Drohung des Papstes, Florenz mit dem Interdikt zu belegen und die Florentiner Kaufleute von allen Messen fernzuhalten, beeindruckt die Signoria. Jetzt, wo es um die eigenen Geschäfte geht, ringt man sich durch, Savonarola „sterben zu lassen“.
Er wird zum Häretiker erklärt und am 23. Mai 1498 auf jenem Platz verbrannt, wo ein Jahr zuvor der „Scheiterhaufen der Eitelkeiten“ loderte. Florenz kann wieder aufatmen.
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